„Wer G 20 nach Hamburg holt, holt Gewalt in die Stadt"

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Erstveröffentlicht: 
31.01.2017

Im Juli treffen sich die mächtigsten Staatschefs der Welt in Hamburg: Es wird mit den bislang größten Massenprotesten gegen Trump, Putin oder auch Erdogan gerechnet. Die Linke steckt in einer Zwickmühle.

 

Die Proteste gegen den neu gewählten US-Präsidenten Donald Trump schwappen nun auch nach Hamburg: Am heutigen Dienstag findet vor dem amerikanischen Generalkonsulat um 18.15 Uhr die Demonstration „Brücken bauen. Mauern einreißen. Gegen Trump, für Freiheit“ statt, der Veranstalter, der frühere Landessprecher der Grünen-Jugend, hat eine Kundgebung mit 100 Teilnehmern angemeldet, auf Facebook haben sich etwa 500 Demonstranten angekündigt. Schon einen Tag nach dem Amtsantritt Trumps hatten sich in Berlin und Frankfurt mehrere Hundert Menschen zum „Women’s March“ versammelt und für Frauenrechte und gegen den neuen Präsidenten protestiert; in den Vereinigten Staaten gingen insgesamt wohl weit mehr als eine Million Menschen auf die Straße.

Nun hat Donald Trump zugesagt, zum G-20-Gipfel am 7. und 8. Juli nach Hamburg zu kommen – und eine Stadt rüstet sich und rechnet mit Massenprotesten. Der Polizei liegt für den 8. Juli eine Anmeldung für ein Großdemonstration vor, mit 50.000 bis 100.000 Teilnehmern. Alles wird zwei, drei Nummern größer als beim OSZE-Gipfel, die Autokolonnen, die Sicherheitsvorkehrungen, die Protestmärsche. Die Zahl der Demonstranten dürfte seit Trumps ersten Dekreten wie dem Einreisestopp für viele Muslime nun noch steigen. In jedem Fall: Die gemächliche Stadt Hamburg steht vor Tagen des Ausnahmezustands, und Florian Wilde glaubt: „Es werden die größten deutschen Gipfelproteste aller Zeiten werden – größer noch als der G-8-Gipfel in Heiligendamm 2007.“

Nach den ersten Wochen Trump und den heftigen Protesten sei er sich recht sicher, dass sogar deutlich mehr als 100.000 Menschen nach Hamburg kommen werden. Für ihn sind das gute Nachrichten. Wilde ist G-20-Kampagnenreferent der Hamburger Linken, eine Zehn-Stunden-Stelle pro Woche, die die Fraktion Anfang des Jahres extra für den Gipfel geschaffen hat. Die Weltöffentlichkeit wird in diesen Tagen auf Hamburg blicken – und die Linke, die sich als einzige Partei in der Bürgerschaft klar gegen das Treffen ausspricht, möchte diese Bühne kurz vor der Bundestagswahl nutzen.

Wilde arbeitet sonst als gewerkschaftspolitischer Referent für die Rosa-Luxemburg-Stiftung, er ist erprobt im Dagegen-Sein und war selbst an früheren Gipfelprotesten beteiligt, vom Weltwirtschaftsgipfel in Köln 1999 über den G-8-Gipfel in Genua bis hin zu den G-8-Protesten in Heiligendamm. Wilde soll die Großdemonstration mit vorbereiten, sich mit zivilgesellschaftlichen Gruppen austauschen, die Mailinglisten durchforsten und Aktionsplattformen besuchen, die sich rund um den Gipfelprotest gebildet haben. Es werden vier aufreibende Tage im Juli: Beim Alternativgipfel am 5. und 6. Juli sollen inhaltliche Gegenpositionen zum Gipfel formuliert werden, der 7. Juli ist als „Tag des zivilen Ungehorsams“ anvisiert, dann folgt die Großdemonstration.

Doch was kritisiert die Linke konkret am Gipfel? „G 20 steht für den Versuch, den Neoliberalismus zu stärken – in Zeiten, wo dieser durch die diversen Krisen an Legitimität verliert“, sagt Florian Wilde. Bankenrettung, Stabilisierung durch billiges Geld und Forcierung des Freihandels, diese Politik lehne die Linke ab, es gehe um die falsche politische Richtung, weniger um die Institution G 20 an sich.
Linke unterstützt Aktionen des „zivilen Ungehorsams“

Und nun findet der Gipfel, nach Jahren der Auslagerung in Bergmassive oder einsame Küstenlandstriche, wieder mitten in einer Metropole statt, nur einen Molotowcocktail-Wurf vom rebellischen Schanzen- und Karoviertel entfernt. Vor dem OSZE-Gipfel zündelten Unbekannte an den Messehallen, wie steht die Linke zu solchen Aktionen, wo verläuft die Grenze zwischen Protest und Eskalation? „Als Partei Die Linke rufen wir zu keinerlei gewalttätigen Aktionen auf – weder gegen Personen noch gegen Sachen“, wiegelt Florian Wilde ab. Man unterstütze Aktionen des „zivilen Ungehorsams“, soll heißen: Protestler setzen sich auf die Straße und blockieren die Wege zum Gipfel. Er sagt aber auch diesen Satz: „Wer den Gipfel nach Hamburg holt, holt sich auch Gewalt in die Stadt.“ So lauteten schlicht die Erfahrungen von anderen Gipfeln. „Wenn Ausschreitungen passieren, sehen wir deshalb die Verantwortung beim Hamburger Senat.“

Der Hamburger Senat wollte diese Aussagen nicht kommentieren. Deutschland hat seit 1. Dezember 2016 die G20-Präsidentschaft übernommen und ist damit offiziell Ausrichter des Gipfels. Hamburg ist nur der Austragungsort, vieles an Planung läuft über das Bundesaußenministerium.

Der Kampagnenreferent der Linken Florian Wilde sagte weiter, er werbe für Differenzierung, es sei „keinesfalls gesagt, dass die Gewalt nur von Protestierenden ausgehen wird“. Auch Uniformierte könnten sich als Gewalttäter gebärden, die Demonstrationsfreiheit werde bei Gipfeln oft eingeschränkt, immer wieder würden Demonstranten Opfer von Gewalt. In Hamburg, sagt Wilde, gebe es eben auch eine Szene, die „robusteren Aktionen“ durchaus aufgeschlossen gegenüberstehe. „Ich sehe da Konflikte auf uns zukommen.“

In den Regierungsfraktionen sieht man die Aussagen der Linken pragmatisch: „So wie für alle Demonstrationen gilt auch entlang des G20-Gipfels der Grundsatz: Protest ist in Ordnung, Gewalt ist es nicht“, sagte Arno Münster, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.

Die Linksfraktion steckt hier in einer Art Zwickmühle: Die Partei will sich von den anderen Parteien abheben, muss sich aber andererseits mit möglichen Ausschreitungen auseinandersetzen – bei Kundgebungen, die sie selbst mitgestaltet. Dieses Dilemma kennt auch Kampagnenreferent Wilde: „Es ist völlig klar, dass die anderen Parteien und auch Medien versuchen werden, der Linken mögliche Ausschreitungen in die Schuhe zu schieben.“ Nun gelte es, sich auf dieses Szenario gut vorzubereiten.

Noch sind es mehr als fünf Monate bis zum Gipfel, die Kampagne ist gerade erst angelaufen: Doch schon jetzt habe sich ein breites Bündnis in der Stadt gebildet, sagt Wilde, von Grünen über Gesellschaftskritiker bis hin zu autonomen, linksradikalen Gruppen. Doch so ein Gipfel ist längst ein internationales Ereignis geworden, das gilt auch für den Protest. In Italien scheine sich eine starke Mobilisierung abzuzeichnen, berichtet Florian Wilde, er rechne auch mit vielen Demonstranten aus Skandinavien, Frankreich und den Benelux-Staaten. „Es werden viele kontroverse Politiker kommen, die eine starke mobilisierende Wirkung auf ihre Gegner haben“, sagt Wilde. Erdogan, Putin, Trump – mehr Zündstoff geht nicht. Sicher werde es eine Zuspitzung in der Kampagne auf Trump geben, aber: „Wir rechnen damit, dass sich gerade Frau Merkel als Stimme der Vernunft inszenieren möchte, als Gegensatz zu den autoritären Herrschern. Diese Position wollen wir entlarven.“

 

Von Philipp Woldin