Rund 250 Menschen waren am 22. September nach Essen-Steele gekommen, um gegen die neu eröffnete Landeszentrale der NPD zu demonstrieren. Die Teilnehmerzahl übertraf die von uns vorher mit der Polizei ausgemachte um etwa das Doppelte, was nicht zuletzt sicherlich an der breiten Partizipation aus unterschiedlichen politischen Spektren lag. Massive Polizeischikanen führten in der Konsequenz zu einer faktischen Verhinderung der Demonstration.
Am 13. September machte das regionale Nachrichtenportal NRW rechtsaußen öffentlich, dass die nordrhein-westfälische NPD ihre neue Landeszentrale im Essener Stadtteil Kray verlegt hatte. Wir griffen diese Information in einer ersten Pressemitteilung auf und kündigten im selben Atemzug eine antifaschistische Demonstration gegen die neue NPD-Zentrale in der Marienstraße 66a an. Wir wollten damit möglichst früh einen öffentlichen Diskurs über die Landesgeschäftsstelle in Gang setzen und vor allem auch die unmittelbaren Anwohner über den Zuzug ihrer neuen rechten Nachbarn informieren. Letztlich denken wir, dass dieses Ziel durch unsere Vorarbeit und die bloße Ankündigung einer Demonstration bereits im Vorfeld dieser erreicht wurde. Es gab mehrere Artikel in der Lokalpresse und auch Berichte in der WDR Lokalzeit. Am Tag selber ist dann sicherlich einiges schief gelaufen, was nach unserer Einschätzung aber weniger unserem Agieren anzulasten ist, als vielmehr einer neuen – vielleicht sogar NRW-weiten – repressiven Polizeistrategie geschuldet ist, mit der wir nicht gerechnet hatten und auf die wir deshalb auch nicht vorbereit waren. Letztlich sind unserem Aufruf ca. 250 bis 300 Personen gefolgt, darunter neben Antifa-Aktivisten aus der Region auch einige Lokalpolitiker und Anwohner der Marienstraße.
Das Verhalten der Polizei gegenüber der Demo werten wir als Versuch, die Durchführung einer linksradikalen antifaschistischen Demonstration in Essen willkürlich zu behindern bis unmöglich zu machen, ohne dass dies durch das Verhalten der Teilnehmer oder eine nachvollziehbare Gefahrenprognose (etwa durch eine gleichzeitig stattfindende Nazi-Demo, die Begehung von erheblichen Straftaten oder Störungen durch Teilnehmer etc.) gerechtfertigt war. Dies stellt eine grobe Einschränkung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit dar. Dieser polizeiliche Impetus zeigte sich zunächst darin, dass die Demo von einem massiven Aufgebot an Polizeikräften begleitet und sogar von einem Helikopter überflogen wurde. Eine von einem derart hohen Polizeiaufgebot begleitete Demonstration erweckt nach außen hin einen gänzlich unerwünschten Eindruck, der unter Umständen sogar abschreckend auf potenzielle Teilnehmer und Anwohner wirkt. Der tatsächliche Demonstrationsbeginn wurde stundenlang durch die unnötig bürokratisch penible Überprüfung von polizeilichen Auflagen, deren Einhaltung eingefordert wurde, verhindert. Um nicht die gesamte Durchführung der Demonstration an Kleinigkeiten wie der vorgeschriebenen Länge eines Transparents zu verunmöglichen, wurde sogar eines der mitgebrachten Transparente in der Mitte durchtrennt, weil es ansonsten nicht den polizeilichen Vorschriften genügt hätte. Gleichzeitig gab es keinerlei Entgegenkommen bei von uns erbetenen Hilfestellungen, wie etwa der Erlaubnis, die Kennzeichen des Lautsprecherwagens abzukleben oder etwa den Lautsprecherwagen aus dem Gefahrenbereich zu fahren, als die Polizei die Demo eingekesselt hatte. Neue Auflagen wurden willkürlich aufgestellt und zur Voraussetzung der weiteren Durchführung der Demonstration gemacht. So wurde das Tragen von Sonnenbrillen (trotz Sonnenscheins) plötzlich untersagt und als Vermummung bezeichnet, ohne dass die sonstige Aufmachung der Teilnehmer dazu geeignet war, den Tatbestand der strafbewehrten Vermummung zu erfüllen. Der Einsatzleiter, der entsprechende Entscheidungen traf, war für den Versammlungsleiter nicht ansprechbar, sondern saß anderenorts in einem Büro und war nur über einen Mittelsmann zu sprechen. Das machte eine Kommunikation über die unserer Ansicht nach rechtswidrige Vorgehensweise unmöglich, so dass wir uns schließlich gezwungen sahen, die Demonstration abzubrechen. Darüber hinaus handelte es sich bei den “Ansprechpartnern” nicht um die im Kooperationsgespräch vorgestellten Kontaktbeamten, sodass wir uns die generelle Frage stellen, wofür dieses Gespräch überhaupt stattgefunden hat.
Neben den skandalösen Polizeischikanen kritisieren wir jedoch auch das Verhalten einiger Demonstrationsteilnehmer insbesondere aus dem Spektrum von SPD und Linkspartei. Bereits im Vorfeld der Demonstration hatten wir darum gebeten, keine Fahnen und Symbole von Parteien oder parteinahen Organisationen mitzuführen. Diese Bitte wurde trotz mehrfacher direkter Hinweise auf unseren Wunsch von mehreren Teilnehmern beharrlich ignoriert. Als sich der Beginn der Demonstration aufgrund von Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Versammlungsleiter und der Polizei verzögerte, schalteten sich mehrere Personen dieses Spektrums ungefragt in die Diskussion ein und kündigten an, selbst eine Spontandemonstration anzumelden. Diese Anmeldung wurde dann aber zunächst wieder zurückgezogen, da unsere Demonstration schließlich doch starten konnte. Dadurch, dass “prominente” Versammlungsteilnehmer dem Veranstalter während einer Diskussion mit der Polizei so offensichtlich in den Rücken fallen, wurde jedoch unsere Verhandlungsposition gegenüber der Polizei sichtlich weiter geschwächt.
Nachdem die Demo auf der Krayer Straße erneut gestoppt und ein Großteil der Teilnehmer durch die Polizei eingekesselt wurde, meldeten zwei Essener Kommunalpolitiker erneut eine eigenständige Demonstration an, der sich ein Teil der Demo-Teilnehmer nach der Auflösung unserer Versammlung schließlich anschloss. Die Tatsache, dass einer der Anmelder der Spontandemonstration bereits mit einem eigenen Megafon zu unserer Demo gekommen war und sich der Polizei wie selbstverständlich als Ansprechpartner andiente, legt den Verdacht nahe, dass eine Übernahme unserer Demonstration von Beginn an geplant oder zumindest als Option in Erwägung gezogen wurde. Wir werden daraus die Konsequenzen ziehen und die Verantwortlichen für diese Aktion künftig von all unseren Veranstaltungen explizit ausladen.
Schon zu Beginn unserer Demonstration, aber vor allem nach der Auflösung eben dieser, gab es quasi im Handgemenge mehrere hitzige Diskussionen mit Essener bzw. Krayer Lokalpolitkern, die die Ansicht vertraten, die Antifaschisten würden in “ihren Stadtteil” einfallen, würden mit der Demonstration bloß alles aufmischen und dann wieder verschwinden oder sie seien letztlich wie die Neonazis nur mit anderem Vorzeichen. Ohne im Einzelnen auf die absurden Aussagen dieser Leute einzugehen, wollen wir festhalten, dass wir auch dann noch gegen Neonazis, die NPD und ihre Zentrale aktiv sind, selbst wenn sie nicht mehr im Essener Stadtteil Kray ansässig sind.
Weiter offen bleibt die Frage, wie und in welcher Form ein antifaschistischer Protest gegen die NPD-Landeszentrale in Zukunft erfolgen kann und soll. Gegen die einstweilige Situation lässt sich aufgrund des Ankaufs der gesamten Immobilie durch die NPD vermutlich wenig ändern, falls es nicht zu einem Rückkauf durch den ursprünglichen Eigentümer kommen sollte (was wir jedoch für absolut unwahrscheinlich halten). Dennoch werden wir auch in Zukunft mit unterschiedlichen Aktionen gegen die NPD-Zentrale vorgehen, um deutlich zu machen, dass wir eine weitere Etablierung rechter Strukturen in Essen nicht widerspruchslos hinnehmen werden.
In Bezug auf die immer mehr spürbaren Repressionen im Zuge von Antifa-Demonstrationen möchten wir vorerst nur mitteilen, dass wir mit regionalen Zusammenschlüssen im Austausch stehen und über die Frage diskutieren, wie sich linksradikale Demonstrationspolitik zukünftig gestalten kann. Denn eins ist klar: so wie es bisher gelaufen ist, wollen wir das nicht weiter akzeptieren!