[B] Gröner bettelt um Hilfe bei Senat

Erstveröffentlicht: 
01.06.2017

CG-Vorstand Gröner: „In der Rigaer Straße muss der Rechtsstaat verteidigt werden“

 

Offener Brief an die Berliner Politik


 

Sie war „das“ Synonym für die Hausbesetzer-Szene nicht nur in Berlin, sondern in Deutschland schlechthin: Die Rigaer Straße in Berlin-Friedrichhain-Kreuzberg. Nach ersten noch friedlich verlaufenden Beschlagnahmen leerstehenden Wohnraums Anfang 1990 eskalierte die Situation in den folgenden Jahren zum Teil massiv – bis hin zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und autonomen Gruppen. Keimzelle einer gewaltbereiten Szene wurde die Nummer 94 – – ein Umstand, der bis heute in Ansätzen fortbesteht. Ende 2015 erklärte die Polizei die Rigaer Straße zum „kriminalitätsbelasteten Ort“. Im Juni 2016 entlud sich die aufgeheizte Stimmung in einer der größten Berliner Straßenschlachten der jüngeren Geschichte – mit Brandanschlägen auf Autos, Schlagstockeinsätzen der Polizei, Pflastersteinwürfen und Molotowcocktails.

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Gleichwohl gilt die Rigaer Straße – die Nummer 94 explizit ausgenommen – inzwischen als begehrter Baugrund für Immobilieninvestoren – zumal der Straßenzug vom Senat quasi allumfassend mit Baurecht ausgestattet wurde. Zu diesen Interessenten gehört auch die CG Gruppe AG, die auf dem Areal Nr. 71-73a im Samariterkiez das „Karrée Sama Riga“ errichten möchte – 122 Wohneinheiten plus Gewerbeflächen in gleicher Größe. Das Projekt war (und ist) umstritten – vor allem, weil es vielen als klassisches Beispiel für Gentrifizierung gilt. Die Berliner sind inzwischen im Besitz einer Baugenehmigung, kommen aber trotzdem nicht vom Fleck: Gegen das Vorhaben stemmen sich Anwohner-Initiativen – inzwischen arrondiert von der linksautonomen Szene. Dem Bezirksausschuss sind die Hände gebunden. Nach jüngsten gewalttätigen Angriffen auf Polizeikräfte hat der Vorstandsvorsitzende Christoph Gröner nun einen offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister Michael Müller und vier Senatoren des Landes Berlin geschrieben, den wir im Folgenden abdrucken, da er durchaus ein Schlaglicht auf das empfindliche Verhältnis von (Berliner) Politik und Immobilien-Investoren wirft.

 

Zur Einschätzung der Situation, die Fakten im Raffer: Im Juni 2016 lässt die CG Gruppe als Eigentümer die 1875 errichten Eckert’schen Häuser in der Rigaer Straße 71-73a abreißen. Gegen den Willen der Bezirksverordnetenversammlung, aber rechtens. Die Gebäude standen zwar auf der Denkmalschutzliste, waren aber noch nicht aufgenommen. CG spricht von Baufälligkeit. Eine erste Protestwelle. Zuvor hatte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung dem Widerspruch des Investors gegen die Ablehnung des Bauantrags durch den Bezirk stattgegeben. Die Zukunft der auf dem Gelände ansässigen Kulturprojekte bleibt vorläufig ungewiss.

 

Nach Bekanntwerden der Details des „luxuriösen“ „Karrée Sama Riga“ formieren sich weitere Protestaktionen. Auf Kundgebungen wird dem Bezirk „grandioses Versagen“ attestiert, ein sofortiger Baustopp gefordert. In der Nacht zum 28. Mai werden in der Rigaer Straße Polizisten in einen Hinterhalt gelockt und attackiert. Bis zum frühen Morgen versuchen 65 Beamte mit Unterstützung aus der Luft, die Situation in den Griff zu bekommen. Am nächsten Tag fordert der Generalsekretär der Berliner CDU, Stefan Evers, in seinem Facebook-Post, die „Linksfaschisten auszuräuchern“ und spricht von „widerwärtigem Gesindel“. Tom Schreiber, Innenpolitkier der SPD, fordert richterliche Beschlüsse, um „in der Rigaer Straße die Spreu vom Weizen zu trennen.“

 

Folgend der Offene Brief von CG-Vorstand Christoph Gröner an den Regierenden Bürgermeister sowie vier Senatoren des Landes Berlin zu den Ereignissen in der Rigaer Straße:

 

Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister Müller,
sehr geehrte Frau Senatorin Lompscher,
sehr geehrte Frau Senatorin Kolat,
sehr geehrter Herr Senator Dr. Kollatz-Ahnen,
sehr geehrter Herr Senator Geisel,


wir alle kennen uns persönlich, und ich wende mich heute nicht in erster Linie als Unternehmer, sondern als Bürger an Sie, weil mich die Ereignisse der letzten Tage sprachlos machen. Die gestern und vorgestern zumindest in der Berichterstattung erlebten Ereignisse aus der Rigaer Straße stellen den vorläufigen Endpunkt einer Entwicklung dar, die sich seit mehreren Jahren schleichend, aber öffentlich vollzieht. Das Legen von Hinterhalten gegen Polizisten, aber auch die Forderung nach „Ausräuchern“ durch Vertreter der Politik als unmittelbare Reaktion zeigen, wohin wir im Diskurs in der Bundeshauptstadt gekommen sind. Es ist eine Schande.

Meine Mitarbeiter und ich, wir erleben diese Entwicklung seit beinahe 5 Jahren mit - teilweise und erschreckenderweise hautnah. Seither betreiben wir ein Genehmigungsverfahren für die Rigaer Straße 71-73a. Dort schaffen wir auf einer Brache Wohnraum, wo es noch nie welchen gab. Gleichzeitig wird Gewerberaum in gleicher Größe wieder möglich gemacht. Unter anderem sichern wir dort auch den Fortbestand des Bildungsträgers BUF. Im Verlauf des Verfahrens haben wir viel erlebt. Verwaltungsmitarbeiter und Politiker positionieren sich öffentlichkeitswirksam gegen geltende Gesetze oder Vorschriften, Regelungen im Baugesetz werden als „undemokratisch“ gebrandmarkt, es gab Vorstöße zur Enteignung, und nach dem Vorliegen einer Baugenehmigung wurde nun noch der Versuch unternommen, dort eine Schule zu errichten. Vor fünf Jahren hat niemand in Politik oder Verwaltung diese Idee gehabt. Verwaltungshandeln und politisches Agieren wird von kurzfristigen Stimmungen und Gefühlen einzelner abhängig gemacht. Die Relativierung oder Aufkündigung von rechtsstaatlichen Regeln und Gepflogenheiten hat ein Ausmaß erreicht, in dem man sich als Bürger auf nichts mehr verlassen kann.


Gleichzeitig wird mein Unternehmen von Interessengruppen wegen unseres Engagements in der Rigaer Straße bundesweit attackiert: Fahrzeuge von uns und unseren Partnern werden angezündet, ein Wachmann wurde krankenhausreif geschlagen, wir und unsere Partner sind regelmäßig Ziel von Anschlägen, teilweise unter Inkaufnahme von Personenschäden. Wir sind an einem Punkt, wo sich Unternehmen weigern, mit uns zusammenzuarbeiten, weil sie Angst haben vor Gewalt. Ich selbst wurde beim Betreten meines Grundstücks massiv bedroht. Diese geschilderten Vorkommnisse stehen jedoch nur stellvertretend für zahlreiche Ereignisse in Berlin. Gewalt, Niederbrüllen, Denunziation sind zum üblichen Mittel des Diskurses geworden in der Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland.


Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich schreibe Ihnen, um Sie an Ihre Verantwortung für diese Stadt und für die Menschen hier zu erinnern. Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie ist der Rechtsstaat. Die Bemühungen der politischen Akteure in Berlin um den Rechtsstaat sind bei weitem zu gering. Die richtige Gesinnung scheint stellenweise wichtiger zu sein als Artikel 20 (3) des Grundgesetzes. Ich fordere Sie alle auf, sich in dieser Sache zu engagieren. Wenn die Politik jetzt nicht einschreitet, sich klar positioniert und den Rechtsstaat glasklar zum Kompass des Handelns von Personen und Behörden macht, dann ist genau dieser Rechtsstaat in Gefahr. Tatenlosigkeit hat dazu geführt, dass sich autonome Kräfte in der oben beschriebenen Weise gebärden, und dass ganze Grünanlagen und Kieze in die Hände von Drogendealern und Kriminellen fallen. Große Unternehmen wie meines sind in der Lage, sich selbst zu schützen. Privatpersonen sind das nicht. Sie sind auf den funktionieren Rechtsstaat angewiesen.


Ich bin nicht bereit, weiterhin zuzusehen, wie sich Berlin in eine Stadt ohne Rechtsstaat verwandelt. Die aktuell wahrgenommene Entwicklung kann die Grundlage sein für eine dauerhafte Zersetzung unserer Gesellschaftsordnung und der Form unseres Zusammenlebens. Das kann nicht im Interesse demokratischer Kräfte in unserem Land sein, und es ist ganz sicher nicht in meinem Interesse.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Sie Verantwortung tragen für dieses Land, stehen Sie auf gegen diese Entwicklung. Ich werde Sie dabei nach Kräften unterstützen.


Mit freundlichen Grüßen

Christoph Gröner