[Geschichte] Völlig verbiestert

Erstveröffentlicht: 
04.06.1984

Auf neonazistische Umtriebe reagieren militante linke Gruppen in Hamburg mit Selbstjustiz. *

 

Dreckiges Judenschwein" stand auf der Morddrohung, die der Hamburger Arzt Karl Fabig, Kommunist und Mitglied einer Friedensinitiative, erhielt: "Rote Sau, verrecke, Dein Ende ist geplant." Absender waren, "gez. SS-Langenhorn", Neonazis.

Zuvor war der Mediziner schon mal auf offener Straße von uniformartig gekleideten jungen Männern zusammengeschlagen worden, mal hatten ihm Rechtsradikale das Gartenhaus in Brand gesteckt. Gedenktafeln für die Opfer des Faschismus wurden zerstört, Brandanschläge auf einen Türken-Laden und auf ein Büro der Grün-Alternativen Liste verübt; die Polizei nahm jugendliche Plakatkleber ("Rotfront verrecke") fest, die mit Messern und schußbereiten Pistolen bewaffnet waren - Gewalt von rechts, wie gehabt.

Neu aber ist, daß in Hamburg und Umgebung militante Linke sich ähnlicher Mittel bedienen: Mal brannten letzthin drei Autos aus, die stadtbekannten Neonazis gehörten, dann stand die Eingangstür einer Gaststätte in Flammen, die als Treffpunkt der rechten "Deutschen Volksunion" gilt, und gleichzeitig loderte auch die Fahrzeughalle des Bus-Unternehmens "Hansa Rundreisen", das einmal Mitglieder der "Konservativen Aktion" zu einem Einsatz gekarrt hatte.

Am Eingang zur Bahnhofsgaststätte im Stadtteil Marienthal, Tagungsstätte des NPD-Kreisverbands Wandsbek, detonierte unlängst ein mit Sprengstoff gefüllter Feuerlöscher - auch dies "ein Terrorakt mit demonstrativem Charakter", wie Hamburgs Verfassungsschutz-Chef Christian Lochte meint.

In der Hansestadt ziehen Rechts- und Linksextremisten nicht nur verbal übereinander her, sondern beginnen auch aufeinander einzuschlagen, in Kneipen wie in Jugendheimen und auch zu Hause. Lochte ist "alarmiert", weil "die sich schon gegenseitig in den Privatwohnungen aufsuchen" - "das hat jetzt eine ganz andere Qualität".

Ein entscheidendes Datum für die Entwicklung des brachialen Polit-Kampfes war der 25. Oktober vergangenen Jahres, der Tag vor dem Fußball-Länderspiel Deutschland - Türkei in Berlin. Speziell aus diesem Anlaß hatten in etlichen Städten rechte Gangs gegen Ausländer gehetzt. Linke hielten gewaltig dagegen: Sie wollten "durch gezielte Angriffe auf ihre bekannten Treffpunkte, ihre Wohnungen, ihre Fahrzeuge und sie selbst ... in verschiedenen westdeutschen Städten die Faschisten binden" -

so eine Gruppe, die sich nicht näher vorstellte.

Seither rissen in Norddeutschland die Attacken nicht mehr ab. Einem Busunternehmer, der der Hiag (Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Soldaten der ehemaligen Waffen-SS) ein Fahrzeug zur Verfügung gestellt hatte, wurde brieflich das Schicksal von "Hansa Rundreisen" angedroht ("mit freundlichen Grüßen - Antifaschisten"). In Hamburg tauchten über Nacht Plakate auf, die Konterfeis von 17 Rechtsradikalen zeigten: "Achtung Nazis".

Eine Gruppe "Brecht die faschistische Tradition des 9. November" zerstörte just an jenem geschichtsträchtigen Tag (1923: Hitlers Marsch auf die Feldherrnhalle in München, 1938: Reichskristallnacht) die von Nazis verehrten Schlageter-Denkmäler bei Soltau und Fallingbostel, auf dem Soldatenfriedhof in Essel bei Walsrode stürzte sie die Grabsteine von SS-Führern um. Die Grabplatten wurden mit der Parole besprüht: "Den Galgen für die Waffen-SS."

Hinter den meisten Aktionen vermuten die Verfassungsschützer die "Autonomen Antifaschisten", die nicht viel mehr von sich preisgeben, als daß sie "faschistische Tendenzen in der Gesellschaft" bekämpfen und dabei selbst "zu einer Gefahr für das System" werden wollen.

Daß "jetzt auch die Linken so vorgehen", halten Staatsschützer für ausgesprochen gefährlich - weil nun die Rechten zu Kurzschlußhandlungen provoziert werden könnten. "Die Linken", sagt Verfassungsschutz-Chef Lochte, "sind noch berechenbar, die verbieten sich einiges von selbst. Mit Vernunft kann man aber auf Seiten der Neonazis nicht rechnen." Denn die handelten "nach dem Motto: Je schlimmer, desto besser".

Wohl blieben, weiß die Staatsschutzabteilung der Polizei, rechte Logistik und Organisation weit hinter der der Linken zurück. Die Rechten seien "von der geistigen Kapazität her nicht gerade weltbewegend und irgendwie alle Psychopathen, völlig verbiestert". Aber gerade deshalb seien sie auch gefährlicher.

Die Zuspitzung kommt nicht von ungefähr in einer Stadt, in der die Rechtsradikalen immer wieder von sich reden machen. An den Wahlurnen haben sie zwar keine nennenswerten Erfolge zu verzeichnen (bei der Bürgerschaftswahl 1982 erzielte die von der NPD initiierte "Hamburger Liste für Ausländerstopp" 0,3 Prozent), aber dem Hitler-Fan Michael Kühnen gelang es Mitte der siebziger Jahre, eine entschlossene Anhängerschar zu sammeln. Schon 1977 wurden seiner "Hansa-Bande" sieben Anschläge auf DKP-Büros und 202 Hakenkreuzschmierereien auf jüdischen Friedhöfen und Synagogen zugerechnet.

Die Neonazis traten in Uniform öffentlich auf und störten SPD-Wahlveranstaltungen. Überörtliches Aufsehen erregte die Eselsmasken-Aktion ("Ich Esel glaube noch, daß in deutschen KZs Juden vergast wurden"). Bei einem neonazistischen Brandanschlag auf ein Asylantenwohnheim kamen 1980 zwei Vietnamesen ums Leben, im Jahr danach wurde der Rechtsradikale Johannes Bügner Opfer eines Feme-Mordes.

Kühnens "Aktionsfront Nationale Sozialisten/Nationale Aktivisten" wurde im November vorigen Jahres vom Bundesinnenministerium verboten - mit geringem Erfolg. Hamburgs Innensenator Alfons Pawelczyk gab im März bekannt, daß sich inzwischen die Zahl der polizeibekannten Neonazis von 30 auf 50 erhöht habe und die Rechten sich zunehmend bewaffnen und auch schießen würden.

Vor allem ist es ihnen gelungen, in Jugendgruppen einzudringen. Sie rekrutierten in Fußball-Fanklubs, bei den kahlköpfigen und rabiaten Skinheads und vereinnahmten eine Jugend-Gang, die sich "Savage Army" nennt.

Die Skinheads avancierten mittlerweile auch überregional zur Saalschutz- und Prügel-Truppe. Auf dem NPD-Landesparteitag in Wiehl bei Gummersbach Ende April fungierten hundert Skins als Ordner, die brutal auf Gegendemonstranten eindroschen.

Mit der zunehmenden Aktivität der Neonazis gewannen innerhalb der Hamburger Linken denn auch allmählich die militanten Kräfte an Einfluß; tonangebend wurde eine Gruppe "Antifaschistische Aktion" (AA), die vorgibt, jederzeit 50 Entschlossene und darüber hinaus 200 mobilisierbare Antifaschisten zum Einsatz bringen zu können. Die AA will tätliche Aktionen gegen rechts organisieren, "die Ausländerfeindlichkeit knacken" oder auch "klären, ob die Neonazis dem Kapital zur Zeit nur als Rollkommandos dienen oder die Errichtung des offenen Faschismus vorbereitet wird".

"Die haben", weiß Verfassungsschützer Lochte, "einen eigenen Nachrichtendienst aufgezogen, die spielen Verfassungsschutz und machen Selbstjustiz." Im "Gau Hamburg", notierte Neonazi Kühnen in seinem internen Info-Blatt "Die innere Front", gebe es "die radikalsten Gegner - härter und brutaler als irgendwo anders".

Die Autonomen observieren und vermerken jede Aktivität der politischen Rechten, ob von Kühnens Mannen, der _(Bei einer Demonstration gegen den ) _(NPD-Parteitag in Fallingbostel im ) _(Oktober 1983. )

NPD, Ludek Pachmans "Konservativer Aktion", ob von "Savage Army" oder Skinheads. Für sie ist das kein Unterschied. Akkurat führen sie ein Archiv, erspüren "in monatelanger Puzzlearbeit" die Identität der Neonazis und versuchen, auch auf Jugendgangs einzuwirken. "Die Jugendlichen", heißt es in einem Papier, können "dem neofaschistischen Einfluß entzogen und neutralisiert werden durch die Entwicklung ihrer Aggressivität ... und Selbstorganisation".

Gegen ein angekündigtes Groß-Aufgebot von Skinheads organisierte die AA beispielsweise im März vorigen Jahres 400 Neonazi-Gegner. Mit dabei waren "Karolinen-Ini, Ökos, Champs, Joker, Mickey Mouse, Jacksons, Griechen aus Hamm. Zusätzlich auf Abruf: Red Stars, Black Devils".

Auch die Jugendgang "Streetboys", die sich im St.-Pauli-Milieu einen Namen gemacht hat, wurde als Bündnis-Partner willkommen geheißen - "was zum Teil", wie sich ein Aktivist wundert, "schon zu einer abenteuerlichen Verharmlosung der Zuhälterei und der schweren Kriminalität geführt hat". Immerhin, so das Resümee des Tages: "Die Faschos verpißten sich ängstlich in Spelunken."

In einem unregelmäßig erscheinenden Info über "Neofaschistische Aktivitäten und Widerstand in Hamburg" vermerken die Autonomen genau, wann, wo und durch wen Anschläge ("auf eine jüdische Gemeindeschwester mit Pistole") oder Überfälle ("faschistische Skins nehmen das Freizeitzentrum Gewerbehof auseinander") verübt, Flugblätter verteilt oder Treffen in Privatwohnungen ("Video-Filme mit Naziwochenschauen, Nazi-Lieder abgesungen") veranstaltet werden.

Der Info-Dienst bringt "Das aktuelle Portrait" - etwa über den Neonazi Hans Meier, der "an folgenden Neonazi-Schweinereien beteiligt" war ("Hans we get you") - oder mit Freude auch Vollzugsmeldungen. Auszug: 
" St. Georg. Der Treffpunkt "Wienerwald" wird von ca. "
" 80 Antifaschisten aufgelöst: 25 Neonazis laufen wie die "
" Hasen; Kretschmann vom MC Bille/Bergedorf wird über sein "
" leicht demoliertes Moped gestolpert; 4 weitere Faschisten "
" laufen einigen Antifaschisten in die Fäuste; 45 "
" Peterwagen werden gegen die Antifaschisten eingesetzt; 11 "
" Personalienfeststellungen, Strafandrohung wegen "
" Sachbeschädigung und Körperverletzung, bisher keine "
" Anzeige. 1.500 Flugblätter werden in 1/2 Stunde in St. "
" Georg verteilt. Inhalt der Aktion kommt klar rüber: "
" "Drinnen waren die Faschisten, draußen die Kommunisten" "
" (Personal des "Wienerwald"); viel Zustimmung der "
" Bevölkerung. "

Von Kritikern innerhalb der Linken werden den militanten Autonomen blindwütiger Aktionismus und "Haudrauf-Politik" vorgeworfen. Sich selbst aber, "den Bereich der Subkultur", sehen die Nazi-Verfolger als "die entscheidenden Kräfte, die das System in seiner Funktion stören".

Den Neonazi-Führer Kühnen jedenfalls haben sie mehrfach gestört. In einer "Kommandoerklärung" zum Beispiel wurde "allen Interessierten zur Kenntnis" gebracht, daß "der am 6. Mai zuerst mit einem und am 8. Mai dann mit vier platten Reifen liegengebliebene gelbe Wagen von Michael Kühnen nicht etwa mit den Nazis wieder unterwegs" ist, "sondern von verantwortungsbewußten Antifaschisten einer heimischen Schrottpresse übergeben wurde. Leider saß Kühnen nicht drin".

Bei einer Demonstration gegen den NPD-Parteitag in Fallingbostel im Oktober 1983.