Politiker sind in Deutschland mit einer Welle des Hasses konfrontiert. Wie massiv das Problem ist, zeigen offizielle Zahlen, die tagesschau.de vorliegen: 2016 gab es mehr als 140 rechte Übergriffe gegen Politiker. Besonders betroffen: Linkspartei und CDU.
Von Patrick Gensing, tagesschau.de
Anschlagsdrohungen per Fax, Tierkot im Briefkasten, verwüstete Büroräume: In ganz Deutschland sind Politiker mit einer Welle des Hasses konfrontiert. Wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervorgeht, gab es 2016 bislang 142 rechte Übergriffe auf Politiker und deren Einrichtungen. Die Zahlen können sich allerdings noch verändern - sei es durch Nachmeldungen aus den Bundesländern oder andere neue Erkenntnisse.
Dabei besteht offenkundig in vielen Fällen ein Zusammenhang zwischen Kampagnen gegen Flüchtlinge und Übergriffen auf Politiker. Die Bundesregierung führt aus, dass insbesondere Politiker zum Ziel von Angriffen würden, die sich in der Flüchtlingspolitik und gegen Rechtsextremismus engagierten. Exemplarisch verweist die Regierung auf die rassistische "Gruppe Freital", die Anschläge auf Flüchtlinge und Politiker verübt haben soll. Gegen die Gruppe ermittelt mittlerweile der Generalbundesanwalt wegen Terror-Verdachts.
Fast 700 Übergriffe seit 2010
Rechnet man verschiedene Angaben der Bundesregierung zusammen (die allerdings auf unterschiedlichen Zählweisen basieren), wurden in Deutschland zwischen 2010 und Ende 2016 fast 700 Übergriffe gegen Politiker und deren Einrichtungen registriert: Fast 500 Vorfälle waren zwischen Januar 2010 und Ende Oktober 2015 gemeldet worden - und nun noch einmal knapp 200 von November 2015 bis Ende des vergangenen Jahres.
Die Bundesregierung sieht bundesweit allerdings keinen Trend zur systematischen Einschüchterung von Politikern. Diese seien als Repräsentanten des von Rechtsextremisten verhassten demokratischen Staates grundsätzlich ein relevantes Feindbild. Allerdings habe es in einzelnen Regionen wiederholt geplante Attacken gegen bestimmte Politiker gegeben, so die Regierung.
"Rechter Alltagsterror"
Die Linksfraktion verwies in ihrer Anfrage an die Regierung auf Beispiele in Sachsen-Anhalt und Sachsen, wo Büros ihrer Partei immer wieder angegriffen wurden. Eine Sächsische Landtagsabgeordnete verlor ihre Büroräume in Chemnitz, weil der Eigentümer nach einer ganzen Serie von Angriffen aus Angst vor weiteren Gewalttaten gekündigt hatte. Auch andere Vermieter sagten ihr bei der Suche nach neuen Räumen ab.
Martina Renner, Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion und Mitglied im Innenausschuss, spricht angesichts dieser Situation von rechtem Terror. Von "Nazis aber auch von rechten Scharfmachern in der AfD werden solche Taten verbal befeuert", sagte Renner im Gespräch mit tagesschau.de. Sie betont, dass nur zu einem Viertel der Vorfälle Tatverdächtige ermittelt werden konnten - und fordert "ein umfassenden Konzept, um dem rechten Alltagsterror etwas entgegenzusetzen".
CDU wird oft Ziel von Übergriffen
Besonders bemerkenswert an den Zahlen für 2016 ist, dass nun auch die CDU stark betroffen ist. Waren es in den vergangenen Jahren vor allem Politiker der Linkspartei und der Grünen, die Ziel von Übergriffen wurden, liegt die Linkspartei zwar mit 59 Angriffen weiter an der Spitze, nun aber gefolgt von der CDU mit 35 Angriffen. Hintergrund dürfte sein, dass Kanzlerin Angela Merkel von Rechtsradikalen zu einem zentralen Feindbild aufgebaut worden ist.
Die Angaben der Bundesregierung umfassen nicht Angriffe auf Politiker und Einrichtungen der AfD, sondern beziehen sich auf Parteien, die derzeit im Bundestag vertreten sind. Nach vorliegenden Angaben aus den Bundesländern ist aber davon auszugehen, dass es ebenfalls zahlreiche Straftaten gegen die AfD gibt.
Polarisierung und Verrohung
142 Angriffe auf Politiker oder deren Einrichtungen im Jahr 2016 sind ein Rekordwert. Die Vermessung des Hasses dokumentiert eine Entwicklung, die Experten schon länger beobachten: Teile der Gesellschaft polarisieren sich - und die politische Auseinandersetzung verroht. Keine guten Aussichten für das Superwahljahr 2017.