Krach im Musikerviertel

Erstveröffentlicht: 
06.04.2011

In Herdern sollen 95 billige Wohnungen abgerissen werden.

 

Ein Bauprojekt in Herdern sorgt für Gesprächsstoff: Die Freiburger Stadtbau (FSB) will in der Johann-Sebastian-Bach-Straße 95 Wohnungen aus den 1950er Jahren abreißen und an deren Stelle Neubauten errichten lassen. Allerdings werden die Mieten in den neuen Wohnungen deutlich teurer sein, weshalb für die Bewohner eine Rückkehr nicht in Frage kommt. Der Bürgerverein ist angenehm überrascht von den Entwürfen, die sich an der Umgebung orientieren. Eines der Häuser wurde derweil illegal besetzt, die Stadtbau hat Strafantrag gestellt.

Die Polizei will die Hausbesetzer, die für billigen Wohnraum und den Erhalt der 95 Wohnungen kämpfen, auffordern, das Haus wieder zu verlassen. "Gegebenenfalls werden wir räumen", kündigte Polizeisprecher Ulrich Brecht an.

Die 95 Wohnungen im Musikerviertel werden als "Kleinrentner"-Wohnungen bezeichnet, weil hier viele Jahre lang Senioren mit niedrigem Einkommen in sehr kleinen Wohnungen lebten. Von 1996 bis 2009 trat die Arbeiterwohlfahrt (AWO) dort als Generalvermieter auf: Gleichzeitig betreute sie die dort lebenden Seniorinnen und Senioren. Allerdings sei es zunehmend schwieriger gewesen, Mieter zu finden. Für AWO-Geschäftsführer Jack Huttmann war dies eine Überraschung: "Wir sind sonst immer voll belegt und haben Wartelisten."

 

Die Gründe für die geringe Resonanz liegen für Huttmann in der dürftigen Ausstattung: Selbst die Erdgeschosse sind nur über Treppen erreichbar, Aufzüge gibt es keine, und nur ein Zimmer in jeder Wohnung ist mit einem Ofen ausgestattet, zudem haben die Wohnungen weder Balkon noch Terrasse. Huttmann spricht von einer "schlichten bis maroden Bausubstanz". Dennoch seien die Kleinrentnerwohnungen unter den AWO-Wohnungen die teuersten gewesen.

Als immer mehr leer blieben, die AWO dessen ungeachtet aber weiter die volle Pacht an die Stiftungsverwaltung als Grundstückseigentümerin zahlen musste, stieg sie 2009 aus dem Vertrag mit der Stadtbau aus. Ein Großteil der 95 Wohnungen steht seit langem leer. Momentan haben noch sechs der zwölf verbliebenen Mieter einen Betreuungsvertrag mit der AWO, die den Bewohnern beim Umzug helfen will. Weitere neun Wohnungen hat die Stadtbau bis Ende Mai an den Basketballverein USC Freiburg vermietet.

Spätestens im Herbst will die Stadtbau mit dem Abriss der beiden Häuserzeilen in der Bachstraße zwischen Schubert- und Schumannstraße beginnen, im Frühjahr 2013 sollen die Neubauten fertig sein. Die Baukosten beziffert FSB-Chef Ralf Klausmann auf 11 bis 13 Millionen Euro.

Die neuen Gebäude orientieren sich in Größe (Firsthöhe: 11,60 Meter) und Architektur an der Umgebung. "Das ist eine fast ländliche Bebauung, wie es im Musikerviertel angemessen ist", sagte Stadtbau-Projektentwickler Lothar Korzen in einem Bürgergespräch, zu dem Stadt und Bürgerverein am Montag in die Weiherhofschule eingeladen hatten.

Die Stadtbau plant einen Wohnungsmix – 50 Prozent Mietwohnungen und 50 Prozent Eigentum: An den Kopfenden der beiden Häuserzeilen sollen jeweils Häuser mit sechs unterschiedlich großen Mietwohnungen errichtet werden, dazwischen auf jeder Seite acht Reihenhäuser mit einer Wohnfläche von 150 Quadratmetern.

Insgesamt entstehen an Stelle der 95 kleinen Wohnungen (3000 Quadratmeter Gesamtwohnfläche) 40 Einheiten (4200 Quadratmeter). Die Reihenhäuser will die FSB an Familien verkaufen, wobei die Stiftungsverwaltung als Grundstücksbesitzerin einen Erbbauzins erhebt.

Der Arbeitskreis "Wem gehört die Stadt?" des Mietshäusersyndikats fordert einen sofortigen Planungs- und Vergabestopp, durch den Regierungswechsel in Stuttgart werde es Zuschüsse für sozialen Wohnungsbau geben. "Wir bezweifeln ausdrücklich, dass der Abriss und Neubau tatsächlich alternativlos ist", so das Syndikat, das die Hausbesetzung begrüßt. Eine Sanierung wäre vollkommen unwirtschaftlich, versichert derweil Stadtbau-Geschäftsführer Klausmann. In Herdern sei sozialer Wohnungsbau nicht möglich: "Das rechnet sich absolut nicht." Für die neuen Mietwohnungen kalkuliert die Stadtbau mit einem Quadratmeterpreis von etwa 11,50 Euro, die Miete der "Kleinrentner"-Wohnungen liegt derzeit bei 6,50 Euro.

Klausmann räumt ein, dass die Stadtbau gerne wirtschaftlicher gebaut hätte; so seien ursprünglich nur Eigentumswohnungen geplant gewesen. Aus kleinen Wohnungen größere zu machen und diese zu modernisieren, sei nicht lukrativ. "Bei der alten Bausubstanz müsste man so viel Geld in die Hand nehmen, dass die Mieten für die jetzigen Bewohner nicht mehr bezahlbar wären", sagte Korzen und versicherte: "Wir haben die Dinge sehr wohl abgewogen."

Ein Sympathisant der Besetzer warf der Stadtbau im Bürgergespräch vor, Mieter gemobbt zu haben, um sie aus ihren Wohnungen zu drängen; dies wisse er aus Gesprächen mit Mietern. Kritisiert wurde auch, dass Gemeinschaftsräume geschlossen und in den leerstehenden Wohnungen die sanitären Anlagen zerschlagen wurden – angeblich, um Fakten zu schaffen.

AWO-Chef Huttmann fand den Mobbing-Vorwurf "unter aller Kanone", auch Baubürgermeister Martin Haag verwahrte sich dagegen ("Vorsicht mit solchen Vorwürfen"). Klausmann betonte: "Ich bin mir sicher, dass wir uns so nicht verhalten haben." Zwei Mieter berichteten der BZ, dass ihnen bislang kein Auszugstermin genannt worden sei. Einem der beiden wurden zwei Wohnungen angeboten, von denen allerdings nur eine preislich in Frage kommt; den Mobbing-Vorwurf kann er nicht bestätigen. Ein älteres Ehepaar, das schon 20 Jahre dort lebt, ist gesundheitlich sehr angeschlagen. "Ich habe zurzeit andere Probleme", sagt der 78-jährige Mann. "Ich würde gerne hier bleiben. Das ist eine schöne Straße."