Demokratie mit der Brechstange

10 Stunden saßen die Sitzblockierer im vergangenen Jahr bei Minusgraden auf der Straße, um den Aufmarsch zu stoppen  © Matthias Zickrow
Erstveröffentlicht: 
13.10.2011

Ein Parteibüro, das angeblich als Schaltzentrale gewalttätiger Aktionen gegen den jährlichen Naziaufmarsch in Dresden gedient haben soll. Ein protestantischer Jugendpfarrer, der verdächtigt wird, Mitglied einer hochkriminellen Vereinigung von Antifaschisten zu sein. Dann die juristisch äußerst fragwürdige Handyüberwachung Zehntausender Bürger und jetzt die Aufhebung der Immunität des sächsischen Linksfraktionschef André Hahn. Das Wort Rechtsstaat klingt in Sachsen bisweilen wie Hohn. Stattdessen: Rechtsbrüche, Willkür und eine gezielte Kriminalisierung von friedlichen Protesten gegen den größten Naziaufmarsch Europas.

 

Mehrfach wurde die sächsische Justiz für ihre Alleingänge von vielen Seiten scharf kritisiert und von Richtern zurechtgewiesen. Das absurde Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen Pfarrer Lothar König wurde eingestellt. Erst vor wenigen Tagen stellte zudem ein Gericht fest, dass die Razzia im Parteibüro der Linken rechtswidrig war. Über 120 vermummte Polizisten hatten das Gebäude am 19. Februar gestürmt und die Türen mit Kettensägen und Brechstangen zerstört. Den Schaden in Höhe von 5600 Euro muss der Freistaat jetzt ersetzen. Der Schaden, den das Vertrauen der Bürger in die Demokratie genommen hat, wird weitaus schwieriger wieder gut zu machen sein.

 

Die Dresdner Staatsanwaltschaft reagiert auf jegliche Kritik bislang abweisend und genervt. „Es ist die Pflicht eines Ermittlers, dafür zu sorgen, dass Sachverhalte aufgeklärt werden“, sagt Generalstaatsanwalt Klaus Fleischmann. Davon, dass seine Behörde dabei offensichtlich immer wieder über die Stränge schlägt, will er nichts hören.

 

Für viele entsteht deshalb der Eindruck, dass die Behörden in Sachsen auf dem „rechten Auge blind“ sind. Die Frage, weshalb es bereits Dutzende Hausdurchsuchungen gegen Gegendemonstranten, aber noch kaum Ermittlungserfolge* wegen des brutalen Angriffs von 120 Neonazis auf das alternative Wohnprojekt „Praxis“ am Rande des Aufmarsches gab, muss sich die Staatsanwaltschaft vorhalten lassen.

 

Politiker Hahn hat recht, wenn er jetzt betont, dass es ist weiterhin legitim und richtig sei, “sich gegen derartige Aufmärsche mit friedlichen Mitteln zur Wehr zu setzen”. Für die Dresdner Zivilgesellschaft, die in den vergangenen Jahren erstmals erfolgreich die Pläne der Rechtsextremen durchkreuzt hat, die Stadt für einen Tag in eine “national befreite Zone” zu verwandeln, ist es wichtig, auch von Politikern Unterstützung zu erhalten. Schließlich kann sich der Kampf gegen Rechtsextremismus nicht allein auf Aufklärung und Ächtung beschränken. Dresden ist das zentrale Ereignis für die rechtsextreme Szene in Europa. Bedrohlich für die Demokratie sind nicht engagierte Menschen, die den Naziaufmarsch verhindern wollen, sondern die Tatsache, dass die Stadt jahrelang im Februar den Neonazis überlassen wurde. Nur so konnte der Aufmarsch überhaupt erst zu dem Nazi-Massenevent werden.

 

Dass die CDU/FDP-Koalition Hahns Immunität auch noch ausgerechnet mit Hilfe der Stimmen der verfassungsfeindlichen NPD aufgehoben hat, ist nicht nur für die Bürger Dresdens ein besorgniserregendes Signal. Für die Staatsanwaltschaft gilt Hahn als „Rädelsführer“ einer Sitzblockade. Bei den zehntausenden Menschen, die sich im kommenden Februar wieder bei Minusgraden für Demokratie und gegen Rechtsextremismus in Dresden auf die Straße setzen werden, kommt eine ganz andere Nachricht an: Wer sich engagiert gilt per se als kriminell und vom Staat, der die Demokratie vor den Rechten schützen sollte, ist keine Hilfe zu erwarten.