Völkische Kolonialisten

Erstveröffentlicht: 
30.08.2012

Auffällig viele Neu-Siedler in ländlichen Regionen in Mecklenburg-Vorpommern stammen aus den Reihen der rassistischen Artgemeinschaft – sie geben sich ökologisch und sind politisch bestens vernetzt.

 

Honig der Marke „Freie Erde“, bunt gefärbte Schafswollknäuel, Clogs aus grobem Leder, Wurfmesser mit verzierten Klingen, Sonntagskleidchen mit Schürze und zwischendurch ein Kräuterbrötchen auf die Hand.  Der selbstständige Schmied, die Buchbinderin, Koch und Sattler, sowie das Steinsetzer-Ehepaar geben sich gastfreundlich. Es ist Pfingsten. Im Landkreis Güstrow, in der idyllischen mecklenburgischen Schweiz gelegen, bieten Handwerker und Kleingewerbetreibende unter dem Motto „Kunst offen“ ihre Produkte an. Künstler aller Facetten sind dabei. Auch im Dörfchen Klaber sind die Pforten weit geöffnet. Die ansonsten eher öffentlichkeitsscheuen Neusiedler Jan Krauter, Irmgard Hanke, Denis Schauer und Bene B. sowie Ilja Gräser und seine Ehefrau aus Berlin geben sich bürgernah. Tätowierte Männer mit Seitenscheitel interessieren sich für Klingen und Dolche aus türkischem Damast, kleine Jungen in kurzen Lederhosen rasen um die Wette auf hölzernen Laufrädern, Frauen unterhalten sich lebhaft über Heilkräuter. Eine Hofstatt mit Mittelalterflair.

 

Doch in Klaber leben völkische Rechte. Erst auf den zweiten Blick ist die steinerne Irminsul am Eingang des Hofes in Klaber, sind die Silberketten mit Thorshammer und Runen und die Verzierungen auf dem Kinderrad zu erkennen: Ein Christenfisch in den Klauen eines nordischen Adlers, das Symbol der rassistischen „Artgemeinschaft“. Krauter, Schauer, Gräser und ihre Bekannten sind keine harmlosen „Ökos“, die hier ihre Ware ausstellen. Einige von ihnen nennen sich „Neo-Artamanen“, einer war Anführer in der inzwischen verbotenen, militanten „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ), ein anderer in wichtiger Position bei der Berliner NPD  und mehrere hängen dem heidnischen Kampfverband, der „Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft“ an.

 

„Deutsche Seele“ im bäuerlichen Brauchtum

 

Die „Artamanen“ waren in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts eine völkisch-nationale Siedlungsbewegung. Zu ihren Anhängern zählten auch ranghohe Nationalsozialisten wie SS-Chef Heinrich Himmler und der Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß. Anfang der 90er Jahre setzte eine kleine Gruppe siedlungswilliger Rechter um Jan Krauter, Helmut Ernst und Huwald Fröhlich ihr Konzept zur Wiederinbetriebnahme alter Artamanenhöfe im Landkreis Güstrow um. Weitere Sympathisanten folgten. In der „radikal rechten“ Zeitung „hier & jetzt“ beschwört der Autor Stephan Roth die „Artamanenbewegung als Beispiel alternativer Lebensgestaltung“. Er betont, dass die Zukunft in „unumstößlichen kleinen Gemeinschaften der bäuerlichen Siedlungen in Mitteldeutschland“ liege. Siedeln sei jedoch weniger Romantik, als vielmehr harte Arbeit und Existenzkampf, so Roth. Diese Kolonialisten leben nach nordischen Überlieferungen, wollen ein Verhältnis zu ihrer Umwelt pflegen, wie angeblich schon deren Ahnen. Humanismus und Christentum lehnen sie als „widernatürlich“ ab. Im bäuerlichen Brauchtum,  belehrten  bereits 1967 die „Deutschen Nachrichten“ der NPD, offenbare sich die „deutsche Seele“. Im Dorf Klaber und im rund 20 Kilometer entfernten Koppelow lebt die Avantgarde der völkischen Kolonialisten in Mecklenburg-Vorpommern.

 

Weiter westlich, nahe Grevesmühlen, lautet die Parole längst: „Dorfgemeinschaft Jamel – frei, sozial und national“.  Von zehn Häusern sind zwei Drittel mit Neonazis besetzt. Großspurig verkündete das extrem rechte Internetportal mup.info Anfang des Jahres 2011: „Wenn es so weitergeht, dann gibt es bald nicht nur zwei, drei oder vier Orte wie Jamel, (...) sondern Dutzende und womöglich Hunderte Orte, in denen demokratischer Verfall der nationalen Aufbauarbeit weicht.“ 

 

Zugezogene Kameradschafts-Aktivisten aus dem Westen

 

Tatsächlich gehen die Ansiedlungen oft mit kommunalpolitischem Engagement der NPD einher. „Regional ist erste Wahl“ oder „Geht nicht fort – kauft im Ort“ werben die braunen Ideologen entsprechend ihrer „Kümmerer“-Strategie. Kurz vor der Elbe, in der Region um Boizenburg und Lübtheen, wohnen seit Jahren zugezogene NPD- und Kameradschafts-Aktivisten aus dem Westen. Dort haben sie sich mit bis zu 20 Prozent rechtem Stimmenanteil eine Stammwählerschaft sichern können. Gezielt wirken die Neonazis mit ihrer Strategie der anhaltenden Landflucht entgegen. Nach außen gerieren sie sich als tatkräftige, volkstümliche Menschen. Präventionsexperten der Arbeitsgemeinschaft „Völkische Siedler“ in Rostock warnen davor, dass die Rechten den besiedelten Gegenden durchaus „ihren Stempel aufdrücken“ wollen. Ziel sei es, die Gemeinschaften zu vergrößern, „denn um wirklich etwas bewegen zu können“, sei eine bestimmte Masse notwendig.

 

Zu Brauchtumsfeiern wie Sonnenwenden oder Erntedankfesten werden Nachbarn und Kunden eingeladen, die oft nichts wissen vom politisch motivierten Hintergrund. Auffällig an den rechten Kolonialisten sei, so Richard Scherer, Mitglied im Kirchgemeinderat Reinshagen,  dass sie  immer auch einen Feind brauchten. Sei es der kritische Ortsbürgermeister, eine angebliche „Migrantenflut“ oder ein nahender „Bürgerkrieg“. Viele rechte Siedler leben seiner Beobachtung nach in der Vorstellungswelt einer Bedrohung.

 

Politisch herangezogen in der „Wiking-Jugend“

 

Das Herz der braunen Kolonialisierung ist der Raum Güstrow. Dort gibt es neben der Neonazi-Kameradschaft im Ortsteil Nienhagen auffällig viele Siedler aus dem extrem rechten Spektrum. Die Verbandsgemeinde Lalendorf mit ihren germanischen Funden aus dem ersten Jahrhundert, ihrem Zuckerrübenanbau und dem Panzerdenkmal liegt in der geografischen Mitte Mecklenburg-Vorpommerns. Zuständig für die rund 3000 zumeist in abgelegenen Ortsteilen versprengten Einwohner ist das Amt Krakow am See. Bei der Landtagswahl 2011 erzielte die NPD rund 13 Prozent im Landkreis, das sind etwa 1900 Zweitstimmen. Die Rostocker Präventionsexperten  gehen allein im Raum Güstrow von rund einem Dutzend „nationaler Familien“ aus, zu denen etwa 60 Kinder gehören. Tendenz steigend. Es gibt unzählige verfallene und leerstehende Gehöfte. Auch sanierte Häuser sind spottbillig zu haben. Seit neuestem interessieren sich die Rechten vor allem für abgelegene Wald- und Wiesengrundstücke. Sie kaufen eifrig.

 

Nicht alle Neuen stammen aus dem Westen. Manche wuchsen auch in der DDR auf, stießen danach zur nationalistischen „Bewegung“.  Wie der Sohn eines ehemaligen Bürgermeisters aus Güstrow, der vor ein paar Jahren die geheimen Treffen von „Artgemeinschaft“ und ihrem verstorbenen Anführer Jürgen Rieger in Thüringen besuchte, und inzwischen in einem Dorf eine Schmiede betreibt. Die Zugezogenen im alten Schulhaus in Lalendorf hingegen, die stammen aus Hessen. Die Einheimischen wissen, dass das „Braune“ sind. In der militanten „Wiking-Jugend“ (WJ) wurde Familienoberhaupt Jan K., der Mann mit dem grauen Rauschebart, politisch herangezogen. Archivrecherchen zufolge war er damals Leiter der „Beschaffungsstelle“ im „Gau Nordmark“ der WJ. Später beteiligte er sich auch an den Treffen der „Artgemeinschaft“.

 

Lebensgefährtin eines polizeibekannten Neonazis

 

Schmuck sieht inzwischen auch das frisch renovierte Backsteinhaus des extrem rechten Ehepaars Müller im Lalendorfer Ortsteil Ausbau aus. Marc Müller ist Vorsitzender des eingetragenen Rassistenvereines „Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung“,  zu deren Vermögen Großimmobilien wie der „Heisenhof“ im niedersächsischen Dörverden zählten. Seine Ehefrau Petra hat 2006 den NPD-nahen „Ring Nationaler Frauen“ mitgegründet. Beide lernten sich bereits bei Volkstanz und Schulungen der „Wiking-Jugend“ in der Lüneburger Heide kennen. Inzwischen haben sie, ebenso wie die K.s, eine ganze Schar Kinder. Unweit davon, im schneeweißen Schloss Bansow aus dem 19. Jahrhundert, wohnt die Lebensgefährtin des polizeibekannten Neonazis Lutz Giesen aus Kuchelmiß zur Miete. Auch sie trägt, wie die anderen Siedlerfrauen, meist  lange Röcke, wenn sie mit ihren Kindern im Dorf unterwegs ist.  Die junge Mutter bewegt sich seit langem im extrem rechten Spektrum, kennt viele wichtigen norddeutschen Szene-Größen.

 

Wie eng vernetzt das Siedler-Spektrum ist, zeigt der Umstand, dass sich Bürgermeistersohn, Schlossbewohnerin, Müllers und K.s von den geheimen Treffen der „Artgemeinschaft“ kennen. Es gibt auch „Artgemeinschaftler“, die es nicht lange ausgehalten haben in den abgelegenen Landstrichen nahe der Ostseeküste. Manche wohnten bei den „Neo-Artamanen“ in Klaber oder Koppelow und zogen dann wieder fort. Andere Völkische wie ein Geologe aus Niedersachsen suchten lange nach dem richtigen Hof im Raum Güstrow.

 

Stramm ausgebaute braune Logistik

 

Vor allem aber hat sich das  Bundesland Mecklenburg-Vorpommern in den letzten Jahren auch zum Mekka für rechtsextreme Ökologen entwickelt. Deren Blut- und Bodenideologie ist mit dem Traum vom starken deutschen Bauerntum und seiner Scholle verbunden. Nicht nur im Herzen der mecklenburgischen Schweiz, sondern auch in den Gegenden um Ludwigslust, Bad Doberan, Vorpommern oder Rügen haben sich „nationale Dorfgemeinschaften“ gebildet, die neben ihren Häusern eigenes Land bewirtschaften und Bio-Produkte zum Verkauf anbieten. Die Heinrich-Böll-Stiftung warnt mit ihrer Broschüre  „Braune Ökologen“ vor Rechtsextremen, die sich gegen Gentechnik wehren oder an Anti-Atom-Protesten beteiligen. Neonazis nutzen demnach das Thema Ökologie  für ihr krudes Weltbild.

 

Das norddeutsche Flächenland zwischen Elbe und Uecker zog bisher vor allem wegen seines geringen Migrantenanteils, den niedrigen Immobilienpreisen und den mangelnden antifaschistischen Protesten einschlägiges Potenzial an. Zunehmend attraktiv wirkt sich auch die stramm ausgebaute braune Logistik im Land mit Szenetreffpunkten, Wohngemeinschaften, Tanzsälen, Schulungsräumen, einer „Volksbücherei“, Volkstanzgruppen, Bürgerinitiativen und eigenen Waldstücken und Wiesen aus. Einheimische Gesinnungskameraden helfen beim Zuzug.

 

Braune Siedler gründen im kleinen Stil Handwerkskooperativen, Fahrgemeinschaften, organisieren Kinderbetreuungen, wohl auch Sonntagsschulen und Camps für den Nachwuchs. Befreundete Ökolandwirte sorgen für Fleisch und Gemüse, Hebammen für die Möglichkeit „natürlicher Geburten“. Nationale Tagesmütter treten als Alternative zur Versorgung von Kleinkindern in staatlichen Krippen auf. Frauen und Mädchen legen Gemüsegärten zur Selbstversorgung an, sichern mit einem kleinen Viehbestand zusätzliches Auskommen. Spinnen, Weben, Töpfern oder Honigherstellen gehören meistens zum weiblichen Handwerk. Steinmetze, Sattler und Bildhauer versorgen die neuen Häuslebauer und Nebenerwerbslandwirte. Seelensteine in Runenschrift oder germanisches Holzspielzeug gehören in deren Haushalte. Eigene Zimmerleute und Maurer kümmern sich um alte Bausubstanzen und Fachwerk, immer auch im Bemühen, die Renovierungskosten für die Kameraden und ihre oft kinderreichen Familien möglichst niedrig zu halten. Viele interessierte Neonazis aus dem gesamten Norden schauen nach Mecklenburg-Vorpommern, belegen Handwerkskurse oder übernachten im Heuhotel eines Germanenfreundes in Koppelow. Zwischen Berlin und Hamburg ist eine Art braunes Wendland  entstanden.

 

Ein autarkes, nationales Wirtschaftsnetzwerk

 

Vordergründig werden die Höfe zu Wohlfühloasen, strategisch dienen sie jedoch als überregionale Operationsbasen. Die nationalen „Sippen“ sind eng verbandelt mit Gleichgesinnten und Familienangehörigen in der Lüneburger Heide oder Schleswig-Holstein, dort gibt es ähnliche Projekte. Ziel scheint es ein autarkes, nationales  Wirtschaftsnetzwerk zu schaffen, in dem vorrangig die eigenen Anhänger Beschäftigung finden. Davon zeugen zum Beispiel die schmiedeeisernen Eingangstore aus Klaber vor dem Anwesen eines NPD-Chefs im ehemaligen NS-„Reichsmusterdorf“ nahe Lübtheen.

 

Nicht selten wird der politische Hintergrund schlicht geleugnet, beispielsweise um eine nützliche Gruppenzugehörigkeit oder eine geschäftliche Beziehung nicht zu gefährden. Denn in Mecklenburg-Vorpommern mischen sich rechte Siedler/innen und Siedler als Biohändler/innen, Künstler/innen und Handwerker/innen unauffällig auf Wochenmärkten und Kleinkunstveranstaltungen unter das Volk. Tatsächlich hat der Tourismusverband in der Region Güstrow seit Jahren keine Probleme damit, auch die extrem rechten Siedler für die „Kunst offen“-Tage als Aussteller zu bewerben. Auf Protest aus der Landeshauptstadt hören die Verantwortlichen in der Provinz nicht.

 

Viele Siedler stammen aus rechten „Kaderfamilien“

 

„Inzwischen wissen die Rechtsextremen, wie erfolgreich die Strategie der kulturellen Subversion ist“, warnt Dierk Borstel, ausgewiesener Kenner der Szene im Norden und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bielefeld. Das Konzept sei schwerfällig, aber nachhaltig.

 

Viele der braunen Siedler eint ein gemeinsamer sozialer Hintergrund: Sie stammen selbst schon in der zweiten oder dritten Generation aus rechten „Kaderfamilien“. Nationalsozialismus und biologistisches Weltbild gehörten zum täglichen Denken und Erleben.  Gedrillt in den Reihen der 1994 verbotenen „Wiking-Jugend“ oder deren Nachfolgerin, der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ), wuchsen sie auf. Nicht selten stammen beide Partner aus der „Bewegung“ – eingeschworen auf Volk, Sippe und den Erhalt der eigenen Art.  Es herrscht ein Klima des Auserwähltseins. Sendungsbewusst sollen die Menschen in den Dörfern missioniert werden.

 

Präventionsexperten wie Günther Hoffmann beobachten diese gefährliche Entwicklung seit langem, sie warnen davor, dass die meisten Siedler konspirativ vorgehen. Es dauert oft eine ganze Weile, bis ihr menschenverachtendes Weltbild deutlich wird, so Hoffmann.