Repression gegen Newroz-Feiern in Nordkurdistan (Amed/Diyarbakir)

Yüksekova/Gever - Foto von newroz2012.blogsport.de

Delegationsbericht vom 20.3.2012

Trotz des Verbots durch die türkischen Behörden feierten etwa 1 Million Menschen in Amed/Diyarbakir das kurdische Neujahrsfest Newroz. Die Lage in der sogenannten Hauptstadt Nordkurdistans war bereits zu Beginn der Newroz-Feierlichkeiten sehr angespannt. Über 7000 politische Gefangene wurden seit November 2011 inhaftiert, darunter Aktist_innen, Journalist_innen, Abgeordnete und Mitarbeiter_innen der kurdischen Partei BDP.

 

Trotz oder vielleicht gerade wegen der Repression, die mittlerweile von Aktivist_innen als aehnlich stark wie die Repressionswellen in den 1990er Jahren beschrieben wird, wurden zu den Newroz-Feierlichkeiten in Amed weitaus mehr Besucher_innen erwartet als in den letzten Jahren. Die Newroz-Feier war auf das Wochenende vorverlegt worden, da der eigentliche Tag des Newroz, der 21.3., in der Türkei kein Feiertag ist und Arbeitenden und Besucher_innen aus den umliegenden Staedten die Anreise ermöglicht werden sollte. Bereits am 16.3. wurden die Feiern in Amed und İstanbul am 18. Maerz jedoch von den türkischen Behörden verboten. Der Newroz-Platz Qada Newrozê, auf dem bereits von der der kurdischen Stadtverwaltung eine grosse Bühne aufgebaut war, wurde von der Polizei mehrfach besetzt, das technische Equipment beschlagnahmt und die an der Bühne angebrachten Bilder von gefallenen Guerilla herausgeschnitten. Am Morgen des 18.3. raeumte die Polizei den Platz bereits früh mit Panzern und drohte, das Feuer auf die feiernde Bevölkerung zu eröffnen. Ausserdem wurden Gruppen, die auf dem Weg zu den Feierlichkeiten waren, in der Stadt mit Pfefferspray und CS-Gasbomben angegriffen. Die türkischen Behörden hatten für das Datum über 2000 Polizist_innen (darunter Spezialeinheiten) aus anderen Staedten eingezogen. Bereits am Morgen kam es in der Stadt mehrfach zu gewalttaetigen Auseinandersetzungen zwischen der kurdischen Bevölkerung und der Polizei. Dabei wurden 19 Menschen verletzt, davon 5 Kinder; auch unter den 2 Schwerverletzten befindet sich ein Kind.

 

Der Qada Newrozê war mit hohen Drahtzaeunen und Barrikaden abgesperrt worden. Die Zufahrtsstrassen zum Platz wurden gesperrt. Kaempfe fanden auch an den Polizeiblockaden statt. Mit einem Panzer versuchte die Polizei den Bus mit Abgeordneten der BDP daran zu hindern, den Vorplatz des BDP-Büros in Amed zu verlassen. Erst als Strassenkinder und Jugendliche die Polizei massiv mit Steinen angriffen, konnten die Abgeordneten den Platz verlassen. Als die Abgeordneten die Polizeiblockaden erreichten, wurden sie angehalten. İn der folgenden verbalen Auseinandersetzung wurde der BDP-Abgeordnete Ameds, Altan Tan von einem Polizisten beschimpft und getreten. Als Tan sich daraufhin zur Wehr setzte, kamen viele Unterstützer_innen hinzu und die Situation eskalierte. Der Polizei wurde von den Abgeordneten und Demonstrant_innen mitgeteilt, sie würden den Qada Newrozê, sonst aber das Regierungsgebaeude besetzen, wenn sie nicht durchgelassen würden. Die Barrikaden wurden daraufhin von Demonstrant_innen niedergerissen. Die Polizei hatte auch das an den Qada Newrozê Feld ausser Acht gelassen, wo die Zaeune niedergerissen wurden und der Platz sich gegen 10:30 Uhr mit Menschen füllte.

 

Die Newrozfeiern mit Musik und Tanz dauerten bis in die Abendstunden. Die Ansprachen der Abgeordneten (unter anderem der Bürgermeister von Amed, Osman Baydemir sowie die Abgeordneten Aysel Tuğluk, Ahmet Türk, Selahattin Demirtaş und Zübeyde Zümrüt) wurden fast ausnahmslos auf Kurmancî gehalten. Die Beitraege der Abgeordneten waren trotz der allen bewussten Überwachung über die Kameras der Hubschrauber, Funkwagen und Zivilpolizist_innen radikal. Osman Baydemir erinnerte an die kurdischen Serhildans (Aufstaende) v. a. in den 1930er und 1980/90er Jahren und forderte zu neuen Aufstaenden auf. Er sandte solidarische Grüsse in die palaestinensischen Besatzungsgebiete. Die Abgeordnete Aysel Tuğluk sagte: “İhr habt heute selbst Geschichte gemacht. Tausende von Polizist_innen wollten die Strassen sperren, aber ihr habt es trotzdem hierher geschafft… wir Kurd_innen haben gesagt wir wollen Frieden, aber sie haben uns massenweise inhaftiert. Wir haben gesagt wir wollen Brüderschaft/Schwesternschaft, aber sie haben uns massakriert. Heute ist es egal wie stark die Unterdrückung ist; die Kurd_innen werden aufstehen.”

 

İm Zuge der Newroz-Feierlichkeiten wurde in İstanbul der Kreisvorsitzende der BDP Haci Zengin mit einer Gasbombe am Kopf getroffen und verstarb. Am Dienstag, den 20.3. wurde in  Êlih/Batman Ahmet Türk, BDP-Abgeordneter aus Mêrdin und Vorsitzender der DTK (Kongress für eine demokratische Gesellschaft) bei seinem Besuch der Newroz-Feiern zuerst mit CS-Gasbomben angegriffen und daraufhin brutal zusammengeschlagen und liegt mit 20 weiteren schwer Verletzten im Krankenhaus; ein Jugendlicher wurde getötet.

 

Waehrend der und im Anschluss an die Feierlichkeiten in Amed wurden mehrere Polizeifahrzeuge angegriffen. Teilweise wurden den Polizist_innen in den Waegen Schlagstöcke und Waffen abgenommen. Etwa 12 Funkbusse der Mobilfunkanbieter, die von der Polizei zum Abhören von Gespraechen und Telefonaten genutzt werden, wurden angezündet und brannten komplett aus.

 

Bisher gab es in Amed 19 Festnahmen, davon 5 Kinder. Die grosse Festnahmewelle wird in den naechsten Tagen erwartet, wenn die Polizei ihr Kameramaterial ausgewertet hat. Heute am 20.3. in den Morgenstunden wurden die Raeumlichkeiten mehrerer kurdischer Zeitungen und Fernsehsender durchsucht und saemtliches Kameramaterial zum Newroz beschlagnahmt.

 

Amed, 20.03.2012 / Delegation der Yekitiya Xwendekarên Kurdistan

(Verband der Studierenden aus Kurdistan)