Reizentzug und Gehirnwäsche in der BRD

Stammheim

Das Gefühl, es explodiert einem der Kopf. Das Gefühl, die Schädeldecke müsste eigentlich zerreißen, abplatzen. Das Gefühl, es würde einem das Rückenmark ins Gehirn gepresst. Das Gefühl, die Zelle fährt. Man wacht auf, macht die Augen auf: die Zelle fährt, nachmittags, wenn die Sonne rein scheint, bleibt sie plötzlich stehen. Man kann das Gefühl des Fahrens nicht absetzen. Rasende Aggressivität, für die es kein Ventil gibt. Das ist das Schlimmste. Klares Bewusstsein, dass man keine Überlebenschance hat. Völliges Scheitern, das zu vermitteln. Besuche hinterlassen nichts. Eine halbe Stunde danach kann man nur noch mechanisch rekonstruieren, ob der Besuch heute oder vorige Woche war. Einmal in der Woche baden dagegen bedeutet: einen Moment auftauen, erholen - hält auch für ein paar Stunden an - Das Gefühl, Zeit und Raum sind ineinander verschachtelt (.)"

 

So beschrieb die RAF-Gefangene Ulrike Meinhof in den 70er Jahren die Folgen sensorischer Deprivation. Die US-kanadische Folterforschung wurde in den frühen 70er Jahren etwa am Hamburger Universitätsspital weiter entwickelt, angeblich, um bei isolierten LanzeitpatientInnen, die lange isoliert an lebensrettenden Geräten hängen, Deprivationsphänomene zu mildern. Die 1974 veröffentlichten Resultate fanden sofort Eingang in die bundesdeutsche "Behandlung" von Gefangenen aus linken , bewaffneten Gruppen: "Tote Trakte", in denen Geräusche von ausserhalb der Zelle praktisch inexistent waren; weiss oder in wissenschaftlich bestimmten eintönigen Farben gestrichene Zellen; Unterbindung möglichst jeden natürlichen menschlichen Kontakts durch Einzel- oder Kleinstgruppenisolation etc. Das Prinzip dieser "Weissen" Folter bestand nicht darin, etwa die Augen auszustechen, sondern sie nichts als Monotonie sehen zu lassen. Sensorische Deprivation führt zu schweren körperlichen Schädigungen und so genannten Psychosen und Halluzinationen. Wie das 1977 einer der Hamburger Forscher in der Zeitschrift "Psychologie Heute" 1977 formulierte: "Wenn die Sinne schweigen, sprechen die Nerven".

 

Der Text "Reizentzug und Gehirnwäsche in der BRD" aus dem Jahre 1982, der sich mit der Geschichte und Praxis der Isolationsfolter und sensorischen Depravation beschäftigt, ist auch heute noch von mehr als nur historischer Bedeutung. Nicht nur in Folterlagern wie z.B. Abu Ghraib und anderen, wurden diese Erkenntnisse aus der Folterforschung weiterentwickelt und angewendet, auch in den "Toten Trakts" und Hochsicherheitsgefängnissen in Deutschland, die im Zuge des Kampfes gegen die RAF und andere bewaffnet kämpfende Gruppen errichtet wurden, werden diese Methoden auch heute noch an sozialen Gefangenen exekutiert, die als widerständig oder renitent gelten.

Zu allen Zeiten und überall war es den herrschenden Klassen wichtiger als Revolutionäre einzusperren oder zu töten, sie als gebrochene Menschen vorzuführen, die öffentlich ihre Ziele dementieren.