Vor einer möglicherweise rechtsradikalen Gruppierung Mozart spielen müssen? Eltern und Darsteller kritisieren heftig Landkreis und Theaterpädagogisches Zentrum dafür. Berechtigt - oder übertrieben? Von Jan Oechsner
Stollberg. Ein Auftritt von Mitgliedern des Kinder- und Jugendtheaters Burattino im Stollberger Begegnungszentrum Dürer am vergangenen Samstag sorgt für Wirbel hinter der Kulissen. Grund: Die Kinder mussten - trotz Warnungen an die Verantwortlichen im Vorfeld - bei einer dubiosen Vereinsgründungsfeier auftreten. Die Gruppierung - Name: "Unsere Heimat, unsere Zukunft" - stehe zumindest im Verdacht, eine rechtsradikale Gesinnung zu vertreten, so der Vorwurf.
Diese Gemengelage sorgt nun für Kritik von Eltern und Jugendlichen an Verantwortliche vom Landratsamt und des kreiseigenen Theaterpädagogischen Zentrums (TPZ). Hintergrund: Vorsitzender des genannten Vereins ist ein Lugauer, der bereits eine tragende Rolle bei den Nationalen Sozialisten Chemnitz (NSC) gespielt hat. Die Vereinigung ist 2014 vom Sächsischen Verfassungsschutz verboten worden.
"Das Theater hat ein hohes Ansehen und ich habe viel Vertrauen in die Einrichtung. Aber wenn die Kinder und Jugendlichen auf der Bühne vor solchen Leuten spielen sollen, fühle ich mich als Mutter alleingelassen. Soll ich jetzt jede Veranstaltung selbst überprüfen?", sagt Ines Böhmer aus Oelsnitz. Ihr Sohn spielte am Samstagnachmittag die männliche Hauptrolle des Stücks "Papageno und Papagena" - eine Adaption von Mozarts "Zauberflöte". Böhmer: "Natürlich kann man nicht jeden neuen Verein kennen. Nur in diesem Fall war es vorab bekannt."
Die Frau steht mit dieser Kritik nicht alleine da. Mittlerweile gibt es einen Protestbrief der 17 Mitglieder der TPZ-Jugendgruppe Limited Edition - die Adressaten sind unter anderen Landrat Frank Vogel, sein Beigeordneter Andreas Stark sowie der landkreiseigene Kulturelle Bildungsbetrieb und TPZ-Leiterin Annekathrin Rottstädt-Hänel.
Im Kern geht es in dem Schreiben darum, dass der besagten Vereins-Veranstaltung von "Unsere Heimat, unsere Zukunft" und deren Verantwortlichen eine "rechts-nationalistische Tendenz" nachgesagt werden müsse. "Die jugendlichen Schauspieler haben sich über die Maßen unwohl gefühlt, unter diesen Bedingungen zu spielen und wir halten diese Reaktion für nachvollziehbar und der Situation angemessen", so der Brief weiter. Darin wird auch die Frage gestellt, warum die Verantwortlichen nicht rechtzeitig eingeschritten sind. Der Vorstand von Limited Edition, Marcel Colditz: "Ich kann die Wut der Kinder, Jugendlichen und ihrer Eltern nachvollziehen. In diese Lage gebracht zu werden, ist nicht gerade angenehm."
Der Beigeordnete im Landratsamt, Andreas Stark nahm gestern auf Anfrage von "Freie Presse" Stellung: Er habe von eventuellen Problemen mit der Veranstaltung durch eine Email eines Mitglieds der Initiative "Menschlichkeit als Tradition e.V." im Laufe des Samstag erfahren. Obwohl er in anderen Veranstaltungen eingebunden war, versuchte Stark nach eigener Aussage zwischendurch nähere Informationen zu erhalten. "Dies erwies sich als schwierig. Da keinerlei Information von den zuständigen staatlichen Stellen - etwa Polizei oder Verfassungsschutz - vorlagen, ließ sich in der Kürze der Zeit - insbesondere auch nach einem Telefonat mit dem bereits vor Ort anwesenden Theaterpädagogen und auf Grundlage von dessen Lageeinschätzung - die Erfüllung des Auftritts-Vertrags nicht mehr vermeiden", so Stark.
Der Vereinszweck von "Unsere Heimat, unsere Zukunft" selbst - in einer Pressemitteilung des ehemaligen Stollberger Pfarrers Andreas Dohrn veröffentlicht - kommt beim Blick ins Vereinsregister eher harmlos daher: Es geht um Natur- und Landschaftspflege, um Erhalt der Heimat und Natur. Einheimischen Bedürftigen solle mit Geld- und Sachspenden geholfen werden - ebenso den Jugendfeuerwehren, Schulen oder anderen öffentlichen und gemeinnützigen Einrichtungen, um diese zu erhalten und zu fördern. Auch leiste der Verein seinen Beitrag zur kulturellen Gestaltung und Erhaltung der erzgebirgischen Traditionen. Der Verein selbst war gestern Abend nicht erreichbar. Pfarrer Dohrn: "Natürlich darf jeder einen Verein gründen. Aber gewisse Leute mit einem solchen Vorleben wie dem des Vereinsvorsitzenden, das ist schon eine andere Liga. Die erzgebirgische Zivilgesellschaft ist gut beraten, diesen Verein klar im Auge zu behalten."
Der Verein wollte erst gar nicht im Stollberger Dürer sein, sondern war an einem Saal in der Stadthalle Oelsnitz interessiert. Kerstin Pfeil, Chefin der Veranstaltungsstätte bestätigte, dass Vertreter des Vereins vor längerer Zeit bei ihr angefragt hätten. "Es ging aber um den 6. Mai, und da waren wir bereits vollkommen ausgebucht." Der Verein habe sich dann nicht wieder gemeldet.
Derweil sieht das Landratsamt - auch wegen der Vehemenz der Kritik von Jugendlichen und Eltern - Handlungsbedarf. Beigeordneter Stark: "Das Ganze wird kommende Woche sorgfältig ausgewertet. Es wird unter anderem die Frage zu klären sein, ob die Problematik angesichts der offenbar bereits im Laufe des vergangenen Freitag beim TPZ vorliegenden Hinweise hätte schneller erkannt werden können."