Mehrere antifaschistische Gruppen und Einzelpersonen haben dem Magdeburger Bündnis gegen Rechts einen offenen Brief zukommen lassen, in dem der Umgang mit dem alljährlichen Nazi-Aufmarsch in Magdeburg kritisiert wird.
Seit 1999 organisiert die sogenannte „Initiative gegen das Vergessen“ einen alljährlichen Naziaufmarsch zum Jahrestag der Bombardierung Magdeburgs durch die Alliierten am 16. Januar 1945. Dieser geschichtsrevisionistische „Trauermarsch“ hat sich als fester Termin im bundesweiten Demonstrationskalender der Neonazis etabliert und stellte in den letzten Jahren eine Art Generalprobe für Dresden im Februar dar. Dabei stieg die Zahl der Teilnehmer_innen in den letzten Jahren kontinuierlich an und hat sich seit dem 65. Jahrestag der Bombardierung 2010 bei über 1000 Faschist_innen eingependelt.
Antifaschistische Gruppen rufen jedes Jahr dazu auf, den Naziaufmarsch zu stören und zu verhindern. So gab es im den letzten Jahren immer wieder Blockadeversuche, die allerdings immer von der Polizei gewaltsam aufgelöst wurden. Der Naziaufmarsch konnte dadurch jedoch nicht effektiv gestört und schon gar nicht verhindert werden.
Das Bündnis gegen Rechts Magdeburg (BgR) ist in den letzten drei Jahren dazu übergegangen anstelle von Gegendemonstrationen eine „Meile der Demokratie“ in der Innenstadt zu organisieren. Dieses Konzept, einen Teil der Innenstadt durch Bühnenprogramme und Infostände zu besetzen, wird von den Organisator_innen als voller Erfolg bezeichnet.
Konservative Kreise versuchen die „Meile der Demokratie“ als einzig akzeptablen antifaschistischen Protest zu etablieren.
Einige Magdeburger Gruppen und Einzelpersonen haben ihre Kritik am Umgang mit dem alljährlichen Naziaufmarsch in einem Offenen Brief an das Bündnis gegen Rechts Magdeburg formuliert. Nachstehend ist der Brief im Wortlaut dokumentiert, der unter http://offener-brief.tk unterzeichnet werden kann.
Ziel des Briefes ist es ein Zeichen dafür zu setzen, dass auch in Magdeburg gemeinsam ein effektiver Protest entwickelt werden sollte.
Magdeburg, den 11. April 2011
Sehr geehrtes Bündnis gegen Rechts,
liebe Mitmenschen,
wenn sich Magdeburgerinnen und Magdeburger gemeinsam auf die Straße setzen, damit Nazis diesen Weg nicht gehen können – dann müssen wir uns wohl in Dresden befinden. Jedenfalls nicht in Magdeburg, das ist klar: Denn wenn ein hiesiger Aufmarsch von Neofaschisten stattfindet, verharren die selben Akteure, welche noch den Aufruf des Bündnisses „Nazifrei! Dresden stellt sich quer“ unterschreiben würden, lieber in deutlichem Abstand zur Nazidemo.
Seit mehreren Jahren werden für diese „Meile der Demokratie“ eine Straße abgesperrt, Buden und Bühnen aufgebaut und die Stadtmitte samt Einkaufscentern „nazifrei“ gehalten, während sich der geschichtsrevisionistische Haufen im Rest der Stadt ungehindert darstellen darf. Holger Platz, Beigeordneter für Kommunales, Umwelt und Verwaltung, bezeichnet diese „Parallelblockade“ als vollen Erfolg [1]. Sie ist tatsächlich sogar so erfolgreich, dass Jahr für Jahr mehr Neonazis nach Magdeburg kommen, um ihre menschenverachtende Ideologie in die Öffentlichkeit zu tragen. „Man habe eine eigenständige Feier der Demokratie etabliert und lasse die Nazis links liegen“ [2], erklärte der Anmelder der Meile in einem Interview mit der taz. Und dennoch gab und gibt es Menschen, denen an einem solchen Tag nicht nach Feiern zumute ist.
Dass Naziaufmärsche durch breiten Protest verhindert werden können, konnten wir in diesem Jahr in Dresden erneut erleben. Auch in Magdeburg sind Blockaden möglich: Am 15. Januar versuchten Kleingruppen an sechs Stellen, die Route der Nazis zu blockieren. Aufgrund der relativ geringen Anzahl beteiligter Personen und des teilweise brutalen Vorgehens der Polizeikräfte konnte der „Gedenkmarsch“ jedoch nicht gestört, geschweige denn verhindert werden. Was der Volksstimme-Chefredakteur als „Sieg der Demokratie“ [3] bezeichnet, ist in Wirklichkeit ein demokratiegefährdendes Trauerspiel.
Mit der „Meile der Demokratie“ wurde ein niedrigschwelliges Angebot geschaffen für Menschen, die ihre Ablehnung neonazistischen Gedankenguts öffentlich zum Ausdruck bringen möchten. Gleichzeitig aber unterbindet die Meile wirkungsvollen Protest gegen den Aufmarsch der Neofaschisten: Das liegt zum einen daran, dass sie sich überhaupt nicht das Ziel setzt, den Naziaufmarsch zu verhindern. Zum anderen sorgt die strikte räumliche Begrenzung für eine Trennung zwischen „guten“ Antifaschist_innen auf der Meile und „schlechten“ außerhalb. Über die Meile hinausgehende Aktionskonzepte werden auf diese Weise abgewertet, verhindert – und zum Teil sogar kriminalisiert.
Unserer Ansicht nach ist es möglich, den „Gedenkmarsch“ der Neonazis zu verhindern – oder zumindest effektiv zu stören. Realisierbar ist dies allerdings nur, wenn der Protest von einem breiten Bündnis vorbereitet und getragen wird. Dabei soll es keinesfalls darum gehen, eine Gegenveranstaltung zur „Meile der Demokratie“ zu etablieren: Wir wollen mit möglichst vielen Menschen einen kreativen Protest gegen den Aufmarsch organisieren. Dieser Protest soll aber nicht statt, sondern trotz der Meile erfolgen.
Wir in Magdeburg Lebende müssen uns endlich entscheiden, ob wir dem gefährlichen Treiben der Neonazis Einhalt gebieten wollen. Dies wird nur in breiten Bündnissen verschiedener Akteure möglich sein. Solange jedoch alle außerhalb der Meile agierenden Antifaschist_innen als „linke Chaoten“ [4] diffamiert werden, haben die Nazis weiterhin leichtes Spiel in unserer Stadt.
Mit solidarischen Grüßen
Autonome Hochschulgruppe Magdeburg
Oliver Wendenkampf, Stadtrat
Libertäres Zentrum Magdeburg
Referenzen:
[1] Konrad Litschko: Andere Städte, andere Sitten. die tageszeitung, 14.01.2011. ↑
[3] Michael Bock: Sieg der Demokratie. Volksstimme, 17.01.2011. ↑
Dieser offene Brief wird auch unter http://offener-brief.tk veröffentlicht und kann dort unterzeichnet werden.