Der Verfassungsschutz ist unfähig, den Bedrohungen zu begegnen

Erstveröffentlicht: 
11.06.2017

Die Anschläge in Europa haben die Schwächen der Sicherheitsarchitektur aufgezeigt. Die Grünen plädieren für eine Neuausrichtung des Inlandsgeheimdienstes mit einer bundesweiten Sicherheitsagentur.

 

Die Probleme der deutschen Sicherheitsarchitektur sind historisch gewachsen: Der Aufbau der Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern nach 1945 folgte keinem koordinierten Plan mit einer klaren Systematik für aufeinander abgestimmte Befugnisse und Kompetenzen. Erst entstand die Behörde, danach erfolgte die institutionelle Einordnung in einen Gesamtkontext.

 

Angesichts der Bedrohungen ist es dringende Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass das Zusammenspiel der Sicherheitsbehörden im föderalen Gefüge effektiv funktioniert. Das Schleifen und Relativieren von Grund- und Freiheitsrechten hat sich hingegen als kontraproduktiv erwiesen. Wir schlagen vor: 

 

Einen runderneuerten Inlandsnachrichtendienst von Bund und Ländern


Der Verfassungsschutz in seiner aktuellen fragmentierten Aufstellung hat sich als unfähig erwiesen, den gegenwärtigen Krisen und Bedrohungen der inneren Sicherheit wirksam zu begegnen. Es braucht einen konsequenten auch institutionellen Neuanfang. Wir wollen einen Inlandsgeheimdienst zur Gefahrenerkennung und Spionageabwehr mit Außenstellen in vier bis sechs regionalen Abschnitten aufbauen, statt am Status quo von 16 Landesämtern und einem Bundesamt für Verfassungsschutz festzuhalten.

 

Zum Aufbau dieser Struktur vereinbaren Bund und Länder einen entsprechenden Staatsvertrag. Die Aufgabenbereiche sind klar zu definieren und abzugrenzen von polizeilichem Handeln. Der V-Leute-Einsatz soll stark begrenzt und wirksam kontrolliert werden. Generell gilt, dass Nachvollziehbarkeit, Transparenz und demokratische Kontrolle für das nachrichtendienstliche Agieren dieser neuen Behörde konstitutiv sein sollten.

 

Schwerer Kriminalität durch föderale polizeiliche Zusammenarbeit begegnen


Ob beim Terrorismus, der organisierten Kriminalität oder der Bandenkriminalität: Überall haben wir es mit länderübergreifenden Phänomenen zu tun, denen wir derzeit noch zu sehr mit Kleinstaaterei statt mit effektivem Föderalismus begegnen. Die Causa Amri hat gezeigt, dass auch das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum (GTAZ) nicht hält, was es verspricht, und Verantwortung wie eine heiße Kartoffel hin und her geschoben wird. Es braucht hier endlich klare Zuständigkeiten, gleichförmige Verfahren und eine vereinheitlichte rechtliche Grundlage.

 

Zudem sollen Bund und Länder zur Bekämpfung bestimmter Kriminalitätsphänomene im Rahmen von Verwaltungsvereinbarungen gemeinsame Standards entwickeln, auch um sich gegenseitig mit Personal und Ausstattung unterstützen zu können.

 

Analog zur Bereitschaftspolizei können sich die Bundesländer wechselseitig verpflichten, personelle und sachliche Mittel für bestimmte Aufgaben bereitzustellen. Auch die Kooperation im Rahmen der IT könnte so effizienter und stark verbessert werden. Das ermöglicht eine effektive föderale kriminalpolizeiliche Zusammenarbeit bei länderübergreifenden Ermittlungs- oder Observationsmaßnahmen wie der Überwachung von Gefährdern. 

 

Für mehr europäische Sicherheitskooperation


Wir freuen uns in Europa über freien Güter- und Warenverkehr und die Reisefreiheit, aber die Arbeit von nationalen Polizeien und Staatsanwaltschaften endet weiterhin an den nationalen Grenzen. Die dadurch entstehenden nationalen Rückzugsräume können sich Terroristen, aber auch Strukturen organisierter Kriminalität für ihre Planungen zunutze machen.

 

Wir wollen Europol daher endlich bei staatenübergreifender, schwerer Kriminalität eigene Ermittlungskompetenzen geben und dementsprechend die gemeinsamen Ermittlungsteams stärken. In Konsequenz müssen wir dann auch darüber nachdenken, die Idee einer europäischen Staatsanwaltschaft weiterzuentwickeln, die im klar definierten Rahmen auch auf nationalem Gebiet tätig werden kann. 

 

Sicherheits- und Kriminalpolitik auf Grundlage von Fakten


Die derzeit aufgeheizten sicherheitspolitischen Debatten entlang ständig neuer Fieberstände und -kurven zeigen, dass wir endlich einen periodischen Sicherheitsbericht auf wissenschaftlicher Basis brauchen, um die wesentlichen Kriminalitätsphänomene angemessen einordnen zu können. Dazu gehört auch die Analyse von Radikalisierungsverläufen.

 

Leider sind Prävention und Deradikalisierung, die dazu beitragen können, die Zahl der Menschen spürbar zu senken, von denen die Gefahr von Terroranschlägen ausgeht, weiterhin eine Leerstelle der Bundespolitik. Wir schlagen daher eine institutionalisierte Zusammenarbeit von Bund, Ländern, Kommunen und Zivilgesellschaft im Rahmen eines Bundes-Präventionszentrums vor, um Radikalisierung koordiniert bekämpfen zu können.

 

Irene Mihalic ist innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Konstantin von Notz ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag und der Obmann von Bündnis 90/Die Grünen im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages.


Hinweis der Redaktion: Im dritten Absatz änderten die Grünen die Formulierung „Inlandsgeheimdienst für Gefahr- und Spionageabwehr“ in „Inlandsgeheimdienst zur Gefahrenerkennung und Spionageabwehr“.