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Erstveröffentlicht:
12.07.2010
BERLIN (Eigener Bericht) - Mit großer Zufriedenheit
bilanzieren die deutschen Medien die nationalistische Kampagne zur jetzt
zu Ende gegangenen Fußball-WM. Man habe in Deutschland "ein paar
herrliche Sommertage" verlebt, "durchtränkt von Stolz und Patriotismus",
heißt es in der Hauptstadtpresse. Den aufgrund der NS-Verbrechen lange
Zeit "außerordentlich problematischen" Umgang mit nationalen Symbolen
habe man überwunden, die Deutschlandfahne sei nunmehr zum "Ausdruck von
Gemeinschaft" geworden, erklärt die staatsfinanzierte Deutsche Welle.
Die jetzt zu Ende gehende Kampagne hat die nationale Mobilisierbarkeit
der deutschen Bevölkerung weiter gesteigert - ein Umstand, dem
erhebliche Bedeutung zukommt, da die Medien die Außenpolitik der
Bundesregierung seit einigen Jahren zunehmend mit teils rassistisch
gefärbten Massenkampagnen begleiten. Jüngstes Beispiel war die Kampagne
gegen Griechenland anlässlich der Euro-Krise, die unter Nutzung
rassistischer Stereotype aus dem 19. Jahrhundert durchgeführt wurde.
Gewalttätige Übergriffe, die der angeblich friedliche
"Party-Patriotismus" hervorbrachte, werden dabei ebenso beschwiegen wie
die bemerkenswerte Toleranz gegenüber NS-Symbolen bei den Public
Viewings.
Nationale Gemeinschaft
Die deutschen Medien bilanzieren die nationalistische
Kampagne zur jetzt zu Ende gegangenen Fußball-WM durchweg mit großer
Zufriedenheit. "Das deutsche Team" habe "der Nation ein paar herrliche
Sommertage geschenkt, durchtränkt von Stolz und Patriotismus", heißt es
beispielsweise im Berliner Tagesspiegel.[1] Den aufgrund der
NS-Verbrechen lange Zeit "außerordentlich problematischen" Umgang mit
nationalen deutschen Symbolen habe man überwunden, erklärt die
staatsfinanzierte Deutsche Welle: Die deutsche Nationalflagge sei "zu
einem beinahe modischen Accessoire geworden", angeblich "komplett
unpolitisch" sowie "Ausdruck von Gemeinschaft".[2] In einem
norddeutschen Regionalblatt heißt es - typisch für die allgemein
verbreitete Stimmung -, "Schwarz-rot-gold" sei "ein Bekenntnis zu einer
Gemeinschaft geworden", die "friedlich und fair" sei "und niemanden
ausschließt".[3]
Gewalt
Dass von einem angeblich gewaltlosen
"Party-Patriotismus" keinesfalls die Rede sein kann, zeigten zahlreiche
Übergriffe gegen tatsächliche oder mutmaßliche Anhänger von
Mannschaften, gegen die das deutsche Team spielte. Kam es schon nach der
deutschen Niederlage gegen Serbien zu diversen Angriffen auf Serben,
wurden vor dem Match gegen Ghana mehrfach Schwarze attackiert.[4] Ihren
Höhepunkt erreichte die Gewalt nach der deutschen Halbfinal-Niederlage
gegen Spanien. Aus einer ganzen Reihe von Städten wurden physische
Attacken auf Spanier gemeldet, teilweise wurden auch spanische
Autokorsos angegriffen. In Ahlen (Nordrhein-Westfalen) musste die
Polizei deutsche Fans davon abhalten, ein spanisches Restaurant zu
stürmen. "Immer wieder" seien deutsche Fußballfans "körperlich oder
durch gezielte Würfe mit Flaschen, Feuerwerkskörpern oder anderen
Wurfgeschossen gegen jubelnde und feiernde Spanien-Fans oder deren
Fahrzeuge" vorgegangen, heißt es in einem Polizeibericht aus dem
nordrhein-westfälischen Landkreis Mettmann, der - im Unterschied zu
anderen Berichten - die Vorkommnisse des Abends umfassend
dokumentiert.[5] Die Attacken erreichten auch die virtuelle Welt. Einen
Angriff von Hackern auf die Website des spanischen Fußballverbandes Real
Federación Española de Fútbol (RFEF) schreiben spanische Behörden
deutschen Fußballfans zu.[6]
Geduldet
Davon, dass der "Party-Patriotismus" den Anwandlungen
der alten, aggressivsten Formen des deutschen Nationalismus widerstehe,
kann ebenfalls keine Rede sein. Immer wieder, heißt es in Berichten [7],
hätten deutsche Fans bei öffentlichen Public Viewings den "Hitlergruß"
gezeigt, Reichskriegsflaggen geschwenkt oder Nazi-Parolen gegrölt. Die
erste Strophe des sogenannten Deutschlandliedes ("Deutschland,
Deutschland über alles") war ebenfalls gelegentlich zu hören.
"Erschreckend" sei "nicht nur die Regelmäßigkeit", mit der diese
Vorfälle zu verzeichnen seien, sondern vor allem auch, wie sie "in den
meisten Fällen von der breiten Masse geduldet" würden, resümieren
kritische Beobachter.[8]
Massenkampagnen
Die Ansätze zu Gewalt und zu Toleranz gegenüber
Nazi-Parolen sind umso bedrohlicher, als in der Bundesrepublik in den
letzten Jahren gleich mehrfach rassistisch gefärbte Massenkampagnen für
außenpolitische Zwecke genutzt wurden. Dies gilt etwa für die Kampagne
gegen die Volksrepublik China vor den olympischen Sommerspielen in
Beijing 2008; damals wurden blutige Unruhen in der chinesischen Region
Tibet zum Anlass genommen, um die Bevölkerung der Bundesrepublik nahezu
geschlossen gegen China aufzubringen - auch auf der Basis alter
antichinesischer Ressentiments.[9]
"Slawische Unholde"
Rassistische Züge trug auch die Massenkampagne gegen
Griechenland anlässlich der Euro-Krise, die - ganz wie die
antichinesische Kampagne des Jahres 2008 oder die nationalistische
Kampagne zur diesjährigen Fußball-WM - von den deutschen Medien so gut
wie flächendeckend mitgetragen wurde, öffentlich-rechtliche
Rundfunkanstalten inklusive. "Kein Tropfen des alten Heldenblutes fließt
ungemischt in den Adern der jetzigen Neugriechen" [10], zitierte eines
der großen deutschen Nachrichtenmagazine im Februar zustimmend den 1861
verstorbenen österreichischen Publizisten Jakob Philipp Fallmerayer: Die
Bevölkerung des neuzeitlichen Griechenland sei "ein entartetes
Geschlecht", "Abkömmlinge jener slawischen Unholde, die im fünften und
sechsten Jahrhundert über das byzantinische Reich hereinbrachen und die
hellenische Nationalität mit Stumpf und Stiel ausrotteten." "Die
modernen Griechen", kommentierte das Magazin, "beweisen ihre
Unähnlichkeit mit ihren Vorfahren jedenfalls quasi täglich".
Fallmerayers rassistische Thesen hatten schon in den 1940er Jahren zur
Legitimation der NS-Expansion gedient.
Mittel und Zweck
Die von Politik und Medien geschürte nationalistische
Kampagne zur jetzt zu Ende gegangenen Fußball-WM hat die
Mobilisierbarkeit der Bevölkerung noch weiter gesteigert: Sie erfasste
auch linksliberale Milieus, die sich etwa während der Fußball-WM 2006
noch eine gewisse Distanz gegenüber den nationalistischen Aufwallungen
zu bewahren gesucht und zum Beispiel auf das Schwenken von
Deutschlandfahnen verzichtet hatten. Diesmal waren die wenigen Kritiker
des immer mehr erstarkenden deutschen Nationalismus ersten öffentlichen
Kampagnen ausgesetzt (german-foreign-policy.com berichtete [11]). Damit
geraten Widerstandspotenziale weiter in die Defensive, die zukünftigen
außenpolitisch motivierten Kampagnen wie denjenigen gegen China oder
gegen Griechenland etwas entgegensetzen könnten. Die Fußball-WM hat aus
Sicht Berlins ihren Zweck auch ohne deutschen Weltmeistertitel
vollständig erfüllt.
[1] Joachim Löw: Bleibt er oder bleibt er nicht?
www.tagesspiegel.de 10.07.2010
[2] Bunt, jung, phantasievoll; www.dw-world.de 07.07.2010
[3] Weser-Kurier: über den neuen Patriotismus der Deutschen; www.presseportal.de 09.07.2010
[4] Einen Überblick über Pressemeldungen, die von Übergriffen während der Fußball-WM berichten, publiziert die Zeitschrift konkret auf ihrer Website: www.konkret-verlage.de/kvv/txt.php?text=a1
[5] Enttäuschendes Halbfinalergebnis sorgte nur Anfangs für Ruhe; Polizei Mettmann 08.07.2010
[6] La web de la RFEF recibe el ataque masivo de hackers desde Alemania; www.lavanguardia.es 08.07.2010
[7] Public Nazi Viewing; blog.zeit.de/stoerungsmelder
[8] Fußballweltmeisterschaft 2010: Wenn Party-Patriotismus problematisch wird; www.netz-gegen-nazis.de
[9] s. dazu Besonders manipulativ und Jederzeit mobilisierbar
[10] 2000 Jahre Niedergang; Focus 22.02.2010
[11] s. dazu Ein Stück Volksverdummung
[2] Bunt, jung, phantasievoll; www.dw-world.de 07.07.2010
[3] Weser-Kurier: über den neuen Patriotismus der Deutschen; www.presseportal.de 09.07.2010
[4] Einen Überblick über Pressemeldungen, die von Übergriffen während der Fußball-WM berichten, publiziert die Zeitschrift konkret auf ihrer Website: www.konkret-verlage.de/kvv/txt.php?text=a1
[5] Enttäuschendes Halbfinalergebnis sorgte nur Anfangs für Ruhe; Polizei Mettmann 08.07.2010
[6] La web de la RFEF recibe el ataque masivo de hackers desde Alemania; www.lavanguardia.es 08.07.2010
[7] Public Nazi Viewing; blog.zeit.de/stoerungsmelder
[8] Fußballweltmeisterschaft 2010: Wenn Party-Patriotismus problematisch wird; www.netz-gegen-nazis.de
[9] s. dazu Besonders manipulativ und Jederzeit mobilisierbar
[10] 2000 Jahre Niedergang; Focus 22.02.2010
[11] s. dazu Ein Stück Volksverdummung