Eine Söllinger Gaststätte gilt als Nazizentrum

Erstveröffentlicht: 
06.08.2010
Rechtsrock Skinheadbands spielen Lockvogel im Rössle. Die Grünen wollen, dass die Regierung aktiv wird. Von Andrea Koch-Widmann

 

Die Musik soll die Szene locken", sagt Hans-Ulrich Sckerl, der innenpolitische Sprecher der Grünen im Landtag. „Die Veranstaltungen sollen das Rössle systematisch zu einem überregional bedeutenden Nazizentrum werden lassen", warnt der Weinheimer Landtagsabgeordnete. Er fordert deshalb Unterstützung durch die Landesregierung für weitere Maßnahmen. Schließlich habe sich in dem Lokal in Söllingen, einem Ortsteil der Gemeinde Rheinmünster im Landkreis Rastatt, im ersten Halbjahr 2010 ein Zentrum rechtsextremistischer Aktivitäten in Baden-Württemberg entwickelt.

Sckerl bezieht sich auf eine Antwort der Landesregierung auf seine Anfrage. Demnach fanden allein zwischen März und Mai dieses Jahres fünf Konzerte von Bands der Skinhead- und Neonaziszene mit mehr als 800 Teilnehmern statt. Einige der Bands werden dem verbotenen Nazimusiknetzwerk Blood & Honour zugerechnet. Diese Veranstaltungen hatten nach Erkenntnissen der Grünen Zulauf aus ganz Deutschland und den angrenzenden EU-Staaten. Zudem gab es in dieser Zeit auch entsprechende politische Veranstaltungen und Schulungen. Das ist für den innenpolitischen Sprecher der Grünen der entscheidende Hinweis auf die eigentlich angestrebte Funktion des Lokals: „Das Söllinger Rössle entpuppt sich als Nazizentrum."

Laut Erkenntnissen des Innenministeriums ist zumeist die neonazistische Gruppierung „Kameradschaft Rastatt" Veranstalter der Skinheadkonzerte. Ein erstes Konzert habe es bereits Ende Oktober 2005 gegeben, mit rund 230 Teilnehmern, ein weiteres im Februar 2009 mit rund 240 Teilnehmern und Bands aus Freudenstadt, Thüringen und Australien.

Dieses Jahr gab es in schneller Folge gleich fünf Konzerte: am 20. März mit 135 Teilnehmern und drei Bands aus Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen und Mannheim; am 3. April kamen 160 Besucher zu Auftritten von Bands aus Mannheim, Rheinland-Pfalz und Stuttgart; am 17. April strömten 230 Besucher zu Auftritten von Bands aus Stuttgart und Bremen; am 8. Mai waren es 130 Besucher bei einer Gruppe aus dem Rems-Murr-Kreis; am 15. Mai zogen zwei Bands aus Rheinland-Pfalz und Stuttgart 100 Besucher an. Das Innenministerium listet weitere Veranstaltungen in dem Lokal im ersten Halbjahr auf, darunter eine sogenannte Rechtsschulung mit einem szeneangehörigen Rechtsanwalt am 26. März und eine Rednerveranstaltung mit einem Publizisten am 10. April, der Beiträge auf rechtsextremistischen Internetportalen veröffentlicht.

Die Polizei habe bei allen bekannt gewordenen Veranstaltungen Präsenz gezeigt und Personen- und Fahrzeugkontrollen durchgeführt, sagt der Innenminister Heribert Rech (CDU). Beim Konzert am 3. April seien 10 000 Aufkleber mit verfassungsfeindlichen und staatsverunglimpfenden Sprüchen sichergestellt worden.

Das Landratsamt Rastatt hatte bereits Mitte Mai reagiert und alle Konzerte bis Ende September aufgrund des Gaststättenrechts untersagt. Der Wirt habe lediglich eine gaststättenrechtliche Konzession, begründet der Erste Landesbeamte des Kreises Rastatt, Jörg Peter. Demnach seien nur zwölf Musik- und Tanzveranstaltungen im Jahr möglich. Da jedoch alleine im Zeitraum zwischen Ende März und Mitte Mai fünf Skinheadkonzerte stattfanden, liege die Prognose fürs ganze Jahr deutlich höher. „Dies ist durch die Konzession nicht gedeckt", sagt Peter. Er spricht von einer „formalen Illegalität der Gaststätte". Per Sofortvollzug wurden jegliche Musikveranstaltung untersagt. Wenn der Betreiber weiterhin Konzerte veranstalten wolle, könne er sich um eine „erweiterte Gaststättenkonzession bemühen".

Gegen den Beschluss des Landratsamtes legten der Eigentümer und die Betreiber des Lokals Rechtsmittel ein. Das Karlsruher Verwaltungsgericht entschied im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu ihren Gunsten und hob Mitte Juli den Sofortvollzug für das Konzertverbot auf. „Wir wollen die Sache grundsätzlich klären", betonte der Vizelandrat. Jetzt legte das Landratsamt Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim ein. Der Grünen-Abgeordnete Sckerl appelliert an die Landesregierung: „Jetzt müssen alle denkbaren Maßnahmen erwogen werden, um dem Treiben im Rössle auf Dauer Einhalt zu gebieten."