Verherrlichung von SS-Legionären

Erstveröffentlicht: 
21.03.2017

Jahr für Jahr wiederholt sich die Szenerie: Alte SS-Veteranen und ihre Sympathisanten marschieren in Riga zum Freiheitsdenkmal und legen dort Blumen ab. Rund 2000 Menschen beteiligten sich in diesem Jahr an dem „Marsch der Legionäre“ in der lettischen Hauptstadt.

 

Sie tragen graue Uniform, ihr Kragenspiegel zeigt weder Hakenkreuz noch SS-Rune. Nur einige wenige ehemalige SS-Angehörige nehmen in Uniform an der Demonstration teil. Die Mehrheit der Teilnehmer des Marsches, der jährlich am 16. März stattfindet, stellen jüngere Nationalisten. Vor der St.-Johannes-Kirche in Rigas Altstadt nehmen die wenigen Veteranen und ihre Anhänger Aufstellung zum Marsch durch die Altstadt zum Freiheitsdenkmal.

 

Ein Veteran der lettischen Legion kommt gemeinsam mit mehreren jüngeren Männern an der Kirche an. Er trägt die graue Uniform, seine Begleiter sind schwarz gekleidet. Auf den linken Ärmeln ihrer Jacken sind Hakenkreuze zu sehen. Einer trägt eine Lettland-Fahne, ein anderer einen Schal in Hakenkreuzoptik.

 

„Nationales Korps“ vom Asow-Regiment

 

Auch Rechtsextremisten aus anderen Ländern sind gekommen: Aus Polen einige Angehörige einer „autonomen nationalistischen Gruppe“, wie sie sagen. Das rechtsextreme Asow-Regiment, das im Osten der Ukraine gegen prorussische Separatisten kämpft, ist ebenfalls vertreten. Vladislav Kovalcuk vom parlamentarischen Arm der Asow-Bataillone, „Nationales Korps“, hält ein Schild mit der Aufschrift „Die Krim gehört zur Ukraine“. Zwei Neonazis aus Ludwigshafen sind angereist, aber vor allem Letten und Esten dominieren das Bild.

 

Eine bizarre Szene am Rande: Ein Fernsehteam interviewt einen Mann, der auch am Legionärs-Marsch teilnimmt. Er trägt eine Mütze mit der Aufschrift „Huntington, N.Y.“. Er sei selbst Veteran, sagt er, im Vietnamkrieg habe er gedient. „Wir haben auch gegen Kommunisten gekämpft“, sagt der Amerikaner, der seinen Namen allerdings nicht nennen möchte. „Das ist ein Marsch der Veteranen, ich bin Veteran.“ Dass die USA damals Feinde derjenigen waren, die hier geehrt werden, stört ihn nicht. „Dann wäre mein Vater ja auch mein Feind“ – sein Vater war lettischer SS-Legionär.

 

Platzverweis für Gegendemonstranten

 

Zwei Antifaschisten halten am Rande ein Plakat hoch: In Anbetracht des Holocausts dürfe man die Waffen-SS-Kollaborateure nicht verherrlichen, fordert die deutsche „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“. Ein Polizist geleitet die Gegendemonstranten in eine Nebenstraße, sie bekommen einen Platzverweis. Anders ergeht es drei lettischen Protestierern – sie werden von der Polizei in einen Gefangenentransporter verfrachtet.

 

Der „Marsch der Legionäre“ wird mindestens seit der Unabhängigkeit des kleinen baltischen Staates 1991 in Riga zelebriert. Waffen-SS und deutsche Besatzer werden in weiten Teilen der Bevölkerung als „Befreier“ angesehen, da sie die Besatzung durch die Sowjets beendeten. Die große russischstämmige Minderheit, die 27 Prozent der lettischen Bevölkerung ausmacht, lehnt die SS-Verherrlichung ab. Doch Protest gibt es nur vereinzelt gegen den Aufmarsch am 16. März, der 1998 zum offiziellen Feiertag erklärt worden war. Zwei Jahre später wurde der Gedenktag jedoch nach heftigen Protesten aus dem Westen und aus Russland wieder gestrichen.

 

Am 16. März 1944 kämpften die beiden lettischen SS-Divisionen gemeinsam erstmals gemeinsam – und der Legende nach ohne „fremde“ Hilfe etwa durch die Deutschen – gegen die Rote Armee. Dieses Datum markiert den zumindest offiziellen Anlass für den „Marsch der Legionäre“. Inoffiziell wird auch der Bildung der ersten lettischen Waffen-SS-Division Anfang 1943 gedacht. Regierungsvertreter und offizielle Repräsentanten nehmen nicht daran teil.

 

Neonazi-Skinhead mit Kopftätowierung

 

Unter dem Gesang von lettischen Militärliedern marschieren die Teilnehmer dann los, viele tragen Blumen. Angeführt werden die 2000 Nationalisten von einem Priester und Fahnenträgern. Vor dem Freiheitsdenkmal, das weiträumig abgesperrt ist, geht der „Marsch der Legionäre“ durch ein Spalier von Fahnenträgern, die die rot-weiße Nationalflagge Lettlands halten. Außerhalb der Absperrungen jubeln den Teilnehmern Schaulustige zu. Als zwei Personen laut gegen die Nazi-Verherrlichung protestieren, werden sie sofort von Polizisten abgeführt.

 

Ein Neonazi-Skinhead in Springerstiefeln und Flecktarnanzug, dessen Kopftätowierung verrät: „Born to hate“ („Geboren um zu hassen“), steht ebenso in der Reihe wie bürgerlich gekleidete Frauen und Männer. Viele Alte, aber auch Jugendliche und Frauen und Männer im mittleren Alter erweisen den Angehörigen der lettischen SS-Divisionen ihre Ehre. Geschützt werden die SS-Verherrlicher nicht nur von einem großen Aufgebot der Polizei, sondern auch von einem eigenen Sicherheitsdienst. „TM Security“ steht auf den Jacken der einheitlich mit Flecktarn-Hosen gekleideten gut 20 Männer, die nicht nur Fotografen unsanft aus dem Weg räumen.

 

Nazi-Symbolik offen zur Schau gestellt

 

Veranstaltet wird der Marsch von der „Daugavas Vanagi Latvija“ (Falken des Düno-Flusses), einem Veteranen-Fürsorgeverein, der die Traditionen der ehemaligen SS-Männer pflegt. In Freiburg im Breisgau betreibt die rechtsextreme Veteranen-Organisation ein „Lettisches Haus“, das auch Kriegsversehrten für Erholungsfahrten dient. Bei dem Aufmarsch sind Vertreter der „Daugavas Vanagi“ um ein seriöses Auftreten bemüht. Es gehe nicht um den Nationalsozialismus, sondern um den Kampf gegen den sowjetischen Kommunismus, sagt einer der Organisatoren.

 

Die Verherrlichung des Nationalsozialismus drückt sich nicht nur im offenen Zurschaustellen von Nazi-Symbolik wie Hakenkreuzen und Runen aus. Auch die Melodie der Waffen-SS-Hymne „SS marschiert in Feindesland“ klang beim Marsch an – mit lettischem Text. Spricht man mit Teilnehmern des Aufzugs, wird die Bewunderung für die Nazi-Herrschaft deutlich. Für Adolf Hitler, SS und Wehrmacht hegt man hier besondere Sympathien. Vor allem der „Abwehrkampf“ gegen die Sowjets wird hier in den Mittelpunkt gestellt, der Holocaust heruntergespielt. Dass die beiden lettischen SS-Divisionen, die 1943 auf Führer-Befehl hin aufgestellt wurden, sich vornehmlich aus den unter deutschem Kommando befindlichen Polizei-Bataillone rekrutierten, ist kein Thema. Diese Bataillone waren maßgeblich an der Ermordung von 70 000 lettischen Juden beteiligt.

 

Hass auf alles Russische

 

Auch der Vater von Agris Šēfers kam 1942 zu den „Polizei-Einheiten“, die den Deutschen unterstellt waren. Juden ermordet habe dieser aber nicht, ist sich der stramme Nationalist Šēfers sicher. Zu dem Zeitpunkt sei Lettland nämlich schon „judenfrei“ gewesen, sagt er und schmunzelt. Šēfers nimmt mit einige Bekannten an dem „Marsch der Legionäre“ teil, die allesamt die deutsche Kultur in Riga hochhalten. Sie sprechen Deutsch und sind in einem deutschen Kulturverein aktiv, singen dort deutsche Volkslieder. So groß die Bewunderung für Deutschland ist, so groß ist der Hass auf alles Russische: Faul und räuberisch seien sie, die Russen, von denen Šēfers lieber als „Parasiten“ spricht.

 

Am Abend können vor dem Freiheitsdenkmal dann rund 40 Menschen eine antifaschistische Mahnwache abhalten und an die Opfer der lettischen Waffen-SS erinnern. Während des SS-Marsches war ihnen das durch die Behörden nicht erlaubt worden. Mit Fotos von Naziopfern gedenken sie still den Ermordeten.