NSU-Morde in Nürnberg - Oberflächliche Ermittlungen gegen Rechtsextreme

Erstveröffentlicht: 
09.06.2017

Vor zwölf Jahren wurde Ismail Yaşar ermordet, mutmaßlich vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Interne Unterlagen zeigen nun, wie oberflächlich die Polizei ermittelte.

 

Am 9. Juni 2005 wurde Ismail Yaşar in seiner Nürnberger Dönerbude durch vier Schüsse in Kopf und Oberkörper ermordet – die Ermittler gehen davon aus, dass die Tat auf das Konto von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt geht. Bislang ist ungeklärt, ob die Neonazis alleine handelten oder es Unterstützer in Nürnberg gegeben hat.

 

Ermittlungen gegen Hinterbliebene


Ismail Yaşars Sohn war zum Tatzeitpunkt 15 Jahre alt. Bis heute fragt er sich, warum ausgerechnet sein Vater sterben musste. Sein Gesicht möchte er nicht zeigen und auch sein Vorname soll nicht genannt werden. Er übt scharfe Kritik an den Ermittlungen der Polizei.

 

"Immer wieder wurden meine Mutter und ich von der Polizei befragt und beschuldigt, ich musste mir Fingerabdrücke abnehmen lassen und wurde selbst kriminalisiert. Aber um die Hintergründe geht es der Polizei nicht. Da soll ganz viel vertuscht werden, vermute ich."

Sohn von Ismail Yaşar

 

Während der bundesweiten Mordserie gingen Fallanalytiker des bayerischen Landeskriminalamts 2006 von rechtsextremen Tätern aus, die aus rassistischen Motiven töteten. Aufgrund dieser These führte die Nürnberger Kriminalpolizei sogenannte Gefährderansprachen bei Rechtsextremisten im Großraum Nürnberg durch, um Informationen zu erlangen.

 

Ansprachen bei Neonazis


Neun Neonazis wurden von den Ermittlern auf die Mordserie angesprochen. Die Protokolle, die dem Bayerischen Rundfunk exklusiv vorliegen, wurden alle nach demselben Muster geführt. Ein Kripo-Beamter fragte die Verdächtigen, ob sie etwas mit der Mordserie zu tun oder etwas aus der Szene gehört haben. Die Rechtsextremisten verneinten oder zeigten sich "ungehalten über die Ansprache", wie es ein Kripo-Beamter in einem internen Vermerk beschrieb. Wer sich nicht kooperativ zeigte, wurde in Ruhe gelassen. Weitere Ermittlungen blieben aus, die Spur in die rechte Szene wurde geschlossen.

 

Leitender Ermittler sieht keine Pannen


Der ehemalige Chefermittler der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) "Bosporus", Wolfgang Geier, sieht in den oberflächlichen Ansprachen keine Versäumnisse seiner Beamten. Sie hätten schließlich intensiv in alle Richtungen ermittelt. Vielmehr übt Geier Kritik am Inlandsgeheimdienst:

 

"Die Zusammenarbeit mit den Verfassungsschutzbehörden war nicht optimal. Es hat einfach zu lange gedauert, bis wir vom bayerischen Verfassungsschutz die Namen der Angehörigen der rechten Szene im Großraum Nürnberg bekommen haben."

Wolfgang Geier, ehemaliger Chef-Ermittler

 

Ungeklärt bleibt nach wie vor, wie die Opfer ausgewählt wurden und wie die Mörder zu den Tatorten kamen. BR-Recherchen zeigen nun, dass der aus Sachsen stammende Ralf Marschner, der als wichtiger Netzwerker im NSU-Komplex gilt, schon Ende der 1990er-Jahre Kontakte nach Nürnberg pflegte. Marschner betrieb mehrere Szene-Läden und gab Szene-Zeitschriften, darunter das Fanzine "Voice of Zwickau", heraus. Gleichzeitig fungierte Marschner als V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

 

Sein V-Mann-Führer bezeichnete ihn in einem Untersuchungsausschuss sogar als "einzig relevante Quelle" in der rechten Szene Ostdeutschlands. In der zweiten Ausgabe von Marschners Magazin, das 1997 erschien, grüßt der einflussreiche Neonazi drei rechtsextreme Hooligans aus Nürnberg an prominenter Stelle. Was hat es damit auf sich?

 

Kontakte zu Nürnberger Kameradschaft

 

BR-Recherchen zufolge gibt es Hinweise, dass diese drei Hooligans auch Kontakte zur verbotenen Neonazi-Kameradschaft Fränkische Aktionsfront (FAF) und zu Blood and Honour gehabt haben. Aus einem internen Bericht des Verfassungsschutzes geht hervor, dass sich die Nürnberger Rechtsextremisten schon Ende der 1990er-Jahre im Geschäft einer der Hooligans trafen.

 

Zudem sollen führende Kader der FAF auch mit den Hooligans befreundet gewesen sein, wie der BR aus Szenekreisen erfuhr.

 

SPD-Politiker: Verbindungen nach Nürnberg erwiesen


Der Weidener SPD-Bundestagsabgeordnete Uli Grötsch saß im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags und beschäftigt sich intensiv mit den Morden in Bayern. Der ausgebildete Polizeibeamte geht davon aus, dass der NSU auf ein großes Netzwerk an Unterstützern zurückgreifen konnte.

 

"Ich halte es für erwiesen, dass es sehr aktive Verbindungen und sehr enge Verknüpfungen zwischen dem NSU-Kerntrio und der nordbayerischen Neonazi-Szene gegeben hatte und dass es kein Zufall ist, dass in Nürnberg drei Morde begangen wurden, mehr als anderswo."

Uli Grötsch (SPD), Bundestagsabgeordneter

 

Bundesanwaltschaft verneint Kontakte


Bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe sind unterdessen keine expliziten Verbindungen von Ralf Marschner nach Nürnberg bekannt. Von lokalen Unterstützern gehen Deutschlands oberste Ermittler ebenfalls nicht aus.  

 

"Die Ermittlungen haben bislang keine belastbaren Hinweise dafür ergeben, dass ortskundige Dritte die Verbrechen des 'Nationalsozialistischen Untergrund' unterstützt oder dazu Hilfe geleistet haben."

Stellungnahme der Bundesanwaltschaft

 

Sohn hofft auf weitere Ermittlungen

 

Damit will sich der Sohn von Ismail Yaşar nicht zufriedengeben. Er vermutet dennoch lokale Unterstützer in Nürnberg. Yaşars Sohn will die neuen Erkenntnisse mit seinem Rechtsanwalt besprechen. Vielleicht, so hofft er, werden die Unterstützer des NSU doch noch gefasst.

 

"Es gibt so viele Dönerläden in Nürnberg. Wie kommt man ausgerechnet auf meinen Papa? Das wurde nie geklärt, mir haben die [Polizisten] das nie gesagt, aber ich denke, dass auch Leute in Nürnberg etwas damit zu tun haben."

Sohn von Ismail Yaşar