Die Feindbeobachter

Erstveröffentlicht: 
06.01.2017

Sachsens Verfassungsschutz genießt keinen guten Ruf. Neue Ideen verspricht sich das Amt von jungen Quereinsteigern.

Von Karin Schlottmann

 

Im Januar 2011 regiert das Chaos in Kairo. Gegner und Anhänger von Staatspräsident Husni Mubarak liefern sich Straßenschlachten rund um den Tahir-Platz. Es gibt Tote und Verletzte, die Touristen verlassen in Scharen das Land. Schlägertrupps vagabundieren durch die Hauptstadt und verprügeln Demonstranten, Journalisten, Ausländer. Der Deutsche Tim Lamprecht arbeitet in Ägypten an seiner Doktorarbeit. Mit seiner Frau lebt er seit etwa einem halben Jahr in Kairo – ein idealer Ort für einen Islamwissenschaftler.

 

„Wie die Gesellschaft tickt, begreift man erst in diesen Ländern“, sagt er. Aber die Sicherheitslage wird immer bedrohlicher. „Es war nicht abzuschätzen, was passiert. Die Zustände auf den Straßen waren anarchisch.“ Lamprecht will kein Risiko eingehen, er sorgt sich um seine Frau. Weil plötzlich weder Internet noch Handys funktionieren, fährt das Paar kurzentschlossen zum Flughafen und steigt in das nächste Flugzeug nach Deutschland.

 

Die Ereignisse liegen fünf Jahre zurück. Lamprecht, der in Wahrheit anders heißt, arbeitet jetzt seit gut drei Monaten beim Landesamt für Verfassungsschutz in Dresden. Er ist der erste Islamwissenschaftler in der Behörde, die derzeit 185 Mitarbeiter hat. Nach der Rückkehr nach Deutschland arbeitet er zunächst für einen großen Industriekonzern. Zufrieden war er dort nicht. „Die Erfahrungen in Ägypten haben mich nie losgelassen.“

 

Wer anfängt, Islamwissenschaft zu studieren, denke im ersten Semester nicht unbedingt daran, beim Verfassungsschutz zu arbeiten, sagt er. Aber seit den Anschlägen vom 11. September sind die Sicherheitsbehörden auch für Geisteswissenschaftler wie Nahost-Experten eine ernsthafte Alternative auf dem Arbeitsmarkt. Seit einigen Jahren ist Islamwissenschaft, das einstige Nischenfach, schwer im Kommen. Nicht nur Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen und Forschungsinstitute, auch die Geheimdienste suchen nach Spezialisten für arabische Kultur, Sprache und Gesellschaft. Migration und Flüchtlingsbewegungen haben den Trend weiter verstärkt. Wer Paschtu, Urdu oder Farsi kann, ist auf dem Arbeitsmarkt im Vorteil.

 

Den Bedarf an Expertenwissen hat auch der sächsische Verfassungsschutz erkannt. Islamistische Bestrebungen spielen in Sachsen zwar noch immer eine untergeordnete Rolle. Die größte Bedrohung geht ganz eindeutig von Rechtsextremisten aus. Aber die Zahl der Salafisten nimmt zu. 2014 zählte die Behörde 130 Anhänger, ein Jahr später sind es 170. Akademiker sind im Landesamt immer noch in der Minderheit, obwohl die sogenannte Harms-Kommission nach dem Auffliegen der rechtsextremistischen Terrorzelle NSU die Qualität des Personals kritisiert hatte. Von Bauern und Handwerkern war die Rede. Der Ruf des sächsischen Verfassungsschutzes war hundsmiserabel. Innenminister Markus Ulbig (CDU) konnte die öffentliche Debatte um die Abschaffung der Behörde erst beenden, nachdem er einen grundlegenden Philosophiewechsel versprach.

 

Die 35-jährige Marina Zennler war sehr überrascht, dass sie zum Bewerbungsgespräch eingeladen wurde. Die Historikerin war in einem Internet-Stellenportal für Akademiker über die Stellenanzeige des sächsischen Verfassungsschutzes gestolpert. Zennler, die ihren echten Namen ebenfalls nicht in der Zeitung lesen möchte, arbeitet wie ihr Kollege Lamprecht seit September im Verfassungsschutz. „Ich habe im Bewerbungsgespräch ganz offen gesagt, wie ich politisch einzuordnen bin, nämlich eher grün, links-liberal.“ Das war offenbar durchaus erwünscht. Es gebe einen Wandel innerhalb der Behörde, ein ernsthaftes Bemühen um eine andere Kultur, sagt sie. Dem Verfassungsschutz könne politische Vielfalt nicht schaden.

 

Zennler arbeitet im Bereich Linksextremismus. Mit der Beschaffung und Auswertung von Informationen hat sie nichts zu tun. Sie analysiert Entwicklungen in der linksextremistischen Szene und liefert Prognosen ab. „Wir bekommen Berichte und versuchen, uns ein Bild zu machen, wir gehen der Frage nach, wie wird sich etwas entwickeln.“ Die Arbeit mache ihr großen Spaß. Es gehe eben nicht darum, linke Gesellschaftskritik unter Generalverdacht zu stellen. Die 35-Jährige hat bisher in einer Universität gearbeitet. Offene Debatten, Transparenz, Austausch von Forschungsergebnissen sind Prinzipien der Wissenschaft, also alles in allem das Gegenteil zu den strengen Geheimhaltungsregeln des Verfassungsschutzes. „Das ist hier anders, daran muss man sich gewöhnen“, sagt Zennler diplomatisch.

 

Überhaupt ist hier einiges anders. Bewerber müssen einer langwierigen Sicherheitsüberprüfung zustimmen. Das Handyverbot im Gebäude gilt nicht nur für Besucher, sondern auch für die Mitarbeiter. Auf Kommunikation über die sozialen Netzwerke wie Twitter und Facebook verzichten sie. Die Bezeichnung „Geheimdienst“ sei dennoch falsch, erklärt Lamprecht. „Wir führen keine Operationen im Ausland durch. Wir arbeiten bei einem Nachrichtendienst.“ Trotzdem rät man den Neulingen zu Diskretion. Es muss nicht jeder wissen, wo sie arbeiten.

 

Zennler sagt, enge Freunde hätten kritisch auf ihren Jobwechsel reagiert. Das tut man nicht, heißt es unter Akademikern. Und für Ostdeutsche gelte: Verfassungsschutz gleich Stasi. Lamprecht stammt aus Westdeutschland, die Vorbehalte in seinem privaten Umfeld seien geringer. „In meiner Heimat denken die meisten, es ist gut, das es Leute gibt, die diese Arbeit machen.“ Allerdings hätten viele Menschen ein falsches Bild im Kopf. „Ist es nicht gefährlich?“, sei er gefragt worden. Man könne mir eine Bombe unter das Auto legen. „Ich sage dann immer, es ist nicht so wie im Film. Es ist eher ruhig als gefährlich.“ 

 

Sein erster Fall: Al-Bakr


Dabei dürfte er in seiner Abteilung gleich zu Beginn hektische Arbeitstage erlebt haben. Fragen zum Fall des mutmaßlichen IS-Terroristen Dschaber al-Bakr beantwortet Lamprecht natürlich nicht. Er verweist darauf, was Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesverfassungsschutzes, den Medien erzählt hat. Das Bundesamt hatte Informationen über ein bevorstehendes Attentat erhalten und nach Sachsen weitergeleitet. Der Syrer wurde in Chemnitz tagelang observiert und nach einer schweren Panne der Polizei schließlich festgenommen. Ein Terroranschlag konnte in letzter Minute verhindert werden.

 

Zivildienst in Israel während der Intifada, arbeiten in Ägypten während der Januar-Revolution – Sicherheitsthemen haben in seinem Leben oft eine Rolle gespielt, sagt der Islamwissenschaftler. Dies sei ein wesentliches Motiv für seine Arbeit. Die Menschenrechtslage in Ländern wie Ägypten sei mit Deutschland nicht zu vergleichen. „Ich bin sehr dankbar für das, was wir hier haben“, sagt der 35-Jährige.

 

Auch seine Kollegin beruft sich auf idealistische Motive. Sie ist Dresdnerin und sieht die Stimmung in ihrer Heimatstadt mit Sorge. Populistische Strömungen haben großen Zulauf, das belaste das politische Gemeinwesen. Haben Quereinsteiger überhaupt eine Chance, sich in der Behörde durchzusetzen? „Spannende Frage“, sagt Zennler. „Das kann ich vielleicht in fünf Jahren beantworten.“