Armee macht Arbeit

Erstveröffentlicht: 
22.12.2011

Die Verkleinerung der Bundeswehr lässt die Gewerkschaften um Arbeitsplätze fürchten. Neue Jobs verspricht sich die IG Metall von den wachsenden deutschen Rüstungsexporten.

 

»Wir für die Marine« stand auf einem Transparent, auf einem anderen: »Kiel braucht die Marine, die Marine braucht Kiel«. Der Verdi-Landesbezirk Nord hatte Mitte November zu einer Demonstration aufgerufen. Es war der bisherige Höhepunkt einer Kampagne für den Erhalt des Marinearsenals in Kiel, das im Rahmen der Bundeswehrreform geschlossen werden soll. 750 Arbeits- und 120 Ausbildungsplätze sind davon betroffen. Jochen Penke, bei Verdi Nord für die Bundeswehr zuständig, beklagt darüber hinaus, dass Schleswig-Holstein etwa 11 000 Dienstposten der Bundeswehr verlieren würde. »Offensichtlich traditionsreiche, bewährte und unverzichtbare Dienststellen« würden damit geschlossen, »ohne Rücksicht«, wie er sagt. Penke fasst es adäquat militärisch zusammen: »Das kommt einer historischen Kapitulation gleich«.

 

»Das Marinearsenal kann die für die Marine wichtigen Dienstleistungen in exzellenter Form am besten und am preisgünstigsten sicherstellen und erledigen – deshalb muss dieser Betrieb erhalten bleiben«, heißt es in dem Aufruf von Verdi. Nicht von den sozialen Rechten der Beschäftigten ist die Rede, sondern vom Wohl des Militärs, dem sich Verdi Kiel schon länger andient. Bereits Ende vorigen Jahres schloss man unter anderem mit Organisationen der Streitkräfte, dem Unternehmerverband BDA, der SPD und der CDU ein Bündnis für den Erhalt des Marinestandorts. Aus der linken Szene Kiels wurde daran Kritik geübt, etwa von der Lokalzeitschrift Linx. Auch die FAU Kiel verurteilte »die Anbiederung Verdis an das Militär« und die »Standort- und Effizienzlogik als übergeordnetes Leitmotiv«. »Das Unpolitische schlägt gerade hier in eine politische Affirmation um: Bejahung des Militarismus«, kommentierte Marcus Munzlinger von der FAU Kiel.

 

Offiziell steht Verdi hinter der Truppe. »Die Bundeswehr ist Teil unserer demokratischen Gesellschaft«, distanzierte sich etwa der Vorsitzende Frank Bsirske von Protesten aus den eigenen Reihen gegen eine Rekrutenwerbung beim Hessentag 2011. »Es ist für Verdi selbstverständlich, dass für den Eintritt in die Bundeswehr auch geworben wird«, so Bsirske. Auf dem letzten Bundeskongress von Verdi im September kam es dann aber doch zu einer Diskussion über den Umgang mit der Bundeswehr. Zahlreiche Delegierte forderten einen Beschluss, wonach man jegliche Beteiligung der Bundeswehr an kriegerischen Auseinandersetzungen ablehne. Andere Delegierte konterten, dies sei inakzeptabel, weil es die Bundeswehr an sich in Frage stelle. Achim Meerkamp, der im Bundesvorstand für die Beschäftigten bei der Bundeswehr zuständig ist, argumentierte schließlich, ein solcher Beschluss würde die Arbeitsplätze vieler Mitglieder bedrohen. Am Ende stand ein Kompromiss: »Verdi setzt sich dafür ein, dass die Bundeswehr ausschließlich der Landesverteidigung dient. Auslandseinsätze sind vom Parlament zu beschließen und auf humanitäre Blauhelm-Einsätze im Rahmen der UNO-Charta zu begrenzen.«

 

Beim Thema Rüstungsexport wurde man konkreter: »Verdi fordert, dass die Bundesrepublik Deutschland den Export von Waffen durch eine gesetzliche Präzisierung stoppt.« Eine solche Forderung kann man sich bei Verdi erlauben, schließlich betrifft die Rüstungsindustrie nicht den eigenen Organisationsbereich, sondern den der IG Metall. Auf deren Kongress im Oktober wiederum forderten Mitglieder, etwa aus dem »Arbeitskreis Internationalismus«, »eine klare Positionierung gegen Krieg und für Abrüstung«. Auch diese Debatte wurde rasch unterbunden, vom Vorsitzenden höchstpersönlich. Bertold Huber erklärte, er sei dagegen, dass sich die IG Metall von der Diskussion in der Rüstungsindustrie »abkoppelt«, die immerhin 80 000 Arbeitsplätze umfasse.

 

Wie die Beteiligung an dieser Diskussion ausfällt, zeigt eine Veröffentlichung aus dem Haus der IG Metall: die Broschüre »Perspektiven der deutschen militärischen Schiffsbaukapazitäten im europäischen Kontext«. Verantwortlich für diese ist unter anderem Kai Burmeister vom Arbeitskreis »Wehrtechnik und Arbeitsplätze«, in dem zahlreiche Betriebsräte aus der Rüstungsindustrie mitwirken. In der Schrift wird etwa festgestellt, dass Rüstung den Export fördere. Es böte große Chancen, dass »einige Schwellenländer milliardenschwere Beschaffungen von Marineeinheiten« planten. Vorgeschlagen wird auch ein »industriepolitischer Dialog« zwischen Regierung, Unternehmen und IG Metall »zur Sicherung der industriellen Kernfähigkeiten im Bereich des Marineschiffbaus«. Dies sei für die IG Metall von »nationaler Bedeutung«. Außerdem fordert man »eine Koordination in den Hauptsegmenten des deutschen Marineschiffbaus«, um sowohl »für die Einsatzfähigkeit der deutschen Marine als auch für die Exportfähigkeit der jeweiligen Produkte eine leistungsfähige Basis sicherzustellen«. Vor diesem Hintergrund möchte der Vorstand der IG Metall den Rüstungsexport im maritimen Bereich ausgebaut sehen.

 

Bereits 2005 hatte Hartmut Küchle vom Arbeitskreis in einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung die Ausweitung der staatlichen Exportförderung für Rüstungsgüter gefordert: »Da der Staat der privaten Industrie heute kaum noch eine Bestandsgarantie geben kann, ist der Export zur Sicherung der erforderlichen Mindestkapazitäten umso notwendiger.« Seitdem hat die deutsche Rüstungsindustrie – mit Unterstützung der IG Metall – ihre Exporte stark ausgebaut. So auch die EADS-Tochter Cassidian, deren erklärtes Ziel es ist, den eigenen Umsatz in den nächsten zehn Jahren durch Exporte zu verdoppeln. Im Juli wurde bekannt, dass Cassadian mit Unterstützung der Bundesregierung Saudi-Arabien mit »Sicherheitstechnologie«, vor allem zur Kontrolle der Grenzen, aufrüstet. Auch der Rüstungskonzern Krauss-Maffei Wegmann darf Kampfpanzer nach Saudi-Arabien verkaufen, insgesamt 270 Stück. Und diese moderne Version des »Leopard 2« ist nicht mehr nur auf große Panzerschlachten ausgelegt: Er verfügt etwa über einen Räumschild, der Barrikaden beseitigen kann und gegen Demonstranten einsetzbar ist.

 

Gut geeignet für Aufstandsbekämpfung, Grenzkontrollen und moderne, flexible Kriegsführung ist auch das Gewehr G36 von Heckler & Koch. Ab 2012 wird es – dank internationaler Lizenzen – auch in Saudi-­Arabien in Serie gefertigt werden, unter Zulieferung von Schlüsselkomponenten aus Deutschland. Heckler­­&Koch ist mittlerweile der fünftgrößte Hersteller von Gewehren und Pistolen weltweit. Es gibt kaum einen Bürgerkrieg, in dem keine G36 auftauchen. Wie locker die Rüstungsexporte vonstatten gehen, zeigte sich auch im Libyen-Krieg. Gaddafi verfügte etwa über Militärtransporter von Mercedes-Benz und Störsender aus deutscher Fertigung. Besonders profitabel lief es für das europäische Rüstungsunternehmen MBDA, dessen Verkaufsschlager die Panzerabwehrrakete Milan 3 ist, deren Abschussanlagen in Bayern gebaut werden. Über diese Raketen verfügten gleich alle drei Kriegsparteien: Gaddafis Truppen, die Nato und die Rebellen.

 

Tatsächlich hat der deutsche Rüstungsexport im Jahr 2010 einen Rekordwert erreicht. Er wurde innerhalb eines Jahres um rund 60 Prozent gesteigert. Noch nie zuvor hatte Deutschland so viele Kriegsgüter exportiert, wie der alljährliche Rüstungsbericht des Bundeskabinetts belegt. Nicht nur der Staat, auch Gewerkschafter fördern derzeit dieses Geschäft.