Am 4. August erschien in der 18 Ausgabe (2011) des Berliner Kultur- und Veranstaltungsmagazins TIP ein Artikel über die Situation im Schillerkiez in Berlin Nord-Neukölln. Die Autorin Katharina Wagner beschreibt unter dem Titel „Ihr werdet schon sehen“ [1] ein Quartier im Ausnahmezustand. Wenige Tage später wurde der erste Teil des Artikels unter dem sehr viel reißerischen Titel „Mobilmachung im Neuköllner Schillerkiez“ [2] veröffentlicht. Aus Anlaß dieses Artikel haben sich wütende Künstler_innen, Aktivist_innen und andere Neuköllner_innen getroffen, um öffentlich auf die Diffamierungen und boulevardesken Bürgerkriegsphantasien zu reagieren und einen Offenen Brief geschrieben [3].
Wagner behauptet in dem Artikel, daß im Schillerkiez Aktivist_innen und engagierte Neuköllner_innen Kulturprojekte, Galerien und Gewerbetreibende bedrohen würden. Außerdem soll eine Kiez-Miliz mit Sitz im Stadtteil- und Infoladen „Die Lunte“ [4] durch die Straßen patrouillieren und Ausweis- sowie Sprachkontrollen durchführen. Um die Gefahr und die Angst im Kiez zu verdeutlichen, zitiert Wagner verschiedene Galerien, Kneipen- und Cafebetreiber_innen sowie Künstler_innen. Des Weiteren läßt sie Bewohner_innen zu Wort kommen, die anonym die Schauermärchen der ideologiekritischen Zeitschrift BAHAMAS und ihrer sektiererischen Symphatisant_innen wiederholen. In diesem Zusammenhang wird die antifaschistische Gruppe Hummel erwähnt, die eher durch die Reproduktion antimuslismischer Ressentiments und undifferenzierter Israelsolidarität auffällt, als durch emanzipatorisches Engagement. Vor einigen Jahren war das noch anders.
Die Tendenz des Artikels ist diffamierend. Er versucht die Bewohner_innen des Schillerkiez und die engagierten Aktivist_innen als zwei völlig voneinander getrennte Gruppen darzustellen, die sich zum Teil sogar feindlich gegenüber stehen sollen. Vor allem die Zugezogenen und Künstler_innen werden als Opfer präsentiert, die offenbar verängstigt vor den bösen Chaot_innen in ihren Galerien, Kneipen und Büros zittern. Kurz vor dem Weisenstraßenfest [5], das zum Zweiten Mal erfolgreich stattfand, wurde so der Schillerkiez zum Ziel ein Kampagne.
In Gesprächen mit den vermeintlich verängstigten Künstler_innen und den Gewerbetreibenden hat sich allerdings herausgestellt, daß die Zitate entweder so nie gemacht wurden oder die Zitierten selbst gar nicht mit der Autorin gesprochen haben. Die falsch zitierten waren und sind empört. Aus diesem Grund gab es ein Treffen, auf dem ein Offener Brief verfaßt und heute veröffentlicht wurde. Darin distanzieren sich die Unterzeichnenden ausdrücklich „von der Tendenz des Artikels, der eine Konfrontation zwischen Künstler_innen, Kulturprojekten und Aktivist_innen konstruiert“. Außerdem verweisen die Aktivist_innen, Kreativen und die Gewerbetreibenden darauf, daß die zunehmende Mietsteigerungen im Kiez alle betreffen.
Die Autorin und das Magazin TIP haben sich offensichtlich von der BAHAMAS Sekte instrumentalisieren lassen. Die Drohungen gegen den Stadtteil- und Infoladen „Die Lunte“, die einige Tage zuvor öffentlichkeitswirksam in einer Erklärung [6] und bei Indymedia verbreitet wurden, konnten so in einem eher irrelevanten Magazin unterfüttert werden. Der beinah schon religiöse Kreuzzug gegen die zugegebenermaßen äußerst problematische Gruppe „Zusammen kämpfen“ wurde publizistisch erweitert. Wie sich nun zeigt, lassen sich aber weder emanzipatorische Aktivist_innen und Gewerbetreibende noch Künstler_innen und Kulturprojekte in dieser irrationalen Auseinandersetzung instrumentalisieren. Ganz im Gegenteil, die engagierten Neuköllner_innen rücken zusammen.
[1] siehe Artikel "Ihr werdet schon sehen", S. 12 http://just.blogsport.eu/files/2011/08/tip-berlin_-_zk-artikel_seite_1.pdf und S. 13 http://just.blogsport.eu/files/2011/08/tip-berlin_-_zk-artikel_seite_2.pdf
[2] http://www.tip-berlin.de/kultur-und-freizeit-stadtleben-und-leute/mobilmachung-im-neukollner-schillerkiez
[3] siehe http://akab.noblogs.org/offener-brief-an-tip
[4] siehe Erklärung des Stadtteil- und Infoladen „Die Lunte“ zum TIP Artikel http://www.dielunte.de/tip-artikel/gegendarstellung.html
[5] siehe Weisestraßenfest http://weisestrasse.blogsport.de
[6] siehe http://www.redaktion-bahamas.org/aktuell/20110804zk.html