RALF zum Thema Repression gegen die Tierbefreiungsszene

RALF

Die letzte Sendung von Radio Animal Liberation Freiburg (RALF) befasste sich mit dem Thema Repression in Österreich. Sie soll ein Beitrag zur Debatte um die zunehmende Gewalt gegen die Tierbefreiungsbewegung sein und der Repression entgegentreten.

Die nächste RALF-Sendung befasst sich, aus gegebenem Anlass, ein weiteres Mal mit dem Thema Repression gegen die Tierrechtsszene und wird kommenden Montag, den 16. Mai um 16 Uhr gesendet. 102,3 Radio Dreyeckland oder www.rdl.de, nachzuhören auf www.radioalf.blogsport.de

 

Hier der Hauptbeitrag der letzen Sendung zur Repression in Österreich:

 

Chronologie einer Repression


Ressentiments gegen die staatliche Gewalt mögen in der linken Szene keinen Seltenheitswert haben und es ist sicherlich nicht ungewöhnlich, wenn in den Blogs der Angeklagten und Prozessbeobachter Stellungnahmen zu lesen sind, die sich zum Teil kritisch, zum Teil auch polemisch mit den Vorgängen in den Gerichtssälen dieser Welt beschäftigen. Was sich aber dieser Tage in Österreich vor dem Landesgericht Wiener Neustadt abspielt, wird nicht nur von der linken Szene und Sympathisantenkreisen als eine justitiarische Farce betrachtet. Nein, auch bürgerlich liberale Gazetten wie die Wochenzeitung „Die Zeit“, der Standard, Medienanstalten wie die ARD und diverse Print-, TV- und Internetmedien in Deutschland, Österreich und der Schweiz berichten über dieses als „Tierschützer-Prozess“ bekannt gewordene Justiz-Spektakel überaus kritisch.


Je länger dieses Verfahren andauert, desto pikantere Details kommen zum Vorschein –über die Ermittlungs- und Überwachungsmethoden, Spitzeltätigkeiten, Einschüchterungsversuche, offensichtliche Absprachen zwischen Textilindustrie und Innenministerium, Klüngel, Filz und politischen Einflüssterungen. Wenn dieses Verfahren eines beweist, so ist es die allzu offensichtliche Verstrickung des politischen Systems mit dem der Wirtschaft und der allzu offensichtlich laxe Umgang mit parlamentarischer Verantwortung. Genau diese Verantwortung wurde zugunsten von Seilschaften und Freundschaftsdiensten unter Politikern und Wirtschaftsfunktionären aufgegeben, ja wahrscheinlich nie wirklich ernst genommen.


Dieses Verfahren hat zur Folge, dass 13 Tierrechtler_Innen extremen psychischen Belastungen ausgesetzt, in den finanziellen Ruin getrieben und die gesamte Tierrechtsszene diskreditiert und kriminalisiert wurde. All dies geschieht im Rahmen einer Repressionswelle, die für einen so genannten demokratischen Rechtsstaat kaum für möglich gehalten werden kann.


Man muss bis ins Jahr 1998 zurückgehen, um nachvollziehen zu können, wie es zu diesem Prozess kam, der – so möge man hoffen – wenigstens manch einem an die Unabhängigkeit von Justiz, Exekutive und Legislative Glaubenden nun die Augen öffnet.


In diesem Jahr – 1998 – gelang es Tierrechtler_innen das erste Mal, ein Pelzfarmverbot in Österreich durchzusetzen. Begleitet wurden die Forderungen von schlagkräftigen Kampagnen, die im Jahre 2004 zu einem der fortschrittlichsten und besten Tierschutzgesetze der Welt führten, das neben dem Verbot von Pelzfarmen auch ein Legebatterienverbot vorsah. Gegen den Widerstand der Österreichischen Volkspartei wurde dieses Gesetz verabschiedet.


Diese gravierende Veränderung der Gesetzeslage hatte für die Tierausbeutungsindustrie deutliche Einschränkungen und damit auch finanzielle Einbußen zur Folge. Das wachsende Selbstvertrauen der Tierrechtler_innen und die immer erfolgreicher verlaufenden Kampagnen gegen Tierausbeutungsfabriken, die Jagd und die pelzverarbeitende Industrie sorgten für immer größeren Unmut in den Kreisen der Tierausbeuter_innen. Deren direkter Kontakt zu und deren lobbyistische Verstrickungen in österreichische Justiz-, Polizei- und Regierungskreise führten dann zu staatlicher Repression gegen Tierrechtsorganisationen, wie dem Verein gegen Tierfabriken(VGT).


Im Zuge dieser lobbyistischen Einflüsterungen kam es zu mehreren Bespitzelungen von Tierrechtsveranstaltungen. Der VGT und seine führenden Angestellten wurden ständig überwacht. Vom Amt für Terrorismusbekämpfung wurde eine Finanzamts-Prüfung der Buchhaltung des VGT veranlasst und der Inlandsgeheimdienst beriet Vertreter_innen der Tierausbeutungsindustrie, wie sie ihre Medienarbeit gestalten und Tierrechtsaktionen verhindern können.
Nach der Aussage des grünen Nationalrats-Abgeordneten Pilz gab es Sitzungen der Geschäftsführung der Textilindustrie gemeinsam mit dem österreichischen Innenminister und seinen führenden Beamten_Innen, in denen die Vorgehensweise gegen die „Tierschützer“ besprochen wurde und selbiger Inneminister dann das Signal zum Handeln gab.


Im November 2006 wurden Ermittlungen gegen die österreichische Tierrechtsszene und insbesondere den VGT eingeleitet. Es sollte versucht werden, die Strukturen zu destabilisieren und den Verein auszuschalten.


Um dieses Vorhaben effektiv in die Tat umzusetzen, wurde im April 2007 eigens eine Sonderkommission gegen den Tierschutz gegründet. 32 Beamt_innen aus der Terrorismusbekämpfung und der Mordkommission wurden dieser SOKO zur Verfügung gestellt und erhielten aufgrund des § 278a „Bildung einer kriminellen Organisation“ weitreichende Ermittlungsbefugnisse. Diese umfassten das Abhören von 30 Telefonen, die Überwachung des E-Mail-Verkehrs von 100 Personen, die Observation von 17 Personen, die Überwachung von 5 Wohnungen mit Videokameras, das Anbringen von Peilsendern an 2 Autos und 4 große Lauschangriffe gegen 2 Privatwohnungen, 1 Kaffehaus und ein VGT-Büro. Und wie sich erst im Laufe des Prozesses herausstellen sollte, wurden zusätzlich zwei Spitzel in die Tierrechtsgruppen eingeschleust.


Am 21. Mai 2008 kommt es zu einem vorläufigen Höhepunkt der Geschehnisse: In den Nachtstunden schlagen maskierte Sondereinheiten mit gezogenen Schusswaffen mit einem Rammbock die Türen zu 23 Privatwohnungen und 7 Tierschutzbüros auf. Die Bewohner_innen werden nackt aus den Betten gezogen, die Wohnungen durchsucht, Computer und Akten beschlagnahmt.


Einer der 13 Angeklagten wurde vor den Augen seiner Kinder für fünf Stunden an den Küchentisch gefesselt und musste mit ansehen, wie vermummte Beamt_innen seine Wohnung durchsuchten. Keinem der Angeklagten wurde mitgeteilt, welchen Vergehens er oder sie sich schuldig gemacht haben soll. Allein der Hinweis auf den § 278a genügte, um jeglichen Schutz der Privatsphäre aufzulösen und eine Aushebelung von Grund- und Menschenrechten zu ermöglichen. Weder diese Aktionen noch die Durchsuchung der Räumlichkeiten und Büros des VGT und anderer Tierrechtsorganisationen erbrachten verwertbare Ergebnisse. Dennoch kamen 10 Personen in Untersuchungshaft, nur zwei davon sind tatsächlich Mitarbeiter beim VGT.


Es folgten 3 ½ Monate U-Haft, in deren Verlauf den Gefangenen nie mitgeteilt wurde, welche Anklagepunkte gegen sie bestünden. Der VGT-Vorsitzende Martin Balluch trat daraufhin für insgesamt 39 Tage in Hungerstreik und wurde zum Teil auch künstlich ernährt.


Wie sich im Laufe des Verfahrens herausstellen sollte, hatte die SOKO die Haftrichterin völlig falsch informiert, um eine Untersuchungshaft zu erreichen. Nach insgesamt 105 Tagen wurden die Gefangenen entlassen.


Nach einem Bericht des österreichischen Justizministeriums wurden im Jahr 2008 gegen 267 Verdächtige aus der Tierrechtsszene optische und/oder akustische Überwachungsmaßnahmen angeordnet.


Im März 2009 wurden die ersten polizeilichen Abschlussberichte bekannt. Es wurden 150 verdächtige Personen und 16 verdächtige Tierschutzvereine genannt. Beschuldigt wurden 46 Personen, Mitglieder einer großen kriminellen Organisation im Tierschutz zu sein.


Im Februar 2010 wurde Anklage gegen 13 Personen erhoben, während das Verfahren gegen die restlichen Beschuldigten eingestellt wurde. Da sich keiner der Vorwürfe bewahrheitet hatte – darunter angebliche Brandstiftungen, Bombendrohungen oder Gasangriffe –, bestand die Anklage einzig darin, dass die VGT-Mitarbeiter_innen durch ihre normalen und legalen Kampagnenaktivitäten die Ziele einer kriminellen Organisation ideell und indirekt unterstützt hätten. Die Existenz dieser kriminellen Organisation konnte nie nachgewiesen werden.


Am 02. März 2010 begann ein Prozess, der trotz ergebnisloser Ermittlungen und nur deshalb in die Wege geleitet wurde, um die hohen Ermittlungskosten zu rechtfertigen. Die Staatsanwaltschaft der Wiener Neustadt in Person des Magister Wolfgang Händler rief 119 Zeug_innen der Anklage auf (darunter 55 Angestellte und 14 GeschäftsführerInnen pelzverkaufender Kleiderketten, 12 Jäger, 8 Tierexperimentatoren, 3 ehemalige Pelzfarmer, 3 ehemalige Legebatteriebetreiber und 2 Pelzhändler), die Verteidigung wollte 300 Zeugen vorstellig machen.


Der Prozess gegen die Tierrechtsaktivist_Innen sprengt schon allein aufgrund seiner Dauer von 78 Prozesstagen sämtliche Maßstäbe. Die 10 Angeklagten müssen also ihre Berufe aufgeben und ein Jahr lang regelmäßig in der Wiener Neustadt am Gericht erscheinen. Die Verteidigungskosten müssen sie selbst bezahlen, auch wenn sie freigesprochen werden. Diese belaufen sich auf eine Million Euro.

 

Im Verlauf der Gerichtsverhandlungen wird deutlich, dass die Vorsitzende Richterin das Verfahren deutlich zu Ungunsten der angeklagten Partei zu führen scheint und es wird ein Befangenheitsantrag gegen sie gestellt. Da in der österreichischen Prozessordnung jedoch vorgesehen ist, dass ein Richter über den Befangenheitsantrag gegen sich () selbst entscheiden kann, wird dieser Antrag von der Richterin Arleth abgewiesen.


Nicht abweisen kann Frau Arleth jedoch die Kritik von seiten der Jurisprudenz. So ist Bernd Christian Funk, Professor für Verfassungsrecht, der Auffassung, dass die ungewöhnlichen Interventionen der Richterin an die Grenzen der Behinderung des freien Fragerechts gehen. Und Professor Dr. Petra Velten, Leiterin des Insituts für Strafrechtswissenschaften der Universität Linz, wollte ihren Augen und Ohren nicht mehr trauen, als sie am 13.12.2010 den 61. Prozesstag beobachtete. Über ihre Beobachtungen veröffentlichte sie im österreichischen Journal für Strafrecht einen Artikel unter der Überschrift „Die Wahrheitsfindung ist ausschließlich Angelegenheit des Gerichts – oder wie man die Verteidigung neutralisiert“. In diesem Artikel kommt sie zu dem Ergebnis, dass es sich um keinen fairen Prozess handelt.


Letztendlich aber fügt sich das Prozesstheater in der Wiener Neustadt in das Gesamtbild eines Skandals, der zeigt, wie schnell in einem vermeintlichen Rechtsstaat demokratische Strukturen zugunsten einer allzu engen Verstrickung zwischen Politik und Wirtschaft ausgehebelt werden. So führt ein Machtmissbrauch von höchsten Stellen zu repressiven Maßnahmen, die sich gegen unbequeme Meinungen richten – und vor allem ganz direkt gegen die Menschen, die diese vertreten.
Die Urteilsverkündung soll am 02.Mai 2011 erfolgen.

 

Aktualisierung: Die Urteilsverkündung endete mit dem Freispruch aller Angeklagten in allen Punkten.