So untergrub rechter Terror die Weimarer Republik

Erstveröffentlicht: 
25.01.2017

Die Bundesregierung geht von 10.000 Reichsbürgern in Deutschland aus. Wie das rechtsradikale Milieu schon einmal die deutsche Demokratie unterminiert hat, zeigen Hunderte Anschläge der 20er-Jahre.

 

Es war eine kaltblütige Hinrichtung. Die Mörder hatten ihre Zielperson erst verfolgt, dann grußlos überholt und plötzlich das Feuer eröffnet. Sechs Kugeln trafen das Opfer, das schwer verletzt eine Böschung hinunterfiel; einer der Attentäter setzte nach und gab auf den Wehrlosen zwei weitere, tödliche Schüsse ab. So starb am 26. August 1921 im Schwarzwald, nahe dem Kurort Bad Griesbach, Matthias Erzberger, prominenter Abgeordneter der katholischen Zentrumspartei und ehemaliger Reichsfinanzminister.

 

Dieser Anschlag gab dem Rechtsterrorismus in Deutschland eine neue Qualität. Dabei hatte es in den vergangenen beiden Jahren schon eine Reihe von Gewalttaten gegeben. Der Doppelmord an den KPD-Führern Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in Berlin am 15. Januar 1919 hatte noch im Zuge von bürgerkriegsähnlichen Zuständen stattgefunden. Der Mord an Bayerns sozialistischem Ministerpräsidenten Kurt Eisner auf dem Weg zu seiner geplanten Rücktrittsansprache im Bayerischen Landtag war die Tat eines einzelnen Rechtsradikalen, des gerade erst 22-jährigen Anton Graf Arco-Valley.

 

Mit dem Mord an Erzberger aber trat erstmals eine nach Prinzip von Befehl und Gehorsam geführte rechtsterroristische Gruppe in Erscheinung, die Organisation Consul (OC). Gegründet hatte diese mythenumrankte Geheimgesellschaft der frühere Freikorps-Führer Hermann Ehrhardt.

 

Während der nachrevolutionären Unruhen in Deutschland 1919/20 setzte er seine Anhänger zur Niederschlagung von Aufständen ein; persönlich und mit einem Großteil seiner Männer beteiligte er sich führend am versuchten Staatsstreich des reaktionären Beamten Wolfgang Kapp gegen die Reichsregierung im März 1920. Nach dem Scheitern dieses Putsches wurde die Marinebrigade Ehrhardt verboten und aufgelöst. Einige junge Offiziere schlossen sich jedoch zur OC zusammen. 

 

Die Mörder kamen aus Heer und Marine


Zu ihnen gehörten die beiden Mörder von Erzberger, Heinrich Tillessen und Heinrich Schulz. Wie viele Terroristen der OC waren beide ehemalige Offiziere, Tillessen bei der Kaiserlichen Marine, Schulz beim Heer. Beide waren Mitglieder des Freikorps unter Ehrhardt geworden und stellten sich dessen terroristischem Kalkül zur Verfügung. Töten war zumindest für Schulz kein Problem, hatte er doch vier Jahre im Weltkrieg an der Front gekämpft.

 

Dem Mord im Schwarzwald folgten weitere Gewalttaten der OC. Sicher zu der Terrororganisation gehörte der ehemalige Kriegsfreiwillige Hans Hustert, der zusammen mit Karl Oehlschläger, ehemaliges Mitglied der Brigade Ehrhardt, am 4. Juni 1922 den ehemaligen ersten Regierungschef einer demokratisch legitimierten Reichsregierung in Deutschland, den Sozialdemokraten Philipp Scheidemann, mit Blausäure angriff. Starker Wind rettete den damaligen Oberbürgermeister von Kassel.

 

Nicht so viel Glück hatte gut zwei Wochen später der amtierende Reichsaußenminister Walther Rathenau. Ihm lauerten am 24. Juni 1922 drei OC-Mitglieder nahe seinem Privathaus in Berlin-Wilmersdorf in einem offenen Wagen auf und griffen ihn mit einer Maschinenpistole und einer Handgranate an. Noch am Tatort starb der deutsch-jüdische Industrielle und ehemalige AEG-Chef. Wahrscheinlich ebenfalls Terroristen der OC verübten wenige Tage später, am 3. Juli 1922, ein Attentat auf den sozialistischen Publizisten Maximilian Harden. Er überlebte schwer verletzt, zog sich aber total aus der Öffentlichkeit zurück.

 

Erst daraufhin erließ Reichspräsident Friedrich Ebert scharfe Maßnahmen gegen Rechtsterroristen. Durch das Republikschutzgesetz wurde die OC zerschlagen. Die meisten Attentäter konnten flüchten oder brachten sich um; zu den Hintergründen und der inneren Organisation der OC machten auch die verurteilten Mitwisser und Täter keine nennenswerten Angaben. 

 

Auffangbecken wurde die NSDAP


Auch rechtsextremistische Vorfeldorganisationen wie der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund (DvSTB), ein radikal antisemitischer Verband, wurden verboten. Ein Land allerdings weigerte sich, das Republikschutzgesetz anzuerkennen. „Besondere Maßnahmen seien, soweit Bayern in Betracht komme, nicht notwendig“, begründete der konservative Münchner Ministerpräsident Hugo Graf Lerchenfeld seine Ablehnung.

 

Da jedoch nicht auch gleichzeitig die NSDAP verboten worden war, sammelten sich dort die Anhänger des Schutz- und Trutzbundes. Von der nationalsozialistischen Ortsgruppe im preußischen Gelsenkirchen etwa ist bekannt, dass sie Anfang März 1922 noch etwa 100 Mitglieder gehabt hatte, Mitte Juli aber, nach dem Verbot des DvSTB, bereits 250.

 

Insgesamt fielen in den Anfangsjahren der Weimarer Republik rechtsterroristischen Anschlägen im weiteren Sinne mindestens 23 Menschen zum Opfer. Tatsächlich waren es wohl noch wesentlich mehr. Je nach Definition kommt man auf bis zu 400 Tötungen mit radikalnationalistischem oder antisemitischem Hintergrund in Deutschland.