Sachsen: Schwarze Denkfabrik der Union?

Erstveröffentlicht: 
22.02.2017

Sachsen plant mit viel Bundesgeld ein Institut für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das ist in Wutbürgerzeiten keine schlechte Idee, Kritiker befürchten jedoch eine offensichtliche Nähe zur CDU.

 

Nichts Genaues weiß man nicht, aber das ist in der sächsischen Landespolitik kein Grund, sich nicht Sorgen zu machen oder Schlimmes zu befürchten. Vor allem, wenn man SPD heißt, seit 2014 an der Seite der CDU mitregieren darf und ständig in der leisen Angst lebt, nach der Landtagswahl 2019 durch die AfD ersetzt zu werden.

 

Doch nun dürfen sich die Sozialdemokraten freuen, sie haben womöglich eine schwarze Denkfabrik abgerissen, noch bevor sie errichtet wurde. Die Fakten sind äußert rar. Der Bund hat Ende vergangenen Jahres die gewaltige Summe von 37 Millionen Euro bereitgestellt für ein wissenschaftliches Vorhaben, das Sachsen tatsächlich gut gebrauchen könnte: Ein Forschungsinstitut, das sich dem Thema gesellschaftlicher Zusammenhang widmet.

 

Keine schlechte Idee in Wutbürger-Zeiten, wo Menschen montags in Dresden mehr Erlösung von Wladimir Putin oder Donald Trump als von Angela Merkel oder Heiko Maas erhoffen. Den Batzen Geld möglich gemacht hat angeblich der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Kretschmer aus Görlitz, Bildungspolitiker, Strippenzieher, CDU-Generalsekretär in Sachsen, enorm umtriebig und fleißig.

 

Im November 2016 hatte die SPD- Bundestagsabgeordnete Simone Raatz ihrer Partei von dem möglichen Geldsegen unterrichtet, ohne dass sich sozialdemokratischer Argwohn regte. Im Gegenteil, auch die SPD freute sich. Aber vor kurzem machte der wissenschaftspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Holger Mann, in der Leipziger Volkszeitung ein Fässchen auf: So eine Einrichtung dürfe nicht in den „Geruch einer einseitig parteipolitisch orientierten Veranstaltung kommen“, warnte er.

 

Es gebe zwar in den neuen Ländern einen „Nachholbedarf an Konflikt- und Friedensforschung“, aber bitte mit wissenschaftlichen Ansprüchen. Mann fürchtet, die Union könnte sich eine schwarze Denkfabrik erschaffen. Es sei ein „klar konservatives Umfeld“ erkennbar, findet er.

 

Das Umfeld: Am 20. Juli 2016 hatte sich in Dresden ein Verein gegründet mit fast gleichem Namen: „Zentrum für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Integration“, Vorsitzender ist Joachim Klose, Leiter der lokalen CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung. Sein Motiv speist sich aus Beobachtungen, die man seit Pegida in Dresden und nicht nur dort machen kann: „Die Menschen werden radikaler, nicht nur nach rechts oder links“. Sie seien enthemmt, schimpften auf „die da oben“, wollten aber nicht mitwirken, um Dinge zu verändern. Politiker wüssten häufig nicht, wie sie diese Menschen überhaupt noch erreichen können.

 

Und an diesem Punkt wolle der Verein „Zentrum für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Integration“ ansetzen. Mitgründer sind renommierte Politikwissenschaftler wie Ulrike Ackermann, Alfred Grosser, Barbara Zehnpfennig und Werner J. Patzelt, Philosophen wie Hermann Lübbe, Walter Schmitz, Walter Schweidler und Hans-Dieter Zimmermann. Der Verein wolle verhindern, so Klose in der Sächsischen Zeitung, dass sich Menschen weiterhin einem Bündnis wie Pegida anschlössen.

 

Beim Namen des Mitgründers Werner J. Patzelt gehen in der sächsischen SPD, aber auch bei den Oppositionsparteien Linke und Grüne alle Alarm-Sirenen an: Der 63-jährige Dresdner Politikwissenschaftler hat den Ruf, ein „Pegida-Versteher“ zu sein. Patzelt ist ein konservativer Christdemokrat, dem Angela Merkels Kurs schon lange zu weit links in die Mitte gerutscht ist. Studenten seines Instituts hatten ihm vor zwei Jahren in einem Flugblatt vorgeworfen, „in der gesamten Pegida-Debatte mehr politischer Akteur denn Wissenschaftler“ zu sein, Pegida nicht nur zu analysieren, sondern mit ihr zu sympathisieren. Der Grünen-Landtagsabgeordnete Miro Jennerjahn nannte ihn damals einen „politischen Akteur mit Professorentitel.“

 

Geld für ein Institut, in dem Patzelt die Fäden ziehen könnte – nicht mit der SPD. Ganz unbegründet ist der Argwohn nicht. Immerhin, heißt es in Dresdner Regierungskreisen, seien die Namen Patzelt und Klose sowie der gewünschte Standort Dresden einigen Mitarbeitern des Berliner Bildungsministeriums nicht unbekannt. Mehr ist noch nicht geschehen.

 

Professoren rennen angeblich mit selbst verfassten Konzepten herum, das Räderwerk der Ministerialbürokratie hat sich aber tatsächlich noch keinen Zentimeter bewegt. Mögliche Begünstigte oder Beteiligte des geplanten Zentrums wissen gar nichts. „Keine Gespräche, keine Zusagen, nur Gerüchte“, teilt Sprecher Mathias Bäumel von der TU Dresden mit. „Abwarten und Tee trinken.“ 

 

Bürokratie hat sich noch keinen Zentimeter bewegt


Im Berliner Bundesbildungsministerium erfährt man, dass niemand etwas weiß, weil es noch gar nichts zu wissen gibt. Auch ist noch niemand in irgendetwas eingebunden, weil noch nichts passiert, in das jemand eingebunden werden könnte. Richtig sei: 37 Millionen Euro stehen bis 2022 bereit. Der Rest muss sich finden: „Es gibt keinerlei inhaltliche Festlegungen“, teilt Sprecherin Sibylle Quenett mit. Aber wissenschaftsbasiert solle das Ganze einmal sein.

 

Überhaupt: Bevor irgendetwas passiere, müsse sich erst einmal eine nationale und internationale Expertenkommission treffen, um darüber nachzudenken, was das Institut eigentlich erforschen soll, wenn es überhaupt ein Institut werde, vielleicht aber auch ein Forschungsverbund.

 

Sachsens Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD) ist jedenfalls ihre Befürchtungen einigermaßen los, da könnte heimlich hinter ihrem Rücken eine CDU-geleitete Denkfabrik entstehen, eine Art Stanislaw-Tillich-Think-Tank. Man habe die Zusicherung des Berliner Bildungsministeriums, in die kommenden Gespräche und Planungen eingebunden zu werden, teilt ihr Sprecher Andreas Friedrich am Mittwoch mit.

 

Falk Neubert, Abgeordneter der Linken im Dresdner Landtag, sieht die Angelegenheit nüchtern. Er spricht vorsichtig von einem „Phantom-Institut“, hat aber auch schon Wünsche: Sollte es tatsächlich Wirklichkeit werden, dann in Leipzig und nicht in Dresden, meint er. Erstens sei die Leipziger Uni geisteswissenschaftlich und damit passend ausgerichtet und zweitens ist die 1989er Heldenstadt weit weg von Dresden. Neubert: „Auch das könnte helfen, den Verdacht der CDU-Nähe zu vermeiden.“