Im Juli 2000 explodierte in Düsseldorf eine Rohrbombe, zehn Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Jetzt haben Ermittler nach Informationen von SPIEGEL ONLINE den mutmaßlichen Täter gefasst: einen rechtsextremen Waffennarren.
Von Fidelius Schmid und Jörg Diehl
Mehr als 16 Jahre nach dem Rohrbombenanschlag an der Düsseldorfer S-Bahn-Station Wehrhahn hat die Polizei den mutmaßlichen Täter gefasst. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE nahm ein Spezialeinsatzkommando den 50-jährigen Ralf S. am frühen Mittwochmorgen in Ratingen fest. S. gilt als Waffennarr und war zu Zeiten des Anschlags im Sommer 2000 im Düsseldorfer Stadtteil Flingern als Neonazi bekannt. Er sitzt inzwischen in Untersuchungshaft.
Mit der Festnahme könnte sich eine der spektakulärsten Bombenattacken der jüngeren Zeit in Deutschland aufklären. Der Anschlag, bei dem zehn Menschen zum Teil schwer verletzt worden waren, hatte damals Schockwellen im ganzen Land ausgelöst - auch weil ein rechtsextremer Hintergrund vermutet wurde. Die Opfer waren Ausländer, sechs von ihnen Juden.
Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE bestätigen die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft Düsseldorf nun ein ausländerfeindliches Motiv.
"Sheriff von Flingern"
S. stand bereits kurz nach dem Anschlag im Visier der Fahnder. Der ehemalige Bundeswehrsoldat betrieb in der Nähe des Anschlagsorts einen Militaria-Laden. Die Anwohner in seinem Viertel fürchteten ihn als "Sheriff von Flingern", der mit dem Hund durch den Stadtteil patrouillierte oder nachts im Kampfanzug unterwegs war.
Doch der Verdacht ließ sich damals nicht erhärten. S. wurde zwar vorübergehend festgenommen und stundenlang vernommen - doch die Ermittler mussten ihn wieder gehen lassen. Inzwischen sind sie allerdings sicher, den Richtigen gefasst zu haben. Auf Basis neuer Indizien hatten die Düsseldorfer Polizei und Staatsanwaltschaft zuletzt zwei Jahre lang intensiv gegen S. ermittelt. Sie sichteten erneut Zehntausende Seiten Akten, verfolgten alte Spuren, vernahmen Zeugen und überwachten S. umfangreich.
Ist Ralf S. ein Rechtsterrorist? Juristisch gesehen ist er das nicht, weil es damals im Unterschied zu heute noch keine Paragrafen gab, um wegen Terrorverdachts gegen Einzeltäter vorzugehen. Da Ralf S. keiner terroristischen Organisation angehörte, wurde und wird gegen ihn unter anderem wegen versuchten Mordes ermittelt, aber nicht wegen einer terroristischen Straftat.
Plastiktüte an Geländer
Nach Überzeugung der Fahnder war es S., der am 27. Juli 2000 eine Plastiktüte an ein Geländer des S-Bahnhofs Wehrhahn hängte. Darin befand sich eine mit TNT gefüllte Rohrbombe, die um 15.04 Uhr detonierte. Es traf sieben Frauen und drei Männer, allesamt Schüler einer nahe gelegenen Sprachenschule. Manche hatten erst seit ein paar Tagen Unterricht, manche seit Monaten. Sechs Opfer waren jüdische Zuwanderer aus der früheren Sowjetunion, dazu vier Russlanddeutsche.
Der damalige NRW-Innenminister Fritz Behrens (SPD) rief nach dem Anschlag zu einer "Wehrübung der aufrechten Demokraten" auf. Bündnisse gegen Rechts wurden geschlossen. Wenige Monate später, nach einem Brandanschlag auf eine Düsseldorfer Synagoge, formulierte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) seinen bekannten Aufruf zum "Aufstand der Anständigen".
Schon damals war auch auf höchster Ebene über einen rechtsextremen Hintergrund der Tat spekuliert worden. Der damalige Innenminister Otto Schily (SPD) sprach von einem "Verdacht eines fremdenfeindlichen Hintergrunds", sein grüner Kabinettskollege Joschka Fischer sah "Ausländerhass" als "wahrscheinlichsten Hintergrund".
Nach dem Auffliegen der Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" wurde vielfach spekuliert, ob die Tat dem Trio zuzuordnen sei, allerdings ohne greifbare Indizien. Die Fahnder rätselten zeitweilig auch, ob das Motiv für die Morde im Milieu der organisierten Kriminalität zu suchen sei. "Spuren des Todes, tote Spuren", schrieb der SPIEGEL ein Jahr nach dem Anschlag.
Nun scheint der Fall doch geklärt - mehr als anderthalb Jahrzehnte nach der Tat. Polizei und Staatsanwaltschaft wollen am Mittwochnachmittag Details auf einer Pressekonferenz bekannt geben.