Oury Jalloh: Schweigen zum Feuertod

Erstveröffentlicht: 
06.01.2017

Vor zwölf Jahren starb ein Afrikaner in einer Dessauer Polizeizelle - war es ein Unfall, Selbstmord, Mord? Im August 2016 sollte ein Versuch im Erzgebirge das Rätsel lösen. Doch Ergebnisse wurden bis heute nicht veröffentlicht.

Von Oliver Hach

 

Dessau-Rosslau/Schmiedeberg. Es war ein Fall, der bis zum Bundesgerichtshof ging, Stoff für Verschwörungstheorien, verfilmt in einem "Tatort": Am 7. Januar 2005 starb der Asylbewerber Oury Jalloh in einer Zelle des Polizeireviers in Dessau. Beamte hatten den Mann aus Sierra Leone, der unter Alkohol- und Drogeneinfluss stand, in der Innenstadt aufgegriffen und in Gewahrsam genommen. Sie fesselten den 36-Jährigen an Händen und Füßen und fixierten ihn auf einer feuerfesten Matratze - in einem gefliesten, sonst völlig leeren Raum. Gegen 12 Uhr mittags brach in der Zelle Feuer aus. Oury Jalloh verbrannte - von seinem Körper und der Matratze blieben nur verkohlte Reste übrig.

 

Die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau, die nun seit mittlerweile zwölf Jahren in dem Fall ermittelt, war lange fest davon überzeugt: Der Mann hat sich selbst angezündet. Doch Hinterbliebene und eine Gedenkinitiative hatten Zweifel an dieser Version. Sie stellten eigene Nachforschungen an - und deckten erhebliche Ungereimtheiten in den offiziellen Ermittlungen auf.

 

Es stellte sich unter anderem heraus: An dem Feuerzeug, mit dem sich Oury Jalloh angeblich angezündet haben soll, fand sich kein genetisches Material des Opfers, dafür DNA eines Nichtafrikaners; zudem Faserreste, die nicht zum Tatort passten. In einer Brandversuchsreihe mit Schweinehälften, die ein irischer Gutachter im Jahr 2013 im Auftrag der Gedenkinitiative ausführte, kam heraus: Um ein Brandbild wie in der Zelle in Dessau zu erzeugen, braucht es einen Brandbeschleuniger. Die Eltern des Toten stellten daraufhin Strafanzeige wegen Mordes gegen Unbekannt.

 

Erst danach sah die Staatsanwaltschaft Klärungsbedarf. Es dauerte jedoch weitere drei Jahre, bis die Ermittlungsbehörde im Sommer 2016 die Presse zu einem Termin ins Osterzgebirge einlud. In einem Indus-triehochhaus einer ehemaligen Gießerei in Schmiedeberg, einem Ortsteil der Stadt Dippoldiswalde, betreibt ein Sachverständigenbüro aus Bergisch Gladbach Deutschlands größtes Brandschutzlabor. Dort wurde am 18. August 2016 der Zellenbrand von Dessau nachgestellt - mit einem Dummy aus Mineralwolle, belegt mit Schweinehaut und Fett und bestückt mit Sensoren.

 

Die Daten aus Schmiedeberg sollte ein Schweizer Polizei-Gutachter auswerten. Die Ergebnisse, so hieß es, sollten sechs bis acht Wochen später vorliegen. Veröffentlicht wurde bis heute nichts. Staatsanwalt Olaf Braun teilte in dieser Woche auf Anfrage mit: "Die abschließende Auswertung des Brandversuchs vom 18. August 2016 liegt noch nicht vor. Wir werden das Ergebnis zu gegebener Zeit veröffentlichen."

 

Fast fünf Monate sind vergangen, nichts tut sich - und die Staatsanwaltschaft erklärt auch nicht, warum das alles so lange dauert. In einem ohnehin hochsensiblen Fall befeuert das neuerliche Spekulationen. "Das sieht alles nach zielgerichteter manipulativer Ermittlungsführung aus", sagt Thomas Ndindah, Sprecher der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh. Er hat sich bei anderen Experten erkundigt, wie viel Zeit üblicherweise die Auswertung eines solchen Versuchs in Anspruch nimmt. "Die Datenverarbeitung dauert maximal zwei Wochen." Zusammen mit der wissenschaftlichen Einordnung dürften höchstens zwei Monate vergehen.

 

Rechtsanwältin Beate Böhler, die die Nebenklage vertritt, sagt: "Ich empfinde das als gröblichste Verfahrensverzögerung." Sie hatte der Staatsanwaltschaft ein Ultimatum zur Akteneinsicht gesetzt, um an Daten des Versuchs zu kommen. Die Frist sei verstrichen, sagt sie, erfahren habe sie nichts. "Das gibt Anlass zu überprüfen, ob hier nicht der Anfangsverdacht der Strafvereitelung im Amt besteht." Böhler berichtet von Vorversuchen, deren Existenz ihr der Schweizer Gutachter bestätigt habe, die aber angeblich nicht dokumentiert seien. Zudem habe eine Kollegin schon vor längerer Zeit Aufklärung darüber verlangt, wie die Ermittler mit den offenen Fragen um das Feuerzeug umgehen. Es gebe auch hier fundierte Argumente, die die Selbstentzündungsthese widerlegen, sagt Böhler. Aber: "Die Staatsanwaltschaft meint, nicht darauf reagieren zu müssen."