„Hass auf die linke Szene“ - Nach U-Bahn-Schlägerei Anklage gegen Neonazi erhoben

Erstveröffentlicht: 
17.08.2010

NÜRNBERG/FÜRTH - Sein Motiv: „Hass auf die linke Szene“. Seine Tat: eine Gewaltexplosion mit lebensgefährlichen Folgen. Jetzt hat die Staatsanwaltschaft einen 24-jährigen Neonazi aus Fürth, der einen 17-Jährigen am U-Bahnhof Plärrer übel zugerichtet hat, wegen versuchten Totschlags angeklagt.

 

Das Opfer ist wieder zu Hause; nach langen Wochen in der Klinik, im künstlichen Koma auf der Intensivstation. Vier Wochen Reha schlossen sich an. Trotzdem kämpft der 17-jährige Deutsch-Kurde noch immer mit Erinnerungslücken. Die Mordkommission scheiterte dann auch mit ihrem Versuch, ihn zu vernehmen. Außerdem quälen ihn die Folgen seiner Verletzungen. Der 17-Jährige kann nicht richtig gehen. „Er muss Geduld haben“, sagt eine Freundin der Familie. Eigentlich wollte er im September eine Schreinerlehre beginnen. „Die Ärzte sagen, dass das unrealistisch ist.“

 

Es ist der 28. April dieses Jahres. Zufällig fährt der 17-Jährige mit einem Neonazi aus Fürth und dessen Freundin in derselben U-Bahn Richtung Plärrer. Die Frau trägt eine Bauchtasche der Marke „Thor Steinar“; eine Marke, die in der rechten Szene beliebt ist. Als der 17-jährige Antifaschist eine Bemerkung über die Bauchtasche macht, schlägt der Neonazi zu — nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft „aus Hass auf die linke Szene und Verärgerung über die Kritik an der Kleidung seiner Freundin“, so Sprecherin Antje Gabriels-Gorsolke.

 

Laut Anklage versetzt der 24-Jährige dem Jugendlichen unvermittelt einen Faustschlag ins Gesicht und einen Tritt in den Bauch. Es entwickelt sich eine Schlägerei, beide gehen zu Boden. Der Neonazi, ein Kampfsportler, kommt als Erster wieder auf die Beine. Dann tritt er „zielgerichtet und mit großer Wucht mindestens einmal mit dem Fuß gegen das Gesicht“ des Opfers, das am Boden liegt. Ein Fahrgast geht dazwischen. 

 

Als die U-Bahn am Plärrer hält, kann der 17-Jährige trotz seiner Verletzungen aussteigen. Seine Nase blutet. Von außen betrachtet mag in diesem Moment alles nicht so schlimm aussehen. Wenige Sekunden später bricht er am Bahnsteig zusammen. Er hat einen Herz-Kreislauf-Stillstand, muss wiederbelebt werden.

 

Die Staatsanwaltschaft führt den lebensbedrohlichen Zustand auf die Schlägerei zurück. Sie geht noch einen Schritt weiter: Der Schläger habe den „möglichen Tod des 17-Jährigen in Kauf“ genommen. Für Opferanwalt Hermann Gimpl ist eine Anklage wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung deshalb nur recht und billig. „Man hätte auch versuchten Mord unterstellen können.“

 

Hitler-Bild in der Wohnung
Der Schläger sitzt seit der Tat in U-Haft. Er hatte sich einen Tag nach dem Übergriff gestellt. Wie berichtet, ist der 24-Jährige vorbestraft. Seine Zugehörigkeit zur rechten Szene ist Ermittlern lange bekannt. Er bewege sich im Dunstkreis des Neonazi-Netzwerkes „Freies Netz Süd“ und der NPD und werde seit mehreren Jahren kritisch vom Staatsschutz beäugt, heißt es. Auch seine Freundin ist in der Szene keine Unbekannte. In ihrer gemeinsamen Wohnung habe die Polizei ein Hitler-Bild und eine Hakenkreuz-Kerze entdeckt.

 

Opferanwalt Gimpl hat die Freundin des Schlägers angezeigt. Er wirft ihr Strafvereitelung vor. Sie soll ausgesagt haben, vom Opfer beleidigt und bedroht worden zu sein. Gimpl: „Es gibt aber eine Zeugin, die sagt, dass das nicht stimmt.“ Die Staatsanwaltschaft hat 25 Zeugen für die Hauptverhandlung benannt.