Seit Mitte März ist eine Gruppe iranischer Flüchtlinge in Würzburg mit kleineren Unterbrechungen im Hungerstreik. Sie kämpfen gegen Lagerunterbringung, Residenzpflicht, Abschiebung und für ein Bleiberecht. Mit andauernden Protestcamps zeigen sie seit dem 18. März Präsenz in der Würzburger Innenstadt und kämpfen dafür, ihre gesellschaftliche Isolation zu durchbrechen und Gehör zu finden. Am 4. Juni nähten sich zwei der Hungerstreikenden die Münder zu und trugen den Protest damit auf eine neue Ebene. Am 6. Juni folgten ihnen zwei weitere.
Wir sind die Stimme aller Asylbewerber, die ihr Recht einfordern. Wir haben laut geschrieen, aber niemand hat uns gehört. Jetzt haben wir unsere Lippen zugenäht, weil alles gesagt wurde.
Diese Aktion ist so extrem, wie die Umstände, die die Streikenden dazu brachten. In Deutschland lebende Asylbewerber*innen werden systematisch aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Sie sind gezwungen in gefängnisähnlichen Lagern, oftmals weit außerhalb von Städten, zu leben. Strenge Auflagen berauben sie ihrer Bewegungsfreiheit und die finanzielle Unterstützung des Staates liegt weit unter dem gesetzlich festgeschriebenen Existenzminimum. Durch eine Ablehnung ihres Asylantrags werden die Asylbewerber*innen illegalisiert oder müssen mit stark befristeten Duldungen leben und ständig ihre Abschiebung fürchten. Die in Würzburg kämpfenden Flüchtlinge haben es satt, sich diese Ungleichbehandlung gefallen zu lassen, sie fordern:
- Die sofortige Schließung der Gemeinschaftsunterkünfte. Das System der Gemeinschaftsunterkünfte schottet die Menschen von der Gesellschaft ab und ist für viele Selbstmorde und psychische Erkrankungen verantwortlich.
- Abschiebung in alle Länder müssen sofort gestoppt werden. Die Zusammenarbeit zwischen den Regierungen bei Abschiebungen ist trügerisch und beschämend und zahlreiche Menschen wurden so in den Tod geschickt.
- Die menschenunwürdige Residenzpflicht, die die individuelle und soziale Freiheit wie bei Haustieren die an der Leine geführt werden negiert, muss sofort abgeschafft werden.
- Schlussendlich fordern wir vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unsere sofortige Anerkennung als politische Flüchtlinge.
Wir erklären uns uneingeschränkt solidarisch mit den Forderungen der Flüchtlinge! Mit Entsetzen mussten wir jedoch feststellen, das ihr Protest durch zahlreiche zuvor solidarische Einzelpersonen und Gruppen diffamiert wird. Die Mittel seien zu radikal und der Schritt des Lippenzunähens mache „die Arbeit kaputt, die hier seit Jahren für sie betrieben wird.“ so bspw. Michael Koch, Vorsitzender des Freundeskreises für ausländische Flüchtlinge in Unterfranken. Doch nicht nur einzelne lokale Unterstützer*innen entsolidarisieren sich, auch große und wichtige Organisationen, wie PRO ASYL meinen die Schritte der Streikenden kritisieren zu müssen. Es stellt sich die Frage, ob die Kritiker*innen von dieser selbstgewählten Aktionsform der Flüchtlinge überfordert sind oder sich in ihrer paternalistischen Fürsprecher*innen-Rolle gestört fühlen.
Die Kämpfenden haben sich bewusst für die provokante Aktion des Lippenzunähens entschlossen, da sie mit ihren bisherigen Aktionen kein Gehör fanden. Damit machen sie ihre eigene Unhörbarkeit hörbar. Die Distanzierung der vermeintlicher Unterstüzer*innen-Gruppen disqualifiziert unliebsame Aktionsformen und ist gerade in diesem Moment äußerst destruktiv. Gerade jetzt gilt es ein großes Bündnis zu schaffen, dass den Protest hörbar macht und den Forderungen der Kämpfenden Nachdruck verleiht. Eine breite antirassistische Bewegung lebt von vielfältigen Aktionsformen! In diesem Sinne rufen wir dazu auf, die kämpfenden Flüchtlinge zu unterstützen und ihre Forderungen zu verbreiten!
Es gibt nichts mehr zu sagen, es wurde alles gesagt.
Eine bessere Welt ist möglich, wir möchten ein Teil dieser Verbesserung sein.
Initiative Grenzelos | Leipzig - grenzelosini@riseup.net