Polizeiliche Datengier Teheran, Damaskus, Minsk – Dresden

Erstveröffentlicht: 
24.06.2011

Die sächsische Polizei hat uns mit ihrer „elektronischen Fall-Analyse“ gezeigt, dass Kolonnen fremdgespeicherter Daten uns zu potentiellen Verdächtigen machen können. Man erzeugt Profile, wie sie sonst nur in Diktaturen missbraucht werden.

 

Man hört es in den Nachrichten, aus Ländern wie Iran, Syrien oder Weissrussland: Politische Demonstrationen, dem Staat nicht ganz genehme Gruppen protestieren. Sicherheitskräfte zwingen die Mobilfunkanbieter, die Daten darüber herauszurücken, welche Telefone sich während der Kundgebung in welcher der örtlichen Mobilfunkzellen aufgehalten haben, mit wem und wann sie telefoniert, mit wem sie SMS ausgetauscht, wo sie sich aufgehalten haben. Natürlich wird mitgeliefert, wem welches Telefon gehört. Später werden die Daten ausgewertet, um Kommunikationsprofile zu erstellen, Gruppenstrukturen zu ermitteln und besonders missliebige Teilnehmer zu verfolgen.

Der Ort dieser Geschichte ist aber nicht Teheran, Damaskus oder Minsk, die Hauptstadt der weißrussischen Diktatur. Es ist Dresden, die Hauptstadt des Freistaates Sachsen, mit einem demokratisch gewählten Innenminister. Und es ging nicht um Revolten, es ging vielmehr um eine von dutzenden Initiativen, Vereinen und Parteien getragene, geradezu zivilgesellschaftlich vorbildliche Demonstration gegen Rechtsradikale, die durch die Stadt ziehen wollten.


Sächsische Datengier

Im Rahmen einer sogenannten Funkzellenauswertung fragte die sächsische Polizei mehr als 130.000 Datensätze aus mehreren Stunden Mobilfunkverkehr von den Providern ab. Parlamentarische Kontrollgremien wurden nicht eingeweiht, nicht einmal der sächsische Innenminister von der Union, dessen Telefon übrigens auch unter den Erfassten war. Der Tatvorwurf: Landfriedensbruch.

Es überrascht nicht. Eine Genehmigung vom Amtsgericht lag vor. Der diensthabende Richter hatte offenbar keine rechtstaatlichen Bedenken bei seinem Beschluss, eine unüberschaubare Zahl an Datensätzen von zehntausenden Mobiltelefonbenutzern einzusammeln. Einmal gespeichert, wurden die Daten großzügig für alles, was sonst noch anfiel, verwendet – bis hin zu einfachen Verdachtsfällen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, ein massenweise vorkommendes Bagatelldelikt. Das Muster, dass ein relativ schwerer Tatvorwurf genutzt wird, um eine umfangreiche, offensichtlich unverhältnismäßige Ermittlungsmaßnahme zu rechtfertigen, findet sich im Polizeialltag öfters. Von einem derartigen Ausmaß wie jetzt in Sachsen hörte man jedoch hierzulande bislang eher selten.

 


Die sächsische Polizei ist schon in der Vergangenheit durch eine besondere Datengier aufgefallen. Bereits 2009 wurden in einer rechtlich fragwürdigen Rasterfahndung 160.000 Datensätze aus den Kassensystemen einer Baumarktkette beschlagnahmt. Diese wurden dann nach dort gekauften Gegenständen durchkämmt, die bei einem Brandanschlag verwendet wurden. Im nächsten Schritt forderte das Landeskriminalamt für die Einkaufszeitpunkte alle Mobiltelefondaten aus den Funkzellen an den entsprechenden Baumärkten an und durchsuchte sie nach Übereinstimmungen mit Telefonierenden aus den Stadtteilen um den Tatort. Erfolg brachte die Aktion nicht. Doch die Daten sind noch heute, drei Jahre später, gespeichert.


Die teure Software will gefüttert werden

Ermittler sind längst nicht mehr die Verbrecherfänger oder die Indizien kombinierenden Tatort-Kommissare. Behilflich sind ihnen vielmehr hochspezialisierte Softwareprodukte, die aus den digitalen Lebensspuren der zehntausenden potentiellen Landfriedensbrecher in Dresden auf Knopfdruck Menschenprofile generieren, wenn gewünscht auch mit graphischer Darstellung. Über die zufällig in den Funkzellen eingebuchten Anwohner, Bahnreisenden, Journalisten, aber auch Abgeordnete des Bundes- und Landtages und natürlich die zivilcouragierten Demonstranten kann jeweils ein Bild gezeichnet werden. 2008 beschaffte die sächsische Polizei für mehrere Millionen Euro eine solche Software, die sie harmlos „elektronisches Fall-Analyse-System“ nennt.

Es handelt sich dabei um ein Produkt, das in leicht abgewandelter Form auch an Geheimdienste und Militärs verkauft wird, um große Datenkolonnen zu analysieren und Informationen aus Telefonrechnungen und -überwachungen, von Zuträgern, aus Observationen und kommerziellen Datenbanken zu kombinieren. Die teure Software will nun natürlich gerechtfertigt und gefüttert werden, schließlich hätten von dem Geld auch Polizeibeamte bezahlt und ausgerüstet werden können. Denn zeitgleich kam es in Sachsen in einigen Bereichen der Polizei zu einem deutlichen Personalabbau.

Doch nun ist die kostspielige Software einmal da, also muss sich der Rechtsstaat beugen und der Bürger ausschnüffeln lassen. Denn das technische Potential der Analysesoftware ist erheblich und liefert regelrechte Menschenprofile. Man mag sich einreden, dass das nach Science fiction klingt oder wenigstens nach Geheimagenten riecht, aber es ist in Sachsen längst gängige Praxis. Die Algorithmen zeigen Strukturen in Gruppen von Menschen, diverse Statistiken zu Gewohnheiten, Ähnlichkeiten bei Verhaltensweisen und Bewegungen zwischen Menschen – all das in Sekundenschnelle, wenn sie mit den entsprechenden Daten gefüttert werden.


Wie hohle Notlügen

Die Formate, in denen die Telefonanbieter ihre Datensätze liefern, stellen kein Problem mehr dar: Die Software hat Lösungen für die großen Anbieter parat. Und wenn die neuen 130.000 Datensätze ins System kopiert werden, meldet sich ein serviler intelligenter Tippgeber, der darauf hinweist, wenn gesuchte oder anderweitig auffällige Rufnummern darunter sind. An eine Schnittstelle zur Fahndungsdatenbank des BKA wurde natürlich auch gedacht. Kontrolliert wird das Gebaren indes nicht. Obgleich die Demonstration nicht nur einmal Thema im sächsischen Innenausschuss war, erfuhren die Abgeordneten des Landtages von dem Datenübergriff aus der Zeitung.

Die Dresdner Datengier liefert einen präzisen Vorgeschmack auf das, was zum Alltag in Ermittlungsbehörden wird, falls der politische Zombie Vorratsdatenspeicherung wiederaufersteht, wie es CDU und SPD weiterhin ohne kriminologisch glaubwürdige Begründung fordern. Die Versprechen und Beteuerungen, dass es doch nur um wenige Schwerstkriminelle ginge, klingen im Angesicht der Massenerfassung der Teilnehmer einer politischen Demonstration wie hohle Notlügen.