„Identitäre Bewegung“ Mauer vor Wahllokal – keine Konsequenzen

Erstveröffentlicht: 
08.02.2017

Vor einem Wahllokal für Migranten in Halle steht eine Mauer. Rechtsextreme brüsten sich, sie gebaut zu haben – die Staatsanwaltschaft stellt dennoch bald das Verfahren ein. Warum wird die Tat nicht weiter verfolgt?

 

Es war zwei Tage vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt: Am 11. März 2016 sollte in Halle eine Probeabstimmung für Migranten stattfinden, die seit langem in der Region leben. Ziel war es, die Feinheiten des deutschen Wahlsystems besser zu vermitteln und für die Stimmabgabe zu werben. Am Morgen fanden die Helfer des Landesnetzwerks der Migrantenorganisationen in Sachsen-Anhalt (Lamsa) eine Mauer vor dem Wahllokal. Darauf stand mit Spraydosen „No Way“ geschrieben.

 

Viele Medien berichteten darüber. Die damalige SPD-Vorsitzende in Sachsen-Anhalt, Katrin Budde, sprach von einer „menschenverachtenden Tat“. Und bald darauf bezichtigte sich die Gruppe „Kontrakultur“ der Tat. Um 13.45 Uhr erschienen auf ihrer Facebook-Seite Bilder der Mauer aus der Nacht. „Identitäre Aktivisten" hätten das Wahllokal zugemauert, ein anderes Wahllokal sei mit Ketten versperrt worden, stand dort. Die Untergruppe der „Identitären Bewegung“ schrieb außerdem, es handele sich um eine „symbolische Aktion“ im Protest gegen den „Austausch des deutschen Volkes gegen illegale Einwanderer“. Unter dem Facebook-Posting standen die Links zu verschiedenen Medien, die über die Aktion berichteten, ein „Pressespiegel“.

 

Die „Identitären“ sind stolz auf ihre Aktion. Während eines Gesprächs für die Recherche zu der Gruppe, schildern sie das Vorgehen. Bewusst habe man die Ziegelsteine nur mit Bauschaum verbunden, damit diese leicht zu entfernen seien. Nur Details wollten sie nicht nennen, die Staatsanwaltschaft ermittle ja noch, sagten sie im Herbst vergangenen Jahres. Eigentlich war das Verfahren da schon längst eingestellt. Für die „Identitären“ war ein Foto entscheidend, das sie im Netz veröffentlichten, und das sehr viele Medien aufgriffen. Ein Mechanismus, den die Gruppe (wie viele andere rechtsextreme Gruppen) für sich nutzt: Kurze Aktion, lauter Knall, großer medialer Widerhall. Meistens werden auch rechtliche Grenzen überschritten wie im Fall in Halle.

 

Umso mehr war Mamad Mohamad, Geschäftsführer des Migrantennetzwerks Lamsa, überrascht, als er drei Monate nach dem Vorfall ein Schreiben der Staatsanwaltschaft erhielt. Darin stand, dass die Ermittlungen eingestellt wurden. Die Täter konnten nicht ermittelt werden. „Das hat uns irritiert und enttäuscht“, sagt Mohamad. Die Ziegel, die mit Bauschaum vor dem Wahllokal aufgebaut worden waren, hat seine Organisation inzwischen zu Gedenksteinen verarbeitet.

 

Die symbolische Mauer hat aber auch die alltägliche Arbeit von Lamsa verändert. Mohamad hat sie als Einschüchterung empfunden, so hat sie die Polizei offenbar auch gewertet: Jede Veranstaltung und jede Tagung werden vorab mit den regionalen Polizeipräsidien abgesprochen. Häufig gibt es Polizeischutz. Gegenüber der Migrantenorganisation sollen die Beamten von einer erhöhten Gefährdung gesprochen haben: „Fast alle arbeiten bei uns ehrenamtlich, das ist also eine ziemliche Mehrbelastung“, sagt Mohamad. 

 

„Politisch motivierte Taten mit wenig Nachdruck verfolgt“


Wieso wurde das Verfahren eingestellt? Staatsanwaltschaft und Polizei antworten, dass der Tatverdacht nicht erhärtet werden konnte. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Halle bestätigt, dass die Selbstbezichtigung im Netz berücksichtigt wurde, es gab auch Tatverdächtige. Das Innenministerium verweist an die Polizei, auf die Fragen geht es nicht ein und schickt auch keine Stellungnahme.

 

Viele Staatsanwälte und Polizeibeamte schildern Überlastung. In vielen Streitigkeiten, die eigentlich zivilrechtliche Fälle sind, werden gleich Anzeigen erstattet, was zu noch stärkerer Belastung führt. Ein Staatsanwalt aus Sachsen-Anhalt sagt, Fällen wie dem in Halle würde man gerne verstärkt nachgehen, aber die Arbeitsbelastung sei zu hoch. Eine Mauer vor dem Wahllokal, die sich innerhalb weniger Minuten entfernen lässt, das ist eine eindeutige Einschüchterung; man könnte es juristisch als Nötigung verstehen, wohl nicht als Sachbeschädigung.

 

Thorsten Hahnel von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus in Halle bekam selbst Drohungen, sein Auto wurde angezündet. Es schien naheliegend, wer dahinter steckt, die rechtsextreme Szene vor Ort. Der Staatsschutz ermittelte. Am Ende kam ein Schreiben, der Täter konnte nicht ermittelt werden. „Wir machen die Erfahrung, dass die Ermittlungen bei rechtsextremen Straftaten mit wenig Nachdruck verfolgt werden“, sagt Hahnel. An Rechtsextreme sendet das die falsche Botschaft, findet er: „Sie glauben, dass sie machen können, was sie wollen.“ 

 

Die „Identitären“ aus Halle rühmen sich unterdessen auf ihrer Facebook-Seite, an der Blockade des Konrad-Adenauer-Hauses in Berlin beteiligt gewesen zu sein. An der Universität Halle haben sie ohne Genehmigung ein Transparent entrollt. „Willkommen auf unserem Campus“ stand da, eine Machtdemonstration. In beiden Fällen ist Strafanzeige erstattet worden.