Hamburger Gitter zu Lancaster

Antifa-Logo

Ein Fazit zu den Protesten gegen den Naziaufmarsch am 5. März 2012 in Chemnitz.
Noch bevor das Kalenderblatt des 5. März 2012 aufgeblättert war, zogen die düsteren Wolken eines restriktiven Demokratieverständnisses die Stimmung in Chemnitz gen Null. Naziauflagen für eine antifaschistische Demonstration durch die Polizei – gegen welche erfolgreich geklagt wurde, sowie eine flächendeckende Kameraüberwachung der Innenstadt verhießen nichts Gutes. Letztere legitimiert durch eine an Quacksalberei grenzende Gefahrenprognose gegenüber den KritikerInnen der Gedenkkultur, NazigegnerInnen und deren potentiell gemeingefährlichen Thermoskannen.


Die Demonstration des antifaschistischen Kulturbündnisses „Supersonic“ und „Chemnitz Nazifrei“ begann im Panoramablick eines Freiluftgeheges aus sogenannten Hamburger Gittern rund um den Bahnhofsvorplatz. Nahezu jede Person musste sich peinlich genau durchsuchen lassen, um an der Demonstration teilnehmen zu dürfen. Zwei angedachte OrdnerInnen wurden aufgrund von fadenscheinigen Behauptungen, es sei eine wie auch immer geartete „Tendenz“ erkennbar, von der Polizei abgelehnt.

Im Anschluss an die Auftaktkundgebung – einige Redebeiträge, garniert mit einem Auftritt von Kraftklub – zog ein Strom von ca. 2500 Menschen in Richtung Innenstadt, erfreulicherweise eine gute Mischung der Altersklassen und auch nicht wenige, welche das erste mal eine Demonstration besuchten. Auf Höhe des Johannisplatz wurde aufgerufen sich der studentischen Demonstration anzuschließen, wodurch mindestens die Hälfte der Demonstrierenden die Zschopauer Straße hinauf zog. Der Rest hielt eine Zwischenkundgebung am Moritzhof ab und begab sich im Anschluss mit dem Lautsprecherwagen zur Ritterstraße, um dem Pulk von GeschichtsrevisionistInnen ebenfalls einen schallenden Empfang zu geben.

Alles in allem eine erfolgreiche Demonstration. Die Mischung aus Pop und Politik hat erfolgreiche Blüten getrieben. Selbst die regionale Presse fühlte sich bemüßigt positiv zu berichten schließlich blieb ja alles superfriedlich. Wen wundert's, wenn die Demonstrierenden widerwillen als AkteurInnen des Friedenstages diffamiert wurden. Der angebliche Störversuch von 100 bis 150 potentiell „Gewaltbereiten“ war nach aktuellem Kenntnisstand lediglich ein fünfminütiges Rütteln von ca. 75 Personen an Hamburger Gittern, welches durch Pfefferspray und Knüppeln durch die HüterInnen des sächsischen Versammlungsrechts beantwortet wurde; nur nebenbei...

Die erwähnte mediale Vereinnahmung in das städtische Gedenktheater haben sich die Bündnisse auch selbst zuzuschreiben. Wie auch in den Jahren zuvor hat es das Bündnis „Chemnitz-Nazifrei“ nicht geschafft eine klare Blockadeposition zu formulieren. Sich irgendwie gegen Nazis zu äußern, das hatte selbst die Oberbürgermeistern Barbara Ludwig mit ihren Sternmärschen und dem Kerzenmeer auf dem Neumarkt noch hinbekommen. Dass die Demonstration vom Hauptbahnhof mehr sein sollte als symbolischer Protest, das müssen die OrganisatorInnen im Vorfeld eindeutig kommunizieren, wollen sie jemals die Menschen in Chemnitz dazu bringen nicht mehr vor jedem Polizeiflyer davonzulaufen.

Ebenso deutlich wird wieder einmal, dass der Platz für menschenverachtende Ideologien staatlich geschaffen werden kann. Genauso wie er jedoch geschaffen werden kann, hat zumindest Dresden in diesem Jahr bewiesen, dass auch dem effektiven Protest Platz einräumbar ist, wenn dem auch ein jahrzehntelanger Diskurs vorausgehen musste. Schön wäre es, diese Jahre der geistigen Stumpfheit Chemnitz ersparen zu können. Dies scheint aber leider ganz und gar nicht gewollt.

Nach den Blockadeversuchen des vergangenen Jahres setzte sich diese Tendenz 2012 innerhalb der vergitterten Möglichkeiten weiter durch. Viele Menschen suchten Lücken und waren bereit Gelegenheiten zu nutzen, welche jedoch konsequent an der flächendeckenden Aufstellung von Team Green scheiterten. Trotz der hermetischen Abriegelung eines Stadtviertels für ein braunes Tränenmeer wurde Protest in Hör- und Sichtweite erfolgreich erkämpft und dies ist wahrlich zu beglückwünschen.

Neben den Bündnissen „Chemnitz Nazifrei“ und „Supersonic“ wurde auf dem Markt, wie in jeden Jahr mit großem Pomp aber ohne Inhalte der Friedenstag zelebriert – weiterhin recht weit entfernt von formulierter Kritik an kollektivem Bombengedenken.

Trotz positiver Momente, die am 5. März 2012 in Chemnitz erkennbar wurden, bleibt die Situation die selbe: Nazis opfern durch die Stadt, BürgerInnen verlangen nach wie vor einen Fokus auf vermeintlich „deutsche Opfer“. Kranzniederlegung auf dem städtischen Friedhof, Friedenskreuz, Sternenmarsch und Kerzentragen natürlich mit weiße Rosen, Glockengeläut zum Abend? Klingt nach Dresden, fühlt sich auch so an. Fragt sich wann Chemnitz endlich um Eingemeindung vor den Dresdener Stadtoren bettelt. Adaptionsfähig wurde sich schließlich bisher im Bezug auf Naziaufmärsche sowie Erinnerungskultur gezeigt und schließlich würde auch der Altersunterschied endlich angeglichen.
Getoppt wird die ganze braune Scheiße mit einem Nazischulungszentrum, sowie einem sich metastasenartig ausbreitendem Geflecht an Naziläden. Mission accomplished? Mit nichten! Baustellen gibt es noch genug.