Heute, am 21. März 2011 fand in Berlin der erste Prozess im Zusammenhang mit der Räumung der Liebigstrasse 14 statt. Am 2. Februar 2011 war das kollektiv genutze Mietshaus in Berlin geräumt worden. Vor, während und nach der Räumung gab es zahlreiche Proteste und Reaktionen gegen die Räumung. Bei diesen Gelegenheiten gab es zahlreiche Fest- und Ingewahrsamsnahmen durch die Polizei. Es gab mindestens 9 Haftbefehle. Beim ersten Prozess ging es nun um eine (versuchte) gefährliche Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Gefangenenbefreiung.
Wurde sich aus den Reihen der "Solibewegung" für die Liebigstrasse 14 noch abfällig über "Touristen" geäussert, fand sich heute ein tatkräftiger solcher auf der Anklagebank wieder. Der Angeklagte mit auffälligen Erscheinungsbild (hüftlange Dreadlocks und Vollbart a la Thomas Weissbecker, schwarzes Besetzeroutfit) kam aus Gross Britanien und sprach nur englisch. Darum wurde ihm eine Übersetzerin beiseite gestellt, die jedoch völlig unzureichend übersetze. Der Angeklagte verweigerte die Aussage.
Vorgeworfen wurde ihm, er hätte am 2. Februar 2011, am Tag der Räumung der Liebigstrasse 14, in der Revaler Strasse (in der Nähe des Berliner S-Bahnhofs Warschauer Strasse) auf eine Festnahme der Polizei eingewirkt. Der Anklage nach hätte er einen grossen Schotterstein aus wenigen Metern Entfernung auf einen festnehmenden Polizisten geworfen, diesen auch getroffen - sodass er von der festzunehmenden Person abliess. Als er wenige Meter weiter aufgrund des Steinwurfs selbst festgenommen wurde, habe er sich, so die Anklage, mit Gewalt gegen die Festnahme gewehrt.
Die Zeugen und Zeuginnen
(Alle Namen habe ich nur gehört. Die richtige Schreibweise kann ich nicht garantieren.)
Der erste Zeuge war der Polizist Matschas (Dir ZA 23 Ehu). Dieser hatte sich als Angehöriger der Einsatzhunderstschaft Dir ZA 23 Ehu am Abend des 2. Febuar 2011 in einem Festnahmezug. Er sollte darauf achten, dass es keine illegalen Zusammenrottungen und mit der Räumung angekündigten Straftaten an diesem Abend in Berlin-Friedrichshain gäbe. Am S-Bahnhof Warschauer Strasse sei es dann zu einer Festnahme gekommen. Er habe sich an der Spitze eines etwa 8-Personen starken Festnahmezug befunden und habe dann mit seiner Kollegin PM´in Viertel die festzunehmende Person ergriffen. Rund um der Warschauer Brücke und in der Revaler Strasse hätten sich jedoch etwa 200 Personen gefunden, von denen etliche auf die Festnahme negativ reagierten. Die gegriffende Person erwehrte sich der Festnahme, sodass die beiden diese nicht richtig greifen und fixieren konnten. Plötzlich fühlte Matschas einen Schlag im Rücken und musste daraufhin von der Festnahme ablassen. Er und alle anderen Menschen in der Einsatzhundertschaft trugen dabei eine massive Körperschutzausstattung (KSA). Da Matschas von der festzunehmenden Person abliess, konnte seine Kollegin die sich wehrende Person nicht mehr halten. Die Person entkam.
Als zweite Zeugin sagte nun PM´in Jenni Viertel (26, Dir ZA 23 Ehu) aus. Sie bestätigte Matschas Aussage. Sie habe eine Person festnehmen wollen und plötzlich habe der Kollege Matschas von der festzunehmenden Person abgelassen. Das sei sehr untypisch. Hier gäbe es spezielle Regeln zur Festnahme und ein Ablassen würde gegen diese Regeln verstossen. Später erfuhr sie dann von Matschas, dass er abgelassen habe, weil ihn ein Stein von hinten sehr schwer getroffen hat. PM´in Viertel gab schliesslich noch an, dass es im Bereich Warschauer Strasse / Revaler Strasse einige Ingewahrsamnahmen gab und diese an der Sparkasse gesammelt wurden. Während des Abends seien immer wieder Gruppen der Einsatzhundertschaften durch die Gegend gezogen und hätten sogenannte "Festnahmeglocken" gebildet. (Mit Festnahmeglocke ist gemeint, dass zwei Personen eines Zuges festnehmen und der Rest eines Zuges sich absichernd 360 Grad herum stellt.) Anscheinend seien an diesem Tag auch einige Polizisten und Polizistinnen verlorengegangen und es sei sehr hektisch und stressig gewesen, da die Gruppenzusammensetzung und Gruppenfunktion oft wechselte.
Der dritte Zeuge war PK Thomas Franzke (36) aus Berlin. Franzke will schon seit 1990 bei der Polizei sein und ist seit 1993 in den Berliner Einsatzhundertschaften. Nun ist er Gruppenführer der 2. Gruppe in der Dir ZA 23 Ehu (kurz: 23 Ehu) und gab die Freigabe zur Festnahme einer Person. Am Tattag will er gesehen haben, wie der Angeklagte, aus etwa 4 Meter an den festnehmenden Kollegen Matchas herantrat und ihn mit voller Wucht einen grossen Schotterstein in den Rücken warf. Der getroffene liess sodann von der Festnahme ab und die Festnahme wurde so vereitelt. Schliesslich sei er dem Angeklagten, den er eindeutig als Täter identifizierte, hinterhergerannt und habe ihn dann mit zwei anderen Polizisten (POM Köwitsch, 2. Zug der 23. Ehu, und POM Raschke, 3. Zug der 23. Ehu) etwa 20 Meter weiter zu fassen bekommen.
Der nächste Prozesstag
Gegen 11 Uhr 30 wurde der Prozesstag im Raum B228 des Kriminalgerichts Moabit beendet. Der nächste Prozesstag ist am 29. März 2011 ab 9 Uhr 30 im Saal 455 im Kriminalgericht Moabit. Die Beteiligung von Prozessbeobachter und Prozessbeobachterinnen war heute sehr gering. Nur sechs Personen beobachteten diesen Prozess.
29. März 2011 - 9 Uhr 30
Raum 455 (der Raum kann sich ändern)
Kriminalgericht Moabit
Turmstrasse 91 in Berlin (U9 U-Bahnhof Turmstrasse / S7 S-Bahnhof Bellevue / Bus 187)
Randnotizen
Zeitgleich fand heute im Landgericht Berlin (gleiches Gebäude) ein Prozess gegen die Neonazis Uwe Menzel, Lutz Willert und Andreas Tanjsek statt. Der Vorwurf der Volksverhetzung und Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole stand hier im Raum. (Es ging konkret um die Neonaziband D.S.T. - Deutsch, Stolz, Treue - http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsch,_Stolz,_Treue - Aus diesem Grund waren sehr viele Neonazis im Gerichtsgebäude und in der Gegend unterwegs. Ich hatte das "Vergnügen" sechs Jugendliche Neonazis bei ihrem Wandertag ein wenig zu begleiten. Anklagende Behörde ist übrigens ebenso die Staatsanwaltschaftsabteilung 81.
Der Neubau des Kriminalgerichts Moabit wird übrigens durch Alarmsysteme der Firma SafRex überwacht. Siehe dazu: http://www.evergroup.com.hk - Einige Räume sind jedenfalls mit den Geräten der Firma ausgestattet.
Und noch ein wenig Werbung am Schluss: Das Einstellungsbündnis hat ein kleines Buch herausgegeben, in dem über die Prozessbegleitung im sogenannten mg-Prozess berichtet wird. Siehe: http://einstellung.so36.net/de/1815 - Interessant an dieser Stelle übrigens, dass Punks in linken Cafes mit Richtmikrofonen sitzen, Treffen in linken Berliner Veranstaltungsorten dokumentiert und abfotografiert werden und prozessbeobachtende Personen versucht werden anzuwerben.
Kommerzielle Medien
http://www.bz-berlin.de/tatorte/gericht/liebig-14-krawall-brite-schweigt...
http://www.morgenpost.de/berlin-aktuell/article1582634/Erster-Prozess-um...
http://www.berlinonline.de/berliner-kurier/berlin/liebig_14__prozess_geg...
http://www.rbb-online.de/nachrichten/politik/2011_03/prozess_um_krawall....
http://www.tagesspiegel.de/berlin/-justiz-/3970432.html