Spionage: Liebesgrüße aus London

Erstveröffentlicht: 
19.01.2011

Ein britischer Polizeispitzel wird auf peinlichste Weise enttarnt - Klarname, Telefonnummern und E-Mail-Adressen sind im Internet frei zugänglich. Damit bringt er auch die deutschen Behörden in Erklärungsnot.

 

Für einen Spion ist das die Katastrophe, eine unumkehrbare Niederlage. Über den britischen Polizisten mit dem Decknamen „Mark Stone“ gibt es inzwischen seitenlange Dokumentationen im Internet – inklusive Klarnamen, Telefonnummern, E-Mail-Adressen. Ähnlich wie über den verdeckten Ermittler des baden-württembergischen Landeskriminalamts, der bei seiner Infiltration Heidelberger Studentenkreise aufgeflogen war. Anders als „Simon Brenner“ hat „Mark Stone“ sogar einen Wikipedia-Eintrag. British police spy, steht da.

 

Mindestens sieben Jahre lang hat der Polizist britische Klimaaktivisten ausgehorcht, bis er jüngst aufflog. Seither vergeht in England kein Tag ohne neue Enthüllungen. Denn ähnlich wie „Brenner“ soll „Stone“ nicht nur zugehört, sondern auch angestiftet und mitgemacht haben bei Protestaktionen. Und ähnlich wie „Brenner“ bringt nun auch er deutsche Behörden in Erklärungsnot: „Mark Stone“ beschränkte seine Tätigkeit bei weitem nicht auf England.

 

Undercover in Heiligendamm


Recherchen der Tageszeitung Guardian zufolge infiltrierte der verdeckte Ermittler zahlreiche antirassistische, klimapolitische und globalisierungskritische Organisationen in 22 Ländern – darunter Deutschland. So soll er beim G8-Gipfel in Heiligendamm im Sommer 2007 die Behörden informiert haben. Erkenntnisse aus England allerdings legen nahe, dass er es dabei nicht beließ: Der 41-Jährige soll eine Protestaktion gegen das vom Energiekonzern Eon geführte Kraftwerk Ratcliffe-on-Soar nicht nur begleitet, sondern initiiert und angeführt haben. Neben der Polizei versorgte er mutmaßlich auch Kraftwerksbetreiber Eon mit Informationen.

 

Und bei dieser Aktion flog er auf. Aufmerksame Beobachter stellten fest, dass von 114 Verfahren gegen beteiligte Aktivisten ausschließlich das gegen „Mark Stone“ fallen gelassen wurde. Eon weicht Fragen danach aus und erklärt lediglich, den Briten „nie beschäftigt“ zu haben.

 

Und auch die deutschen Behörden halten sich bedeckt, obwohl die Kreise des Ermittlers bis weit in ihr Einflussgebiet reichten. Eine Anfrage des Linken-Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko beantwortete das Bundesinnenministerium mit einer viele Seiten langen Stellungnahme, in der es ausführlich um Europäische Rechtshilfeübereinkommen und deren Zusatzprotokolle geht. Über die Rolle des britischen Undercover-Polizisten beim Gipfel in Heiligendamm verliert das Ministerium aus „einsatztaktischen Erwägungen“ kein Wort.

 

Dabei wäre es gerade vor dem Hintergrund des Prozesses um den Sternmarsch in Heiligendamm von Bedeutung, der am Mittwoch in Schwerin begann. Die Demonstration am letzten Gipfeltag war von der Polizei verboten worden, wogegen die Anmelder klagten und zunächst teilweise recht bekamen. Einen Tag vor der Demonstration bestätigte dann das Verfassungsgericht das Verbot. Es berief sich auf Meldungen der Polizei, wonach nicht näher benannte Quellen aus den Protestcamps von mysteriösen Waffen wie etwa mit Nägeln gespickten Kartoffeln berichteten. Gesehen oder gar eingesetzt wurden diese Waffen nie. Da sich auch die von der Polizei behaupteten 500 teils schwer verletzten Polizisten bei der Auftakt-Demo und die vermeintlichen Steinwerfer am Zaun von Heiligendamm als Falschmeldungen entpuppten, stellt sich die Frage, welche Rolle „Mark Stone“ in den Protestcamps spielte.

 

In Schwerin klagen nun Gipfelgegner, die das Verbot für rechtswidrig halten. Würde sich herausstellen, dass neben anderen der britische Spitzel zu falschen Polizeiangaben beitrug, wie die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Linke) vermutet, müssten sie recht bekommen. Hunko fordert, dass die Bundesregierung die Rolle des Briten ebenso „lückenlos offenlegt“ wie die Informationen, die er über Aktivisten sammelte.

 

„Mark Stone“ ist derweil – wie auch „Simon Brenner“ – verschwunden. Britische Medien mutmaßen, er habe sich in die USA abgesetzt. Seine Geschichte samt Liebesaffären hat er vorher noch der Daily Mail verkauft. Angeblich aus Geldnot.

 



Im Netz der Sicherheitsbehörden

Wer in Deutschland als vermeintlicher politischer Extremist ins Visier von Ermittlern gerät, landet in Personendateien des Bundeskriminalamtes (BKA). Die Beamten erfassen in den Dateien wie „Gewalttäter links“ oder „International agierende gewaltbereite Störer“ (Igast) ausdrücklich nicht verurteilte Täter, sondern Personen, die vermutlich eine Gewalttat verüben könnten. In die Dateien können auch Informationen ausländischer Polizeien einfließen.

Klare Kriterien, die die Erfassung rechtfertigten, gibt es nicht − das räumte die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage vor Monaten ein. Grundlage für die Gefahreneinschätzung einer Person sei die polizeiliche Ausbildung und „bestimmte Tatsachen“, die den Betroffenen Gewaltakte in Zukunft unterstellten.
Der konkrete Grund für die Speicherung einer Person bleibt unklar. Ebenso räumt die Bundesregierung ein, dass es keine Analyse darüber gibt, wie oft ein Verdacht, jemand könne gewalttätig werden, sich tatsächlich auch bestätigt.

Die Informationen aus den Personendateien stehen deutschen Polizeien zur Verfügung und werden vom BKA an ausländische Kollegen weitergeleitet, wenn diese anfragen. So übergab das BKA vor dem UN-Klimagipfel im Dezember 2009 240 Personendaten aus der Igast-Datei der dänischen Polizei. Im August 2010 waren 1349 Personen in der Igast-Datei gespeichert, in der Datei „Gewalttäter links“ waren es 2173. Die Bundesregierung führt keine Statistiken darüber, wie oft und an welche ausländischen Polizeien Daten übermittelt werden. Nach eigener Aussage sei der Erkenntniswert daraus zu gering.

Die Datensammlung zu Igast kann ausführlich sein: Von Namen,
Geschlecht, Größe und Gewicht über Autokennzeichen und -typ bis hin zu Arbeitsstätte und Dokumenten wird gesichert, was in die Finger kommt. Wer beispielsweise als Globalisierungskritiker in die Igast-Datei gerät, muss damit rechnen, dass sich die Ermittler auch für seinen Bekanntenkreis interessieren.

Brisant ist der Datenhunger der Polizeien, weil die nationalen Datensammlungen auf EU-Ebene weiter zusammengeführt werden sollen. Ungeklärt ist, welche Dateien das BKA künftig an Europol überstellt. So besteht die Gefahr, dass in die von der EU geplante Datensammlung „Reisende Gewalttäter“ Informationen aus der Igast-Datei einfließen, die keine verurteilten, sondern nur potenzielle Gewalttäter betreffen. Bereits jetzt existieren bei Europol 21 „Arbeitsdateien für Analysezwecke“. Die Datenbank ist bei Europol in Den Haag angesiedelt.