Den deutschen Opfermythos angreifen - Bereits das 10. Jahr in Folge wird die Neonaziszene Mecklenburg-Vorpommerns am 08. Mai 2017 in Demmin aufmarschieren, um ihre lächerliche Sichtweise der Geschichte und der Ereignisse um die Befreiung Demmins vom NS-Faschismus zu propagieren. Wie bereits die Jahre zuvor, werden die Faschist_innen versuchen einen deutschen Opfermythos zu konstruieren und diesen ins Zentrum des Gedenkens an die Kapitulation Deutschlands vor 72 Jahren zu rücken. Die Nazis versuchen so, die Geschichte umzudeuten, zu relativieren und deutsche Täter_innen von der Schuld reinzuwaschen.
Die Hintermänner des Naziaufmarsches
Der Anmelder des Neonaziaufmarsches ist für Antifaschist_innen kein Unbekannter. Es handelt sich dabei um den aus der Stadt Usedom stammenden Neonazikader und ehemaligen NPD-Landtagsabgeordneten Micheal Gielnik. Er steht exemplarisch, wie viele Mitglieder des NPD-Landesverband Mecklenburg-Vorpommerns, für die Überschneidung von freien Kameradschaftler_innen und Abgeordneten. Auch wenn infolge des verpassten Wiedereinzugs der NPD in den Landtag von einer Schwächung des Landesverbandes ausgegangen werden kann, wird damit gerechnet, dass die Beteiligung im Jahr 2017 unverändert bleiben dürfte. In der Vergangenheit fungierte der Aufmarsch der Geschichtsrevisionist_innen immer wieder als bildendes und stärkendes Event der Neonaziszene in M-V. Der Naziaufmarsch wurde nicht nur durch NPD-nahe Strukturen besucht. Immer wieder waren auch so genannte „freie Kräfte“ wie z.B. die „Kameradschaft Landkreis Demmin“, um den Neonazi Marko Lohmann, mit von der Partie. Diese beteiligen sich ebenfalls an der Durchführung und sind in der Organisation mit eingebunden. Ebenfalls für die so genannten „Autonomen Nationalisten“ war der 08. Mai ein fester Termin im Veranstaltungskalender. Gerade im aktuellen gesellschaftlichen Klima und dem Erstarken der „neuen Rechten“ kann davon ausgegangen werden, dass auch in 2017 mindestens die Teilnehmer_innenzahl von bis zu 250 Personen, wie regelmäßig in den Jahren zuvor, erreicht wird.
Die geschichtlichen Fakten
Am 30. April 1945 rückten die 30. und 38. Panzerbrigade der 2. weißrussischen Front der Roten Armee in die Stadt Demmin ein. Während der Anwesenheit der sowjetischen Truppen kam es immer wieder zu Widerstandshandlungen sowie zu Angriffen auf die Soldat_innen, Verluste waren zu beklagen. Die Kleinstadt an der Peene sollte auf ihrem Weg nach Rostock möglichst zügig passiert werden. Der Plan musste jedoch verworfen werden, da abziehende Wehrmachtsoldaten sämtliche Brücken über Peene und Tollense im Bereich Demmin gesprengt hatten. Noch in der Nacht zum 1. Mai wurde mit dem Bau von Behelfsübergängen begonnen. Die beiden Panzerbrigaden rückten am 1. Mai über errichtete Fähren und Behelfsbrücken ab, der nachziehende Tross verblieb noch bis zum 3. Mai in Demmin. Während der Anwesenheit der sowjetischen Truppen in der Kleinstadt kam es zu zahlreichen Brandstiftungen. Jedoch ist nicht geklärt, ob die Feuer durch die Hausbesitzer_innen oder die Rotarmist_innen gelegt, möglicherweise aber auch durch Unfälle verursacht wurden. Darüber hinaus sind Fälle von sexualisierter Gewalt durch sowjetische Soldaten in Demmin bekannt.
Nach Angaben von Beerdigungsverzeichnis und Sterbebüchern starben in den Tagen vom 30. April bis 3. Mai rund 500 Deutsche in Demmin durch Selbsttötung bzw. Tötung durch Angehörige. Besonders häufig wurden die Tötungen durch Ertränken in den Flüssen Peene und Tollense vorgenommen.
Die Gegenproteste
Seit 2011 gibt es gegen den Naziaufmarsch in Demmin wahrnehmbare Gegenproteste. Vorher konnten die Neonazis beinahe ungestört ihren Weg durch die Stadt ziehen und so ihre reaktionäre und verklärte Sicht auf die Vergangenheit propagieren. Bereits im Jahre 2009 gründete sich mit „Demmin Nazifrei“ ein Bündnis von Bürger_innen der Stadt gegen die jährlich stattfindende Propagandashow der Faschist_innen. Dann, drei Jahre später, also im Jahre 2012, gab es erstmals koordinierte Gegenproteste von organisierten Antifaschist_innen und Linksradikalen. Diese setzten sich über die kommenden Jahre fort. So konnten Erfahrungen gesammelt und einzelne Erfolge erzielt werden. Immer wieder gelang es den Genoss_innen und der Zivilgesellschaft, den Aufmarsch durch Sitzblockaden zu stören. Immer größer war die Beteiligung derer, die die einseitigen und revisionistischen Sichtweise der Nazis nicht einfach so hinnehmen wollten. Es gelang den Antifaschist_innen sowie „Demmin Nazifrei“ somit immer besser, neue Gegendemonstrant_innen in die Stadt zu mobilisieren. Dem ein oder anderen Nazi konnte über die Jahre auch handfest klar gemacht werden, dass Nazi sein ernstzunehmende Konsequenzen nach sich ziehen kann. Unvergessen bleibt auch das selbsternannte antifaschistische Swimmingteam, welches im Jahre 2012 den durch die Nazis zu Wasser gelassenen Kranz, der einzig möglichen Verwendung zuführte, dem verdienten Feuertod! 2015 war es dann fast soweit. Aufgrund der massiven Sitzblockaden sah sich die Einsatzleitung der Bullen dazu genötigt, die Nazis zum Umdrehen aufzufordern. Diese nahmen Aufstellung und spulten ihre übliche Leier von Gesinnungsjustiz ab, hetzten gegen die Politik und schimpften über die Roten Chaot_innen. In der Freude darüber, dass die Nazis nun umdrehen müssen, änderte die Polizeiführung erneut ihre Taktik und lies die Faschist_innen nun doch wie geplant laufen. Ein Tiefpunkt in der Nachbetrachtung der Gegenproteste, schien der Sieg doch schon sicher! Ein bekanntes Sprichwort besagt aus Fehlern zu lernen. Dies ist für uns von elementarer Bedeutung. Faschismus bedeutet immer Barbarei, deshalb werden wir unsere Gegenproteste entschlossen fortsetzen. Auch 2017!
Polizeigewalt!
Scheinbar angespornt durch die immer größer werdende Beteiligung an den Gegenprotesten und den damit verbundenen Erfolgen für die Antifaschist_innen und die Zivilgesellschaft, fühlte sich die Polizei M-V herausgefordert. Frei nach dem Motto „es kann nicht sein, was nicht sein darf“ rüstete diese immer weiter auf, um letztlich den Faschist_innen den Weg frei zu machen. Die Knüppel schwingenden Schergen des CDU-Innenministers Lorenz Caffier fielen immer wieder durch besondere Härte und Brutalität auf. Jede noch so große Blockade wurde entweder beräumt oder weggetragen. Im Jahre 2013 gelang es Antifaschist_innen erstmals, den Zugang zum Hafen komplett zu blockieren. Doch die Rechnung wurde ohne die Polizei gemacht. Unter Einsatz von Schlagstöcken und reichlich Pfefferspray wurden die Blockaden seitlich verdrängt, so dass die Nazis an selbigen, unter massivem Polizeischutz, vorbei geleitet werden konnten. 2014 eskalierte die Situation erneut. So wurden die Polizeihunde der Hundestaffel auf Demonstrant_innen gehetzt. Dabei wurde eine Person verletzt. Der traurige Höhepunkt der polizeilichen Gewaltorgien war dann auch gleich im selben Jahr erreicht. Die Berufsschläger_innen der BFE verletzten einen französischen Genossen derart stark, dass dieser stationär im Krankenhaus aufgenommen werden musste und dort ins künstliche Koma versetzt wurde. Alles was dem Innenminister dazu einfiel war die Frage „was ein Franzose auf einer Demonstration in Demmin zu suchen habe.“ Resümierend bleibt also festzuhalten, dass einzig und allein die Polizei unter allen Umständen und mit allen Mitteln dafür gesorgt hat, einen der wenigen verbliebenen, regelmäßig stattfindenden Naziaufmärsche Deutschlands, um jeden Preis gewähren zu lassen!
Genug ist Genug!
Der Naziaufmarsch am 08. Mai ist von enormer Bedeutung für die regionale und landesweite Naziszene Mecklenburg-Vorpommerns. Unter Berücksichtigung der Entwicklung und des Erstarkens der rechten Strukturen ist es umso wichtiger, ihnen deutlich aufzuzeigen, dass ihre Aktionen nicht tatenlos hingenommen werden! Deshalb werden wir genau wie in den vergangenen Jahren versuchen, ihnen diesen Tag so gut es geht zu versauen. Als Linksradikale und Antifaschist_innen ist uns klar, dass wir uns im Kampf gegen Faschismus nicht auf den Staat und seine Verterter_Innen verlassen können. Antifaschismus bleibt Handarbeit! Deshalb lassen wir es nicht zu, dass die Faschist_innen die Deutungshoheit über den 08.Mai erlangen. Wir lassen es nicht zu, dass sie Lügen und ihren Geschichtsrevisionismus über die Geschehnisse vor 72 Jahren in Demmin verbreiten! Deshalb fordern wir alle Antifaschist_innen dazu auf, es uns gleich zu tun! Seid solidarisch und kommt am 08. Mai 2017 nach Demmin. Achtet im Vorfeld auf Ankündigungen! Seid kreativ und entschlossen. Alles kann und alles muss!
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