[B] Die Orphs - eine Zwischenbilanz

Beitrag zum Fahndungsplakatewettbewerb

Am Dienstag den 10. Mai 2011 nutzten die Orphs, eine "Gruppe junger Menschen aus Weißensee, SchülerInnen, Auszubildende und Studierende, die sich im Stadtteil politisch engagieren" (taz, 10.05.2011), einen öffentlichen Besichtigungstermin, um die ehemalige Musikschule Berlin-Weißensee symbolisch zu besetzen, oder wie sie es nannten: "Wiederzubeleben". Das alte Gebäude in der Falkenbergerstr.183 hat wohl seit seiner Schließung im Jahr 2009 nicht mehr einen solchen Andrang erlebt und auch der Besitzer, die Liegenschaftsfonds Berlin GmbH & Co KG (LiFo), und die Kaufinterressenten, wirkten sehr verdutzt als sie sahen was dort vor sich ging. Einer der bekannten Kaufinteressenten, die Baugruppe "Baugemeinschaft Musikschule Weißensee" ist mittlerweile abgesprungen, ein weiterer der Humanistische Verband Deutschland-Berlin signalisiert Gesprächsbereitschaft, will aber abwarten bis sie selbst die Kaufvertäge unterschrieben haben. An dieser Stelle folgt nun eine kleine Zusammenfassung der bisherigen Geschehnisse.


Filmdokumentation der "Wiederbelebung" am 10.Mai /// Film zur Neumagener Str. 7-14 /// Hintergrund-Bericht: Liegenschaftsfonds in Weißensee /// Das Gästebuch der Orphs /// Pressespiegel der Orphs /// Pressemappe der Orphs als .pdf

 

 

Die "Wiederbelebung"

Wiederbelebung mit bunten Transpis Bunte Transparente hingen am 10. Mai aus den Fenstern, 10-15 junge Orphs befanden sich im Haus und erweckten den Eindruck, dass sie hier gleich einziehen wollten und weitere 40 Sympathisanten-Orphs hatten sich vor dem Haus versammelt, ein Buffet aufgebaut und sogar ein Klavier stand vor dem Haus. Musik, Essen, Jonglage und die Offenheit der Orphs erzeugten einen fröhlichen und friedlichen Gesamteindruck. Die Orphs kamen mit möglichen Mitbietern, Nachbarinnen und Passanten ins Gespräch und konnten die meisten davon überzeugen, dass es besser wäre das Gebäude nach dem halb-öffentlichen Konzept der Orphs zu nutzen, anstatt mit Hilfe von Baugruppen Eigentumswohnungen zu schaffen.

Die Entführung des Klaviers Doch trotz all der Kreativität, nach gut drei Stunden im Haus wurden die Orphs gegen 13Uhr geräumt und hatten ihre lang ersehnte Anzeige wegen Hausfriedensbruchs in der Tasche. Was an der guten Stimmung jedoch nichts änderte, schließlich wurde von der Berliner Polizei und dem LiFo nichts geringeres erwartet. Schnell wurde vor dem Haus eine Kundgebung und eine daran anschließende Mahnwache bis zum Ende des Bieterverfahrens am 17.Mai angemeldet. Womit wahrscheinlich niemand gerechnet hatte, dass die Polizei unsere Genossin „Klavier“ entführt, die sich wie all die anderen Sympathisanten-Orphs vor dem Haus eingefunden hatte. Mitgenommen wurde sie weil sie keinen Eigentümerin kennt, das dies eine Einstellungssache der Genossin ist erklärte uns das Solidaritätskommitee 10.Mai, sie schätzen ihre Grundmaxime unter dem Motto: "Die Eigentumsfrage ist zu stellen!". Um sich solidarisch mit der Genossin zu erklären, rief das Komitee zu einem Fahndungsplakatwettbewerb auf.

Und wie es sich für eine Räumung gehört, gab es danach auch noch eine Spontandemonstration, vom Antonplatz (zentraler Platz in Weißensee) durchs Komponistenviertel, vorbei am Polizeirevier zur Falkenberger 183 – die für unsere Träume frei ist. Die Spontandemonstration war dank der 80-100 teilnehmenden, gutgestimmten Orphs auch ohne die obligatorischen 1Millionen Sachschaden ganz erfolgreich.

Kritik an der Liegenschaftsfonds Berlin GmbH&Co KG

Den Orphs ging es aber bei dieser Aktion nicht allein um das Haus, sondern auch darum mit Hilfe der geschaffenen Öffentlichkeit die gängige Praxis des Liegenschaftsfonds zu kritisieren. Dieser ist zentraler Vermarkter der ehemals stadteigenen Immobilien und gehört dem Land Berlin. Die zentrale Rolle die er dank seiner etwa 5000 Gebäude inne hat, nutzte er jedoch nicht um einen positiven Beitrag zur sozial-verträglichen Stadtentwicklung zu leisten, wie man es von einem stadteigenen Unternehmen erwarten könnte, sondern es geht fast ausschließlich darum die Gebäude meistbietend zu verkaufen.

"Im Zentrum der Idee der Liegenschaftsfonds GmbH & CoKG steht die bedenkenlose Verwertung, seine Rechtsform ist Ausdruck seines Handelns, in der Form der GmbH ist schon angelegt wie zu handeln ist, die Absicht ist die Erzielung von Gewinn. Da der Zweck der GmbH die Verwertung von Grundstücken ist, auch wenn hier an einer ignorierte Orientierung an "wirtschafts-, stadtentwicklungs- und wohnungspolitischen Zielen" festgehalten wurde, kann in diesem Fall Profit nur durch billiges Ankaufen und teueres Verkaufen erwirtschaftet werden." (Quelle: Lebenspolitisches Programm der Orphs, Teil 1: Die lebenswerte Stadt und der Liegenschaftsfonds)

Die Baugruppe "Baugemeinschaft Musikschule Weißensee" - Auf Wiedersehen!

Die Orphs waren nicht die einzigen die ein Interesse an der ehemaligen Musikschule Weißensee haben, die bis zur "Wiederbelebung" bekannte Konkurrenz zur Idee der Orphs bestand aus der "Baugemeinschaft Musikschule Weißensee". Unter dem Euphemismus “Baugemeinschaft” versuchte die “Planungsgemeinschaft Helmut Kippel + Dirk Münkel” unter dem Leitspruch “Eigentum bilden – aber richtig.” ein neues Baugruppenprojekt in der Falkenbergerstraße 183 hochzuziehen.

Als inhaltliche Ziele für die “Gemeinschaft” wurde folgendes angegeben: Eigentum. Mehr war unter dem Punkt Zielstellung auf dem wichtigsten Portal für Berliner Baugruppen, dem wohnportal-berlin.de, nicht zu entnehmen.

Mittlerweile ist den Orphs bekannt das die Baugruppe nicht mehr Mitbieter im Verfahren ist, auf Seiten der "Wiederbeleber" gibt es im wesentlichen die Einschätzung, dass die Intervention an die zukünftigen Baugruppenmitglieder durch die Projektentwickler nicht vermittelbar wahr und diese Aktion genug Unsicherheit erzeugt hat um die Baugruppe zum Rückzug im Bieterverfahren zu bewegen. An dieser Stelle ist also ein deutlicher Erfolg erkennbar, ob es weitere Gruppen mit der selben Zielstellung gibt ist jedoch unbekannt. Ein weiterer Mitbieter jedoch, der Humanistische Verband Deutschland-Berlin ist bekannt.

Der Humanistische Verband Deutschland/Berlin - die Konkurrenz des Sozialen

Eröffnung der Mahnwache mit Charme und Stil Auf Seiten der Orphs gab es Richtung des Humanistischen Verbands Deutschlands-Berlin mehrfach die Aufforderung sich an einen gemeinsamen Tisch zu begeben, der HVD-Berlin in Form seines Geschäftsführers Manfred Isemeyer signalisiert Gesprächsbereitschaft und versprach mehrfach an der "ständigen Vertretung der Orphs" an der Falkenberger Straße 183 vorbeizuschauen. Hier hatten die Orphs in Folge der "Wiederbelebung" eine Mahnwache eingerichtet, auf den Geschäftsführer wurde jedoch vergeblich gewartet.

Auch weitere Aufforderungen waren bisher vergeblich, der Verband machte deutlich das er mit den Orphs erst reden wird, wenn der Liegenschaftsfonds eine Entscheidung getroffen hat, also Fakten durch die Unterschrift auf Verträgen geschaffen sind. Auf Seiten der Wiederbeleber wird dieses vorgehen kritisiert, denkbar ist ein Szenario in dem zwei soziale Anliegen sich gegenseitig in Wert setzen um das höchste Gebot für den Liegenschaftsfonds zu erzielen. Welche Freude für die Verwerter dieser Stadt - welche Niederlage für die soziale Stadt.

Die Orphs machten deutlich, dass sie ein kooperatives Vorgehen anders sehen und schlugen eine gemeinsame politische Intervention im Verhandlungsprozess vor. Der HVD-Berlin hätte in diesem Szenario nichts zu verlieren, da er auch jetzt hofft der Meistbietende zu sein, wenn dem so ist spielt es im weiteren Verkaufsverfahren keine Rolle ob er den Liegenschaftfonds kritisiert oder nicht, denn Vergeben wird im momentanen Verfahren nicht nach Sympathie sondern nach Geldbeutel.

Eine gemeinsame Kritik im und am Bieterverfahren hätte jedoch auf anderen Ebenen eine bedeutende Rolle, es würde gemeinsam Einfluß auf die Vergabe von städtischem Eigentum genommen, was in diesem Fall auch mehr als deutlich Gehör findet und ein stückweit an der Tür zu mehr Stadtentwicklung unter sozialen Aspekten rütteln würde.

Das Gebot

Geschäftsführer Lippmann nimmt Gebot entgegen Nicht abgeschreckt von dem Auftauchen eines weiteren Mitbieters, wurde am vorletzten Tag des Bieterverfahrens, am 16.Mai, vor den Hauptsitz der Liegenschaftsfonds Berlin GmbH&CoKG in der Warschauer Straße 41 eine Kundgebung angemeldet um das Gebot der Orphs abzugeben. Unter dem Motto "Wir haben was zu bieten - alternative Projekte und offene Räume" fuhren einige Aktivistinnen mit ihren bunt gestalteten Fahrrädern von der "ständigen Mahnwache" zum Lifo. Das völlig überzogene Aufgebot der Berliner Polizei/den EntführerInnen der Genossin Klavier wurde hierbei links liegen gelassen.

Auf der Kundgebung selber wurden das Gebot der Erinnerung an die Koalitionsvereinbarung von SPD und Die Linke ausgesprochen, es wurden die zehn Gebote für den Lifo verlesen, und zudem eine Tüte mit Geboten der TeilnehmerInnen gepackt. Die Kundgebung konnte mit ein wenig Verhandlungsgeschick und ausreichend Vehemenz direkt vor dem Gebäude des Liegenschaftsfonds stattfinden, die ursprünlichen Plätze hinter den Hamburger Gittern konnten ignoriert werden.

Am Ende der Kundgebung betrat eine Delegation der Orphs mit Presse und inkl. dem treuen Weggefährten Teddy das Gebäude der Liegenschaftsfonds GmbH&CoKG um dem Geschäftsführer Holger Lippmann das sechsstellige Gebot der Orphs zu überreichen. Die Gebote der TeilnehmerInnen von einem Stück Kreide bis zu einer Packung essbares Ostergras "für süße Osternester" wurden durch die Grundstücks-Verantwortliche Ines Schröter und den Geschäftsfüher jedoch ausgeschlagen, es könnte nach eigenen Angaben als Bestechungsversuch durchgehen. Der überdimensionale Brief, sowie das reale Gebot wurden jedoch angenommen.

Die Bewegung zum entscheiden! Nun gut warum jetzt eigentlich das Gebot: Die Aktivistinnen machten deutlich das es ihnen nicht nur um eine kleine Insel im Meer der Immobilien geht, es geht ihnen um eine Intervention in das stadtpolitische Programm, eine Intervention in eine Politik die als oberste Maxime die Verwertung setzt. Verfahren zur Vergabe von Immobilien im Land Berlin sind hier nur eines von zahlreichen Symbolen. Die Orphs wollen anhand dessen jedoch zwei Fragestellung diskutieren, die lebenswerte Stadt in der Platz für ihre Ideen ist und auch die Frage nach einer Stadtentwicklung von unten.

Die Nachbarschaft

Das Gästebuch der Orphs Im Leitspruch der Orphs heißt es "Wir sind Orph! Wir sind Haus, Bewegung, Nachbarin, Freunde und Bewohner, wir sind politischer Zusammenhang und wir sind organisiert. Wir nehmen uns den Raum den wir zum atmen, leben und genießen brauchen." Während ihrer Intervention machten die AktivistInnen deutlich wie ernst es mit diesem Anliegen ist, eine einwöchige Mahnwache wurde dazu genutzt um die "Wiederbelebung" der ehemaligen Musikschule zu erklären. Die Stimmungen und Geschichten der Nachbarschaft wurden aufgenommen, Auseinandersetzung und Gespräche wurden auf der Straße gesucht. Und entgegen aller Klischees gegenüber dem "Otto-Normal-Verbraucher" die überwiegenden Stimmen aus dem Kiez begrüßten die Aktion, Unverständnis erntete eher die Polizei mit ihrem völlig überzogenen Aufgebot in Aktionsphasen.

Wieviel Zuspruch die stadtpolitische Intervention erntete und wieviel Verständnis für diese Aktionsform vorlag ist an der ständigen Vertretung gut dokumentiert worden, so wurde eigens ein Gästebuch angefertigt, welches mittlerweile in digitaltisierter Form vorliegt, versprochen wird, dass dies nicht die letzten Einträge bleiben.

Vorbereitungen für Gebotsabgabe Wofür der zukünftige Aktions- und Kunstraum in der ehemaligen Musikschule genutzt werden könnte wurde in dieser Woche ebenfalls deutlich, von den AktivistInnen wurde Kunst im öffentlichen Raum praktiziert, sei es bei der Tatortbegehung nach der Klavierentführung, die Vorbereitung für die Fahrradtour oder die Malwache an der Mahnwache. Aber nicht nur Perspektiven für die aktionistische Kunst haben sich ergeben, so konnten vor Ort Kontakte zu MusikerInnen aus dem Kiez aufgenommen werden, zu ehemaligen LehrerInnen der Schule und auch zu NachbarInnen die Interesse an Freizeitgestaltung mit Kids haben.

Auch andere Themen des Kiezes wurden aufgegriffen, so wurde auf die Verwertungsinteressen des Liegenschaftsfonds in der Neumagener Str. 7-14 hingewiesen, einer Grünfläche für die bis zum 25.Mai beim Liegenschaftsfonds geboten werden kann, AnwohnerInnen und GartenaktivistInnen übten am Umgang mit dem Grundstück in der Vergangenheit deutliche Kritik . Gemeinsam gab es obendrein eine Kiezbesichtigung mit einem Radiojournalisten.

Auch unerfreuliche Begegnungen gab es, welche deutlich machen das alternative Projekte und offene Räume durchaus ihre Berechtigung im Kiez haben, während der Mahnwache gab es wiederholend Vorkommnisse mit rechtsgesinnten Anwohnern, diese reichten vom zeigen des deutschen Grußes bis zum "Besuch" mit Baseballschläger. Gruppen wie die Orphs und ihre UnterstützerInnen legten in den darauf folgenden Tagen wert darauf auch die daraus entstehenden Fragen mit den Nachbarinnen zu diskutieren, weiterhin sehen sie das ihr Kiez "Kein Kiez für Nazis!" ist, wie der Titel einer gleichnamigen Vernetzungsplattform in Berlin-Weißensee lautet.

Die Perspektive

Weiter gehts. Das Engagement gegen die bestehende Praxis der Liegenschaftsfonds GmbH&CoKG wird weitergeführt, steigende Mieten im Kiez sind ebenfalls keine Freude und zur Musikschule: Die Orphs geben die Musikschule nicht auf! Eine weitere Begegnung mit den VertreterInnen des Liegenschaftsfonds steht noch aus. Vom Humanistischen Verband Deutschland-Berlin wird ein Konzept für die ehemalige Musikschule erwartet, dass ist dieser der Nachbarschaft schuldig, alles andere wird als Spekulationsbeteiligung und Vorratskauf gewertet.

Für Anfang der Woche kündigen die Orphs schon jetzt die Veröffentlichung des ersten Teils eines eigenen "lebenspolitischen Programms" unter dem Titel "Die lebenswerte Stadt und der Liegenschaftsfonds" an. Das Programm stellt die Frage wie der Liegenschaftsfonds verändert werden kann und begründet warum es vielleicht doch besser ist dieses Unternehmen zu liquidieren.

Achja, zu guter letzt: Das Solidaritätskomitee 10.Mai läßt ausrichten, dass es Genossin Klavier den Umständen entsprechend gut geht und sie weiterhin rege im Briefkontakt stehen.

Orphelia Klein, Hofbrichterstatterin der Orphs

Morgendliche Presseauswertung in der ständigen Vertretung Quellen und Material: