"Berlusconis Werdegang ist nicht wiederholbar"

Berlusconi
Erstveröffentlicht: 
14.12.2010

Ein Gespräch mit dem Historiker Antonio Gibelli über subversive Rechte, Schicksalstage, lange Schatten, Anti-Politik und die geplatzten Mythen des Berlusconismus


Mit Spannung erwartet man nicht nur in Italien das Ergebnis des Misstrauensvotums am heutigen 14.Dezember gegen Regierungschef Silvio Berlusconi insbesondere in der Abgeordnetenkammer. Während im Senat dank des maßgeschneiderten Wahlrechts mit einer Bestätigung zu rechnen ist, wird unter den Abgeordneten mit einer knappen Mehrheit gegen den Medienzar und Multimilliardär gerechnet.

 

Nach der Abspaltung der Fraktion Futuro e Libertà per l'Italia (Zukunft und Freiheit für Italien, FLI) um den Kammerpräsidenten und ehemaligen Vorsitzenden des neofaschistischen MSI und der rechtskonservativen Alleanza Nazionale, Gianfranco Fini, der sich inzwischen als Liberaler präsentiert, soll die Opposition inzwischen mit mindestens 317 Stimmen, das Regierungslager hingegen nur noch auf 308 bis 309 Parlamentarier, rechnen können. Inzwischen haben sich die Aktivitäten auf dem "Stimmenmarkt" derart intensiviert, dass bereits die römische Staatsanwaltschaft wegen "Kaufes von Abgeordneten" ermittelt.

Die "Neue Zürcher Zeitung" sprach am 7.Dezember von "Berlusconis Schicksalstag", doch viele renommierte Kommentatoren, wie beispielsweise der Leitartikler des Industriellenblattes "Il Sole – 24 Ore", Stefano Folli, aber auch Berlusconis engster Verbündeter, Lega Nord-Führer Umberto Bossi, gehen davon aus, dass selbst ein knapper Sieg keine tragfähige Grundlage für die Fortsetzung der Koalition wären und plädieren für Neuwahlen Ende März 2011.

Neben dem Vertrauen eines Großteils der Banker und Industriellen hat der "Cavaliere" auch in der Bevölkerung deutlich an Boden verloren. So schrumpft Berlusconis Popolo della Libertà (Volk der Freiheit, PdL), einer Umfrage des IPSOS-Instituts unter 8.500 repräsentativ ausgewählten Wahlberechtigten zufolge, gegenüber den Wahlen vom April 2008 um 7,9 Punkte auf 29,5%.

Sollte es zu einer gemeinsamen Kandidatur der "Grossen Neuen Mitte" aus FLI, der christdemokratischen UDC, der sizilianischen MPA und der API des ehemaligen römischen Bürgermeisters Francesco Rutelli kommen, stürzte die größte Regierungspartei sogar um 10,7 Punkte bis auf 26,7% ab. Die rechtspopulistische Lega Nord würde sich auf 11,1% oder 10,3% (+ 2,8% bzw. + 2,0%) verbessern, während sich die neofaschistische Neugründung La Destra (Die Rechte) von Francesco Storace von 2,4 Prozent auf 1,4% oder 1,0% ungefähr halbiert.

Zu den großen Verlierern zählte aber auch die mitte-linke Demokratische Partei, die als wichtigste Oppositionskraft völlig farblos blieb und von ehemals 33,2 Prozent auf 24,0%, respektive 22,2%, fällt, also in einem ähnlichen Umfang verliert wie der PdL.

Ausschlaggebender Faktor wird beim gegenwärtigen Stand der Dinge der "Dritte Pol" aus den neuen und alten neoliberalen Kleinparteien UDC, FLI, API und MPA, dem bei Einzelkandidaturen insgesamt 12,6% und bei einem gemeinsamen Auftritt 21,1% zugetraut werden.

Egal wie die Abstimmung im Parlament am Dienstag ausgeht, scheint die 17jährige von Berlusconi geprägte Ära der italienischen Politik zu Ende zu gehen. Was das konkret bedeutet, darüber sprach Telepolis mit Professor Antonio Gibelli, der an der Universität Genua Zeitgeschichte lehrt und in diesem Jahr im Verlag Donzelli Editore das Buch "Berlusconi passato alla storia" herausbrachte.

"Der extremste, zugleich kreativste und glaubwürdigste Interpret der Antipolitik"

Silvio Berlusconis politischer Untergang ist in den vergangenen Jahren oft beschworen worden. Markiert der Dezember 2010 nun tatsächlich sein Ende?

Antonio Gibelli: Bei der Beurteilung von Berlusconis Untergang sollte man besser nicht nach einem präzisen Datum für den Absturz suchen, sondern mehr von einer inneren Zerrüttung und einer Implosion ausgehen. Mit Sicherheit existiert der Kontext nicht mehr, der einst zu seinem Erfolg führte. Seine historische Funktion, die zum Teil unabhängig von seinen Motivationen und Interessen ist, erschöpft sich ganz einfach.

Seine Rolle bestand darin, ein Vakuum, wie es nach dem Ende des Kalten Krieges und dem großen Parteispenden- und Schmiergeldskandal Tangentopoli ab 1992 entstand, zu füllen sowie die Rechten in dieser dramatischen Übergangsphase, in der das alte System zusammengebrochen war, zu einen und zum Sieg zu führen. Das gelang.

Der durch die Auflösung insbesondere der Democrazia Cristiana frei gewordene Platz wurde wieder gefüllt, die Rechten gewannen 1994, 2001 und 2008 die Wahlen und nun trennen sie sich wieder. Die wichtigste Bruchlinie ist dabei jene, die die bislang erfolgreiche, populistische und tendenziell subversive Rechte von einer Rechten unterscheidet, die noch im Entstehen ist, aber für die Verfassungstreue eintritt, die Institutionen respektiert und die Legalität als einen entscheidenden Punkt betrachtet. Also genau das Gegenteil des Berlusconismus.

Sie sprechen davon, dass sich der gesellschaftliche Kontext verändert hat, aber bedeutet das auch, dass Berlusconis Modell der Führerfixierung und der so genannten "Spektakelpolitik" in der Krise steckt?

Antonio Gibelli: Nein, diese Charakteristika, die den Berlusconismus auszeichneten, gibt es weiterhin: die Personalisierung, die Verringerung der Rolle der Parteien, die antipolitischen Tendenzen sowie die überwältigende Rolle des Fernsehens. Meiner Meinung nach repräsentiert der Berlusconismus die extreme Verkörperung und die Pathologie dieser Tendenzen, die auch ohne ihn fortbestehen können, allerdings in abgeschwächter Form, nicht subversiv und mit der liberalen Demokratie vereinbar.

Während sie unter Berlusconi, der sich anmaßt den Staat als sein Privateigentum zu behandeln, zu einem Kollaps der Demokratie führen. Berlusconi war der extremste und zugleich kreativste und glaubwürdigste Interpret der Antipolitik. Ein entscheidender Faktor, der noch heute dominiert. Man kann sogar sagen, dass der Niedergang des Berlusconismus die Politik weiter diskreditiert und diese Tendenz noch verschärft, weil er die Konfusion steigert und keine starke Alternative vorhanden ist.

Zwingt Berlusconis Populismus tatsächlich die Opposition auf dasselbe Terrain? Ist das das Erfolgsgeheimnis seiner profiliertesten Widersacher wie dem Komiker Beppe Grillo (siehe Beppe Grillo: Weblogger und italienisches Enfant terrible) mit seinem Movimento Cinque Stelle (5-Sterne-Bewegung) und dem ehemaligen Anti-Korruptions-Staatsanwalt und unumschränkten Führer von Italia dei Valori (Italien der Werte, IdV) Antonio Di Pietro, die ja markante Gemeinsamkeiten mit ihrem Feindbild aufweisen?

Antonio Gibelli: Ich würde da unterscheiden. Di Pietro schlägt durchaus scharfe Töne an, aber im Grunde macht er Politik und hat Bündnisse im Sinn. Grillo hingegen zeigt ein palingenetisches Verhalten. Seiner Ansicht nach kann das Heil nur aus einer totalen Ablehnung und Verweigerung der Politik erwachsen und so verurteilt er sich selbst zu einer reinen Bekenntnisrolle. Das ist die typischste Form der Antipolitik, allerdings nicht aufgrund der Argumente, die er bringt, die durchaus vernünftig und begründet sind und man meiner Meinung nach auch teilen kann, sondern wegen der apokalyptischen Art, in der er sie präsentiert.

Er ist Berlusconis Spiegelbild, denn der war der große Erfinder dieses Nihilismus, der die Politik zerstört, indem er die komischen Aspekte ausnutzt. Berlusconi gibt den Komiker, um die Politik zu zerstören und Grillo, um ernsthafte Sachen zu sagen.

Der Mythos bläht sich immer weiter auf und platzt am Ende

Inzwischen wirkt Berlusconi jedoch für immer mehr Italiener nicht mehr komisch. Haben die unangenehmen Details über sein Privatleben, die Eskort-Ladys, Kontakte zu Minderjährigen etc., die ja auch zur Einleitung der Scheidung durch seine Ehefrau Veronica Lara führten, den Untergang eingeleitet?

Antonio Gibelli: Ja, davon bin ich überzeugt. Diese Dinge besaßen ein größeres Gewicht, als man zunächst dachte. Das hat Berlusconis Image sehr geschadet, weil seine Fähigkeit alles zu tun, allgegenwärtig zu sein, mit allen möglichen Frauen auf alle möglichen Partys zu gehen, hyperbolisch wurde. Das war der Anfang vom Ende. Die Mythologien können durch Übermaß explodieren. Der Mythos bläht sich immer weiter auf und platzt am Ende.

Kann die Lega Nord von Umberto Bossi mit ihrer Ausländerfeindlichkeit, ihrer Law & Order-Politik, ihrem Saubermannimage und ihren Versprechungen von Steuererleichterungen für die Massen nach Aufkündigung des inneritalienischen "Länderfinanzausgleichs" das Erbe des Berlusconismus antreten?

Antonio Gibelli: Ich betrachte die Lega Nord nicht als ein Nachfolgeprodukt. Im Augenblick scheint mir, dass die beiden Protagonisten der Regierungsmehrheit – die Lega und der Popolo della Libertà – Konkurrenten sind, die sich verbrüdert haben. Die Lega Nord ist eine fremdenfeindliche, ethnozentristische, tendenziell sezessionistische Partei, die darauf abzielt, die Macht des Staates durch die padanische Macht (also die Macht der Poebene bzw. der norditalienischen Regionen) zu ersetzen.

Der PdL hingegen ist eine mit der Zentralmacht verbundene Partei, die diese allerdings für die persönlichen Zwecke des Ministerpräsidenten nutzt. Sie marschieren zusammen und sind Akteure desselben Abgleitens ins Subversive.

Was folgt dann auf den Berlusconismus? Gibt es eine Rückkehr der Parteienherrschaft, wie wir sie bis Ende der 80er Jahre erlebten oder kommt etwas ganz Neues?

Antonio Gibelli: Wenn man historisch denkt, gibt es niemals ein Zurück. Nicht einmal die Restauration nach dem Ende von Napoleon Bonaparte 1815 ist gelungen. Eine Rückkehr zum Vergangenen würde ich mit Sicherheit ausschließen und ich weiß nicht mal, ob das gut oder schlecht ist. Ich denke nicht, dass die alte Parteienherrschaft aus ihrer Asche neu entstehen kann.

Im Gegenteil, um einen völligen Verfall zu verhindern, muss man die Kraft haben das Neue zu denken. Die alten, stark strukturierten Parteien mit ihrer Entscheidungsfindung von oben nach unten haben keinen Sinn mehr.

Und doch gibt es in letzter Zeit Viele, die die Lega Nord als Partei alten Stils mit Aktivisten und Ortsgruppen bis in den letzten Winkel betrachten und bewundern…

Antonio Gibelli: Das ist meines Erachtens ein großes Missverständnis. Die Lega funktioniert über ihre Tageslosungen, ihre zentralen Parolen, die die kollektiven Ängste interpretieren und verschärfen. Auch die Nazis verfügten über eine an der Basis verankerte Partei. Durchgesetzt haben sie sich aber nicht aus dem Grund, sondern wegen ihrer Fähigkeit die grundlegenden Ängste und Impulse in symbolischen Begriffen heraufzubeschwören. Genauso macht es die Lega Nord, die nicht wegen ihrer Struktur, sondern wegen ihrer Sprache Zulauf hat.

Wenn die Allianz von PdL und Lega hält, könnte dann Bossis Sohn Renzo, der jüngst zum lombardischen Regionalrat aufstieg und mit radikalen Sprüchen von sich reden macht, zusammen mit Berlusconis Tochter Marina, die bereits Präsidentin des Familienkonzerns FININVEST ist, irgendwann in die Fußstapfen der beiden Alten treten und der italienischen Rechten neuen Schwung verleihen?

Antonio Gibelli: In Bewegungen, die zum Gutteil vom Charisma ihrer Führer leben, ist eine ordentliche Nachfolge nicht vorstellbar, deshalb kommen Gedanken an eine Erbfolge monarchischen Typs auf. Im Fall von Bossis Sohn führt die allerdings zu grotesken Ergebnissen. Und was Marina Berlusconi anbelangt, halte ich es für sehr unwahrscheinlich, dass sie in der Politik irgendwann ihren Vater ersetzt, weil Silvio Berlusconi keine Nachfolger haben kann und keine haben wird. Sein Werdegang ist nicht wiederholbar.