Eigentlich wollten die sächsische NPD und das Freie Netz “gemeinsam vor dem Symbol nationaler Souveränität in Mitteldeutschland ihre Stärke”demonstrieren (GAMMA berichtete mehrfach). Doch statt der großspurig angekündigten “Kundgebung mit Musikprogramm” vor dem Leipziger Völkerschlachtdenkmal gab es am vergangenen Sonnabend nur ein improvisiertes Rechtsrock-Konzert in einem Steinbruch in Roda (Mutzschen, Landkreis Leipzig).
Verbote
Um die NPD-Kundgebung gab bis zum Schluss ein juristisches Hickhack. Ursprünglich war Maik Scheffler von der NPD als Versammlungsleiter benannt worden. Ihm wurde diese Funktion aber nicht zugestanden: Das Leipziger Ordnungsamt äußerte Zweifel an Schefflers “Zuverlässigkeit”, weil er in der Vergangenheit einige unangemeldete Aufmärsche organisiert und damit gegen das Versammlungsrecht verstoßen hatte. An seiner Stelle sprang NPD-Landtagsmitglied Andreas Storr ein. Aus der Naziszene hagelte es für diese Personalwahl heftige Kritik. Offenbar wegen Storrs Privatleben, das in einem Naziforum samt intimen Details offengelegt wurde.
Die rechtliche Lage spitzte sich noch zu, als die Stadt Leipzig am vergangenen Mittwoch die NPD-Kundgebung und sämtliche Gegenveranstaltungen verboten hat, weil der Polizei zu wenig Beamte zur Verfügung gestanden hätten. An den “Polizeinotstand” glaubte das Leipziger Verwaltungsgericht aber nicht und ließ am Freitag die NPD-Kundgebung wieder zu. Allerdings nicht, wie geplant, am Völkerschlachtdenkmal, sondern an der Ostseite des Hauptbahnhofes, eingekeilt von zwei (ebenfalls wieder erlaubten) Gegenkundgebungen.
Ironie eins: Am selben Ort strandeten am 16. Oktober 2010 bereits die Teilnehmer des “Recht auf Zukunft”-Aufmarsches und in den Jahren zuvor die Anhänger Christian Worchs, die ebenfalls mehrfach erfolglos zum Völkerschlachtdenkmal aufbrechen wollten.
Mit dem Ortswechsel hatte sich die NPD indes abgefunden und auf Rechtsmittel verzichtet. Dennoch verbreitete das “Freie Netz” die Falschinformation, dass der “Rechtskampf” um das “Völki” durchgefochten werde. Tatsächlich war es aber die Stadt, die noch am Freitag eine Beschwerde beim zuständigen Oberverwaltungsgericht in Bautzen eingelegt hat. Erstmals wurde daraufhin vom sächsischen OVG ein Totalverbot von Versammlungen bestätigt. Resultat: Am 20. August durften schließlich weder die NPD-Kundgebung, noch irgendwelche Gegenveranstaltungen stattfinden.
Das Urteil kam erst in der Nacht zum Sonnabend. Die NPD rief daraufhin kurzfristig noch das Bundesverfassungsgericht an, das den Eilantrag wegen der Zeitknappheit aber nicht mehr zur Entscheidung angenommen hat. Das wurde erst gegen 11 Uhr bekannt, zu der Zeit sollte die NPD-Kundgebung eigentlich beginnen. Mit einigen wenigen Anhängern, darunter Hans Püschel, hatte Storr bis dahin am Hauptbahnhof ausgeharrt. Dem NPD-Aufruf, gemeinsam am Hauptbahnhof zu warten, bis eine juristische Entscheidung vorliegt, war also kaum mehr als ein Dutzend Nazis gefolgt.
Träume
Das “Freie Netz” verbreitete am Vorabend via “Twitter” die Meldung, wonach nicht näher erläuterte “Ersatzpläne” vorlägen, um dem drohenden Verbot zu entgehen. Am Morgen des 20. August hieß es dann, “mehrere Reisebusse” voller Kameraden würden sich kurz vor Leipzig bereithalten; weitere Gruppen sollten sich dort sammeln.
Das war nichts als Wunschdenken: Tatsächlich sind etwa 25 Nazis, die von Halle aus per Zug nach Leipzig reisen wollten, in Schkeuditz ausgestiegen und der Polizei in die Arme gelaufen. Eine weitere Kleingruppe ist in Engelsdorf aufgetaucht und bekam es ebenfalls mit der Polizei zu tun.
Einige anreisende Kameraden wurden zudem von der Bundespolizei beim Umsteigen in Züge nach Leipzig gehindert, andere mussten auf dem Bahnsteig wieder kehrt machen; reisten, wie Frank Rennicke, freiwillig wieder ab; oder vertrieben sich den Rest des Tages im “Nationalen Zentrum” in der Odermannstraße.
Über eine mögliche “Ersatzveranstaltung” hat Andreas Storr zwar mit der Polizei verhandelt. Mit seinem Ortswunsch “Stadtrand” konnten die Beamten aber nichts anfangen. Schließlich blieb nur noch eine Notvariante: Die Kundgebung wurde verlegt auf das Privatgrundstück des NPD-Abgeordneten Winfried Petzold in Roda. Im dortigen Steinbruch – offiziell im Rahmen einer “Protestveranstaltung”, aber ohne jedes Publikum und überdies ohne Polizei – spielten schließlich “Marci und Kapelle”, “Skalinger” und “Preußenstolz” vor knapp 100 Nazis.
Der Haken: nach Roda fährt kein Zug, autofreie Kräfte wurden daher mit einem Bus vom Grimmaer Bahnhof in den Steinbruch chauffiert. Dort fand am 11. Juni bereits das “Sommerfest der NPD-Landtagsfraktion” mit mehr als 300 Gästen statt. Ironie zwei: Bei der Gelegenheit hatte Holger Apfel die Kundgebung am Völkerschlachtdenkmal erstmals öffentlich angekündigt – als “Zeichen gegen Repression”, weil am Vortag ein “Pfingstlager” der “Jungen Nationaldemokraten” (JN) in Niesky geräumt worden war.
Später wurde die Leipzig-Kundgebung umgewidmet in den Auftakt einer neuen Anti-Euro-Kampagne der NPD, die bisher keine Resonanz erzeugt hat. Die Kundgebung wäre zudem der erste gemeinsame Politevent von sächsischer NPD und “Freiem Netz” gewesen, nachdem der Kopf des “Freien Netzes”, Maik Scheffler aus Delitzsch, in den Landesvorstand der Partei aufgenommen wurde (GAMMA berichtete). Allerdings sind die einschlägigen Aktivisten des “Freien Netzes” in Leipzig gar nicht erst aufgetaucht, ihr “Infoticker” ist am Samstagmorgen verstummt.
Enttäuschungen
Die Leipzig-Kundgebung war damit geplatzt. Und wie schon am Wochenende zuvor beim ähnlich angelegten “Tag der Identität” in Geithain (130 Nazis) blieb die Teilnehmerzahl schließlich weit hinter den Erwartungen zurück. Laut Anmeldung rechnete die NPD mit 300 bis 500 Personen, die Leipziger Polizei ging sogar von bis zu 2000 aus.
Die Erwartungen waren hoch, entsprechend eindeutig ist das Resümee zum 20. August in Nazikreisen ausgefallen: Es sei “wie schon öfter” ein “kompletter Reinfall” gewesen, heißt es in einem Naziforum. Aktionen in Leipzig hätten sich zum “Krampf und Desaster für unsere Bewegung” entwickelt. Die Stadt sei“erstmal an die Roten verloren” und es gebe “nicht wirklich gute Strategien wie wir das ändern könnten.”
Sicherlich mögen NPD und “Freies Netz” gerade das Konzept einer “Musikkundgebung” – ähnlich dem jährlichen “Rock für Deutschland” in Gera – für eine geeignete Strategie gehalten haben, um mehr Anhänger als üblich vor dem Ofen hervorzulocken. Ein Irrtum, dem sich die dritte Ironie verdankt: dass die wenigen Nazis, die immer noch an Leipzig festhalten, in einen Steinbruch gesteckt wurden. Stimmung ist dort freilich keine aufgekommen, nicht mal Appetit. Dem Vernehmen nach ist die NPD auf 500 Bockwürsten und hundert Litern Apfelschorle sitzen geblieben.
Direkt im Anschluss fand noch ein weiteres Rechtsrock-Konzert statt, beworben als “Sierra Tequila Party” und vermutlich ausgerichtet in einer Konzertlocation bei Torgau. Dort hat es seit 2008 wiederholt Nazikonzerte gegeben.