»Mischvölker« und »180 Grad-Wende«

Höcke in Dresden

Am 17. Januar 2017 mobilisierte die Junge Alternative (JA) Dresden 400 Personen zu einer Rednerveranstaltung mit Björn »Bernd« Höcke. Die AfD-Parteijugend hatte dafür das Brau- und Ballhaus Watzke in Pieschen angemietet. Mit unverhohlen faschistischen  Reden rannte die JA offene Türen ein: das Publikum quittierte die Vorträge mit Jubel, »Höcke nach Berlin«-Sprechchören und Standing Ovations.

 

Höcke war gleich der zweite Gast der Veranstaltungsreihe unter dem Namen »Dresdner Gespräche«, die die JA unter ihrem Vorsitzenden Matthias Scholz für das anstehende Wahlkampfjahr initiiert hat. Der Auftakt war hingegen noch deutlich schlechter besucht: den Vortrag des von der SPD zur AfD gewechselten Guido Weil im KIM-Hotel in Dresden-Gompitz verfolgten vielleicht 50 bis 70 Personen. Höcke weckte da deutlich größeres Interesse: insbesondere PEGIDA machte kräftig Werbung und nutzte den Vortrag als willkommenen Anlass den eigenen Montagsspaziergang abzublasen.

 

»Anti-Antifa« als Saalschutz


Nachdem die JA den Veranstaltungsort lange geheim hielt, wurde am Montag bekannt, dass sie für eine »vierstellige Saalmiete« das Ballhaus Watzke angemietet hat. Das Watzke war bereits in der Vergangenheit Ort fragwürdiger Veranstaltungen. Im Dezember organisierte der PEGIDA-nahe Verein »Dresdner Bürger helfen Dresdner Obdachlosen und Bedürftigen e.V.« ein Festessen. Der Verein zielt darauf ab, Arme gegen Asylsuchende in Stellung zu bringen und gegeneinander auszuspielen. Im Landtagswahlkampf 2014 war die AfD mit Bernd Lucke und Mar­cus Pretzell im Ballhaus zu Gast. 2012 und 2013 fand dort mit dem Akademikerball das reaktionäre Ballvergnügen studentischer Verbindungen statt.

 

Ab 17 Uhr bildete sich eine lange Schlange vor dem Einlass am Ballhaus Watzke. Wie schon im Dezember war eines auffällig: jung waren dort die wenigsten – der Altersdurchschnitt lag vorsichtig geschätzt bei 45 bis 50 Jahren. PEGIDA-Mitgründer Siegfried Däbritz und seine Ordner-Crew kontrollierten die Gäste am Einlass. Im Umfeld patrouillierten weitere Schläger-Combos. Teilweise waren diese mit Jacken bekleidet, auf denen ein Logo bestehend aus Reichsadler und Schlagring abgebildet war, ergänzt um den Schriftzug »Anti-Antifa«.

 

»A wie Abschieben«


Die Veranstaltung wurde vom JA-Vorsitzenden Matthias Scholz moderiert. Zu Beginn durften die beiden örtlichen AfD-Bundestagsdirektkandidaten sprechen. Stefan Vogel legte los und gab zum besten, dass sein »Lieblingsbuchstabe« das A sei. Er thematisierte Rot-Rot-Grün in Berlin und Dresden. Diese würden die »Stadtgesellschaft atomisieren«. »Deswegen gibt es nur ein [!] Wort mit A: Abwählen! Oder auch Aufhören […]«, so Vogel unter Applaus. Wenig später folgte der Verweis auf Taschendiebstahl »in der B-Ebene« des Frankfurter Hauptbahnhofs, was schnell zu »A wie Abschieben« und entsprechenden Sprechchören im Publikum führte. Fünf Minuten PEGIDA in klein.

 

Der nächste Slot gehörte Jens Maier, Richter am Landgericht Dresden und Direktkandidat im Wahlkreis Dresden I. Er stieg aus aktuellem Anlass mit Worten zur NPD ein. Er trug ihr vor allem nach, dass sie es dem politischen Gegner zu leicht gemacht habe, ihr »Bemühen um eine gerechte Bewertung der Vergangenheit als Verherrlichung des Dritten Reiches umzuinterpretieren.« Es ist also nur eine Stilfrage, die Maier problematisiert, nicht das Ziel an sich. Auch sonst wußte er viel Gutes über die NPD zu berichten, sie sei die »einzige Partei, die immer entschlossen zu Deutschland gestanden« habe. Aber Maier will ihr nicht hinterhertrauern, sondern er will ihren Platz einnehmen und verkündete: »Nun sind wir da. Wir sind die neue Rechte!«

 

»Wir sind die neue Rechte!«


Daran ließen seine folgenden Ausführungen keinen Zweifel. Mit einem gänzlich schiefen Vergleich zum Black Consciousness Movement in Südafrika stilisierte er die Deutschen zu Opfern von Umerziehung und Schuldkult, dafür seien vor allem »die Westalliierten« verantwortlich gewesen. Die Lösung liegt für Maier auf der Hand: »der deutsche Patriotismus«. Daran anschließend verkündete er in einem Anflug von Selbstüberschätzung: »Ich erkläre hiermit diesen Schuldkult für beendet, für endgültig beendet!« Den Saal freute es, das Publikum jubelte. Vielleicht wurden Erinnerungen wach an die Rede Tatjana Festerlings auf einer PEGIDA-Demonstration am 9.11.2015?

 

Wie es sich für deutsche Patrioten gehört, wurde es sogleich militärisch. Man müsse, so Maier, wieder in der Lage sein das Land zu verteidigen, gegen die EU, aber auch gegen »die Herstellung von Mischvölkern«, die »Auslöschung von nationalen Identitäten«. Da war sie, die Dosis Rassenlehre, fast beiläufig von Maier eingestreut. Aber dem Publikum genügte das. Auch dann, als Maier behauptete: »Im Jahr 1945 sah es in vielen Städten Afrikas besser aus«, und anschließend fragte, »aber was machen die aus ihren Möglichkeiten, und was ist seitdem in Deutschland entstanden?« Er brauchte die Antwort nicht zu geben und bekam trotzdem Applaus. Die rassistischen und chauvinistischen Stereotype, auf die er abzielte, liessen alle zum gleichen Schluss kommen: Wir sind schon ein richtiges Herrenvolk.

 

Maier schloß mit dem Bekenntnis zu Björn Höcke: »Björn Höcke, wissen sie wer das ist? Dieser Mann ist meine Hoffnung.« Maier hatte außerdem klar gemacht, dass er sich im faschistischen Parteiflügel der AfD verortet. Unumwunden berichtete er dann auch, wie er im Juni 2016 am Kyffhäusertreffen des Rechtsaußen-Flügels der AfD teilgenommen hat. Eine Pointe am Rande: der Dresdner Richter ist auch im AfD-Landesschiedsgericht tätig und entscheidet dort etwa über den Ausschluss von Parteimitgliedern wegen allzurechter Umtriebe. Sie dürften einen starken Verbündeten haben.

 

»Björn Höcke sie sind unsere Hoffnung!«


Als dritter Redner sprach der Aachener AfD-Politiker Markus Mohr. Und dann als letztes folgte Björn Höcke, der von Götz Kubitschek zur Veranstaltung begleitet wurde. Die Sächsische Zeitung formulierte über ihn im Vorfeld verharmlosend: »Höcke wird dem rechten Flügel der AfD zugeordnet sowie mangelnde Distanz zu rassistischen Thesen und rechtsextremen Positionen bescheinigt.« Fakt ist, Höcke selbst bekennt sich zum rechten Flügel (siehe: derfluegel.de), er selbst vertritt aktiv ein Volksgemeinschaftskonzept (siehe: Zitateübersicht über Höckes Programmatik von Andreas Kemper) und nutzt immer wieder nationalsozialistische Rhetorik (siehe: Zitateübersicht zu Höckes Sprache). Mit »mangelnder Distanz« hat das nichts zu tun, seine Positionen sind faschistische. Das stellte er auch in seiner Rede in Dresden unter Beweis.

 

Zu Beginn seiner Rede lobte Höcke lang und breit PEGIDA bzw. die »Straßenproteste«,  die »eine weltweite Aufmersamkeit erzwungen« hätten und bei denen Tausende »in so vornehmer und vorbildlicher Art und Weise ihre Bürgerrechte wahrnehmen« würden. Er berichtete von einem Ausflug zu PEGIDA nach Dresden, bei dem er durch »wilde Horden« von »sogenannten Antifaschisten« laufen musste, damals sei er noch unbekannt gewesen, heute sei das »wahrscheinlich eine lebensgefährliche Aktion«. Streetcredibility im Konjunktiv. Der Saal fand es gut, jemand rief: »Wir wollen dich Montags sehen!«. Wieder langer Applaus.

 

Nachdem sich alle Anwesenden im Saal ihrer gegenseitigen Bewunderung versichert hatten, war es Zeit für die harte Bestandsaufnahme. Über die Bundesregierung Merkels sagte Höcke, dass die »zu einem Regime mutiert« sei. Er griff ein Motiv auf, dass sich auch bei Stefan Vogel fand, als er rot-rot-grüne Koalitionen mit der DDR gleichsetzte, bei Höcke klang das so: »Weder ihr erstarrter Habitus, noch ihre floskelhafte Phraseologie unterscheidet Angela Merkel von Erich Honecker.« Die Regierung hätte ganze »Problemhalden« »aufgetürmt«, »in der entsprechenden Breite und Höhe«, die so »gewaltig« seien, dass Höcke darauf gleich viermal hinweisen musste. Nicht dass sie jemand übersieht. Denn das ist kein Spass, sondern eine »Katastrophe«. Man müsse erkennen, behauptete der Thüringer AfD-Politiker, dass sich »unser einst intakter Staat« »in Auflösung« befände. Der soziale Friede sei duch den »Import fremder Völkerschaften und die zwangsläufigen Konflikte existenziell gefährdet«.

 

Hinzu käme der »Geburtenrückgang«, der zusammen mit der »Masseneinwanderung« »unser liebes Volk« »erstmals«, »tatsächlich« in seiner Existenz bedrohen würden. Schuld daran seien laut Höcke »Amerikanisierung« und die »alten Kräfte«, namentlich: »Altparteien«, »Gewerkschaften«, »Amtskirchen« und »Sozialindustrie«. Es folgte der bereits bekannte Verweis auf das Stück Seife und den lauwarmen Wasserstrahl, der es auflöse, weswegen der Wasserstrahl zu zudrehen sei. Nach der Ankündigung Höckes: »Wir werden uns unser Deutschland Stück für Stück zurückholen«, stimmte der Saal »Hö-cke, Hö-cke«-Sprechchöre an.

 

Grundkurs: Faschistische Rhetorik


Die apokalyptische Situation, in die Höcke sich und sein Publikum hineinversetzen möchte, ist nur durch neue Helden zu bewältigen. Den »verbrauchten, politischen Alteliten« gehe es darum, den Staat zu »missbrauchen, um ihn abzuschaffen«, sie seien »erbärmliche Apparatschiks«, die nur noch »ihre Pfründe« sichern wollen, so der verbeamtete Lehrer Höcke. Die benötigten Helden stellt er sich so vor: »Ich möchte, dass ihr euch im Dienst [für euer Land, Anm. d. ART] verzehrt. Ja, ich möchte euch als neue Preußen.« Materielles hat Höcke nicht anzubieten: »Ich werde den Teufel tun euch den kürzesten Weg zu irgendwelchen Pfründen zu weisen«, er will »willensstarke Menschen«, denn er weiß:

 

»ich weise euch einen langen […] und entbehrungsreichen Weg. Ich weise dieser Partei einen langen und entbehrungsreichen Weg. Aber es ist der einzige Weg, der zu einem vollständigen Sieg führt. Und dieses Land braucht einen vollständigen Sieg der AfD.«

 

Höckes Rede eröffnet ein Szenario von »Dekadenz, Niedergang und Reinigung« (Volker Weiß), das Umberto Eco als die »archetypischen Fundamente« des (italienischen) Faschismus beschreibt und das der Sozialwissenschaftler Kurt Lenk als »Syndrom Dekadenz – Apokalypse – Heroismus« zusammengefasst hat.1 Lenk stellte fest, dass wir es »nicht mit längst vergangenen Phänomenen zu tun haben, sondern mit einem Evergreen aus der langen Tradition des revolutionären Konservatismus.« Dem liegt die Idee einer »Wiedergeburt« zugrunde, die nötig ist, weil die alten Eliten die Gesellschaft in eine Katastrophe gestürzt hätten. Die Dramaturgie ist stets ähnlich, so auch bei Höcke: er stellt sein Publikum vor die Wahl, entweder Untergang des Staates und seines Volks oder Rettung, durch heroisches, selbstloses Handeln »neuer Preußen« als Fundamentalopposition. Das spezifisch deutsche und nationalsozialistische Moment bringt Höcke dann ins Spiel, wenn er implizit zu einem rassistischen Abwehrkampf gegen »fremde Völkerschaften« aufruft.

 

Mehr als ein wahltaktisches Angebot


Gegen Ende seiner Rede thematisierte Höcke die Bombardierung Dresdens. Höcke übernahm dabei unumwunden Nazipositionen, wie sie etwa die NPD mit der Behauptung eines »Bombenholocaust« vertritt. Die Bombardierung sei »ein Kriegsverbrechen« und »vergleichbar mit den Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki.« Das Publikum im Ballhaus Watzke applaudierte. Den Alliierten warf er vor: »Man wollte uns mit Stumpf und Stiel vernichten, man wollte unsere Wurzeln roden. Und zusammen mit der dann ab 1945 begonnenen systematischen Umerziehung hat man das auch fast geschafft. Deutsche Opfer gab es nicht mehr, sondern es gab nur noch deutsche Täter.« Es ist die gleiche kontrafaktische Litanei, wie sie Dresdner Nazikreise jedes Jahr anlässlich des 13. Februars formuliert haben und auch wieder formulieren, die aber auch weit darüberhinaus Verbreitung fanden. Höckes Aussagen sind ein wahltaktisches Angebot an die klassischen Nazis und deren Potential: wir sind auch für euch da, schließt euch uns an. Es sind darüberhinaus handfeste Überzeugungen, die er da mit seiner jubelnden Anhängerschaft teilt.

 

(1) Kurt Lenk: Das Problem der Dekadenz seit Georges Sorel. in: Heiko Kauffmann, Helmut Kellershohn, Jobst Paul (Hg.): Völkische Bande. Dekadenz und Wiedergeburt – Analysen rechter Ideologie.[←]