Khadzimurad Kamalov: ein vorhersehbarer Tod

Khadzimurad Kamalov, Bild aus dem guardian

Wie bereits an anderer Stelle berichtet, wurde am vergangenen Donnerstag in der südrussischen Provinz Dagestan der Journalist Khadzimurad Kamalov ermordet. Kamalov muste sterben, weil er über folternde Sicherheitskräfte und korrupte Staatsinstitutionen recherchiert und berichtet hatte. Deswegen stand er bereits seit 2009 auf einer anonym verbreiteten Todesliste. Seine langjährige Kollegin bei der Wochenzeitung Chernovik Nadira Isayeva hat in der britischen Zeitung the guardian einen eigenen Nachruf veröffentlicht. Isayeva verließ die dagestanische Hauptstadt Makhachkala dieses Jahr, weil dort eine öffentliche Schmutzkampagne gegen sie gestartet worden war.

 

Eine Übersetzung von Isayevas Nachruf sei hier den Leser_innen von Indymedia Linksunten zur Verfügung gestellt.

 

Khadzimurad Kamalov: ein vorhersehbarer Tod
Ich arbeitete bei der Zeitung Chernovik aus Dagestan, die er gründete und später rettete. Er hatte gefährliche Feinde

von Nadira Isayeva

Die ganzen sieben Jahren über, die ich mit Khadzimurad Kamalov zusammengearbeitet habe, habe ich auf diesen Tag gewartet. Den Tag, an dem sie ihn umbringen.

Zum ersten mal setzte ich einen Fuß in die Büros von Chernovik im frühen Oktober 2004, nachdem ich auf einen Stellenanzeige für einen Wirtschaftsredakteur geantwortet hatte. Die Büros waren im dritten Stock eines baufälligen Gebäudes und beinhalteten drei bescheidene Räume. Der Gründer der Zeitung, Khadzimurad, saß in einem Büro mit seinem Buchhalter und und seinem Sekretär. Das Vorstellungsgespräch war irgendwie unorthodox und fand im Beisein aller der Personen statt. Khadzimurad stellte weitreichende Fragen und schien iVertrauen in meine Kenntnisse zu haben. Eine Woche später, nach dem er sich meine Vorschläge für Stories durchgelesen hatte, bot er mir den Job an.

Jeden Tag, wenn ich zur Arbeit kam, traf ich Menschen, die mit Computern und anderem technischen Equipment auf dem Weg nach draußen waren. Wie ich später von meinen neuen Kollegen erfuhr, verkaufte Khadzimurad alles aus seiner Büro-Ausstattung. Wegen eines Konflikts mit den Geldgebern der Zeitung – einflussreiche Leute aus Dagestan – hatte die Zeitung Geldprobleme und konnte nicht mehr veröffentlicht werden. Khadzimurad verkaufte sein eigenes Auto. Später lieh er Geld und nahm seine kleine Wohnung als Garantie, in der er mit seiner Frau und seinem Sohn lebte. Fast sechs Wochen lang kamen die Angestellten der Zeitung jeden Tag zur Arbeit, ohne bezahlt zu werden. Aber sie hatten Vertrauen darein, dass der Besitzer es schaffen würde, Investoren zu überzeugen, dass die Zeitung ein profitables Geschäft wäre. Und er schaffte es. Die Zeitung wurde wieder veröffentlicht und konte sich selbst tragen.

Khadzimurad hatte viele Feinde. Er hatte keine Angst, sein Motto zu äußern: „Eine Zeitung braucht keine Freunde.“ Er etwas ritterliches an sich. Er konnte sich zu einem Treffen mit abgebrühten Banditen machen und unbeschadet wieder zurückkommen. Er liebte es, Korruption auf die Spur zu gehen. Viele der Leute, die durch ihn aufflogen – höhere Angestellte im öffentlichen Dienst, Polizeibeamte und Angestellte der Staatsanwaltschaft – hatten eine kriminelle Vergangenheit und eine kriminelle Gegenwart. Manche waren gefährlich und schreckten nicht davor zurück, zu töten. Oft gab es Konfrontationen mit den wichtigen Leuten in der Kommune, von denen viele Banditen sind. Wir gewöhnten uns daran, dass dubiose Menschen in unser Büro kamen und verschiedenenste Bedrohungen aussprachen und das Büro, durch die Kraft der Argumente und den magnetischen Charme dieser mysteriösen Person entwaffnet, wieder verließen.

Als vor zwei Jahren, im November 2009, der inguschetische Aktivist Maksharip Aushev ermordet wurde, fragte ich Khadzimurad: „Werden sie uns bald auch umbringen?“ Mit 'uns' meinte ich auch mich, aber in erster Linie ihn, weil ich Khadzimurad immer in einer Reihe mit den herausragendsten Oppositionsführern im nördlichen Kaukasus sah: Magomed Yevloyev, Aushev, Ruslan Nakhushev. Die ersten beiden wurden von Sicherheitskräften ermordet. Der dritte verschwand 2005 spurlos, nachdem er zu einem Gespräch in das lokale Büro des FSB [der russische Geheimdienst, a.d.Ü.] „eingeladen“ wurde.

Seine Antwort: „Dagestan hat noch ein paar Jahre Zeit.“ Genau zwei Tage und einen Monat später haben sie ihn umgebracht.