Die Überwachungsindustrie wächst und die Behörden freuen sich. Drohnen klein wie Spinnen

Erstveröffentlicht: 
29.02.2012

Es geht weiter und weiter, die Aushöhlung jener Freiheiten, die wir Bürger- und Menschenrechte nennen. Die deutschen Geheimdienste überwachen, wie kürzlich bekannt wurde, E-Mails und andere Formen der Internetkommunikation in gigantischem Ausmaß: Im Jahr 2010 wurden 37.292.862 E-Mails und Datenverbindungen nach bestimmten Stichwörtern durchsucht, das sind fünfmal mehr als im Jahr davor. Mit welchem Erfolg? Nur in 213 Fällen habe sich etwas Verwertbares ergeben.

 

Im Februar 2011 hat die Dresdner Polizei im Zusammenhang mit einer Anti-Neonazi-Demonstration die Telefone Zehntausender Bürger ausspioniert und mehr als eine Million Datensätze gesammelt, angeblich um schwere Straftaten zu verhindern. In Berlin haben die Behörden letztes Jahr Tausende Handydaten ausgewertet, um Autobrandstiftern auf die Spur zu kommen. Das Instrument der sogenannten Funkzellenabfrage sei 2011 „in erheblichem Maße“ genutzt worden, heißt es bei der Berliner Staatsanwaltschaft.

 

Zur Fußball-Europameisterschaft soll in Polen probeweise Indect eingesetzt werden, ein Versuchsprojekt, bei dem Informationen aus Behördendatenbanken und Social Networks mit jenen von Überwachungskameras sowie den Lokalisierungsdaten der Handy-Netzbetreiber abgeglichen werden. Wird eine bestimmte Person als auffällig deklariert, folgen gesonderte, voll automatisierte Überwachungsmaßnahmen, darunter auch die Verfolgung mit Drohnen. Um auffällig zu werden, kann es genügen, sich zügig durch den Aufnahmebereich einer Kamera zu bewegen oder in eine andere Richtung als die Masse zu laufen.  

 

 

Punkto Drohnen: in Norddakota wurde neulich die Hilfe von Drohnen in Anspruch genommen, um Rinderdiebe ausfindig zu machen, Teil der wachsenden Militarisierung der Polizei. Drohnen, manche von ihnen klein wie Vögel oder Spinnen, sind billig, billiger als jede andere Überwachungstechnologie, etwa Helikopter oder stadtweite Kameras. In den USA und Großbritannien, die uns in Sachen Überwachung stets einige repressive Schritte voraus sind, werden sie schon öfters im Polizeidienst eingesetzt.

 

"Before I destroy America"

 

Einer anderen Wachsamkeit ist ein irischer Tourist Ende Januar am Flughafen von Los Angeles zum Opfer gefallen. Zwölf Stunden lang wurde er verhört, er hatte in der Woche davor nämlich getwittert: „free this week for a quick gossip/prep before I go and destroy America“, Letzteres ein in den USA wohl unbekannter Slangausdruck für „die Sau rauslassen, aufmischen“. Nach dem Verhör wurde er in den nächsten Flieger nach Hause gesteckt.

 

Weniger glimpflich werden zukünftig all jene Menschen davonkommen, die von der US-Armee als Terroristen verdächtigt werden. Präsident Obama unterzeichnete kürzlich ein Gesetz, das es der Armee erlaubt, solche weltweit auf unbegrenzte Zeit zu verhaften, ohne rechtliche Überprüfung oder zeitliche Begrenzung (National Defense Authorisation Act 2012).

 

Das sind nur einige, eher zufällig gewählte Beispiele von unzähligen, bei denen allerdings die Grundzüge einer grauenerregenden Entwicklung sichtbar werden. Wie der Fall des irischen Touristen aufzeigt, sind die Maßnahmen meistens wirkungslos zur Verhinderung von Straftaten, von enormer Wucht hingegen bei der Einschüchterung der Bürger.

 

Die Vorgehensweise bei der Verschärfung repressiver Maßnahmen ist stets die Gleiche, wie wir gerade wieder bei Acta erfahren durften: Die Verhandlungen zu diesem Zensurabkommen wurden seit 2007 geführt, unter Geheimhaltung innerhalb der EU-Kommission. Es gab keinerlei Transparenz – während aber die Öffentlichkeit und sogar das EU-Parlament nichts wussten, wurden die Lobbyvertreter der Unterhaltungs- und Softwareindustrie regelmäßig informiert.

 

Erst massive Bürgerproteste und die Einmischung des EU-Parlaments führten zunächst zu einem Abmildern des Textes, dann zu einer grundsätzlichen Diskussion über Sinn und Zweck des Abkommens. Wie immer war kein demokratisches Bewusstsein seitens der beteiligten Institutionen erkennbar. Die Befürworter behaupten bei jeder Maßnahme enorme Vorteile für die Verhinderung und Aufklärung von Straftaten (über die gewaltigen Profite für die betroffenen Industrien schweigen sie sich hingegen aus).

 

Das Wachstum der Sicherheitsindustrie

 

Besonders bedenklich ist auch das explosionsartige Anwachsen des sicherheitsindustriellen Komplexes, inzwischen eine milliardenschwere Industrie (letztes Jahr betrug der weltweite Umsatz an die 5 Milliarden Euro), die Behörden weltweit Systeme anbietet, die eigenen Bürger zu identifizieren, ausfindig zu machen und zu verfolgen, meist anhand ihrer Handys und Computer.

 

Die Marketingbroschüren der einschlägigen Firmen sind von frappierender Offenheit: Eine deutsche Firma etwa bietet die Möglichkeit an, „politische Gegner“ zu überwachen, eine italienische behauptet, sie ermögliche ihren Kunden, aus der Ferne die Kontrolle über Smartphones zu gewinnen, um die jeweiligen Nutzer abzuhören sowie zu fotografieren. Eine Firma aus Südafrika bietet Tools an, um Milliarden von Gesprächen aufzunehmen und abzuspeichern.

 

Diese und viele andere Informationen finden sich in den „Spy Files“, Dokumenten über 130 Firmen aus 25 Staaten, von Brasilien bis zur Schweiz, die man auf Wikileaks und auf der Webseite von Privacy International nachlesen kann. Der Umfang der technischen Möglichkeiten ist atemberaubend. „Wieso nur Stichproben einholen, wenn sie kostengünstig den gesamten Netzwerkverkehr überwachen können?“, prahlt eine Broschüre der Firma Endace aus Neuseeland.

 

Und China Top Communications aus Beijing bietet eine Software an, mit der man die Passwörter von dreißig der führenden E-Mail-Provider, darunter auch Gmail, knacken kann: „in Echtzeit durch eine passive Vorgehensweise“. In der orwellischen Sprache der Überwachungsindustrie bedeutet „passiv“ ohne Kenntnis des Betroffenen. Dies und viel Schlimmeres droht uns, wenn wir passiv bleiben.