Ex-Verfassungsschutz-Chef: Der NSU hatte mit Rechtsextremismus gar nichts zu tun

Erstveröffentlicht: 
16.12.2016

Helmut Roewer ist ein bisschen wie ein Fisch: Er war schon zu seiner Zeit als Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes (von 1994 bis 2000) eine schillernde Figur, und mit dem Alter wird er immer schillernder.

 

Mit jedem Jahr werden die Thesen, die der ehemalige Geheimdienstler gerne auf neurechten Verschwörungsplattformen verbreitet, ein bisschen gewagter. Letztes Jahr zum Beispiel prophezeite Roewer im Interview mit der YouTube-Verschwörungsschleuder "Querdenken-TV", dass die Flüchtlingspolitik demnächst einen bewaffneten Volksaufstand auslösen würde. Das brachte ihm zumindest die zweifelhafte Ehre ein, der erste Ex-Verfassungsschützer zu sein, den der Verfassungsschutz vielleicht beobachten will.

 

Knapp ein Jahr später hat Roewer demselben Kanal jetzt nochmal ein Interview gegeben, in dem er seine ganz eigene Sicht auf die NSU-Morde präsentiert. Das ist insofern besonders interessant, weil Roewer genau zu der Zeit in Thüringen Chef des Verfassungsschutzes war, als das Killer-Trio Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe sich dort radikalisierte und dann untertauchte. Das alles hatte Roewers Behörde völlig verschlafen, obwohl sie zahlreiche V-Leute im Umfeld der Drei beschäftigt und bezahlt hatte—was auch damit zusammenhängen könnte, dass Roewer damals Linksextremismus für die deutlich größere Gefahr hielt.

 

Ein anderer Mann hätte sich vielleicht in Grund und Boden geschämt, wenn herauskommt, dass die größte rechtsradikale Mord- und Terrorserie der Nachkriegsgeschichte genau unter seinen Augen passiert ist. Nicht so Roewer: Während der gesamten Aufarbeitung des NSU-Debakels verhielt er sich maximal unkooperativ, reagierte pampig auf Fragen des Untersuchungsausschusses und vermittelte generell den Eindruck, alle außer ihm seien absolute Idioten. Viel schlimmer konnte man sich in seiner Position gar nicht benehmen, fanden viele—und irrten sich heftig.

 

Denn Roewer hat in seinem neuen Interview jetzt endgültig jede Linie überschritten. In aller Seelenruhe erzählt er dem Moderator in dem Interview mit dem Titel "Das NSU-Märchen" nämlich, ein rechtsextremes Motiv für die Taten sei "denkbar unwahrscheinlich". Stattdessen seien die Morde wohl "ethnisch bedingt", erklärte Roewer. "Also Türken gegen Kurden. Das ist sozusagen mein Hauptverdächtiger." Und vor allem habe seine Behörde damals nichts, aber auch gar nichts falsch gemacht. "Wenn man sich vorstellt, dass möglicherweise eine staatliche Stelle in diese Verbrechen involviert war, dann würde mein Finger, bevor er abfällt, eher in Richtung Türkei zeigen."

 

Das ist so ziemlich die größtmögliche Frechheit, die sich ausgerechnet dieser Mann erlauben konnte. Nachdem bereits völlig außer Zweifel steht, dass der NSU neun Migranten aus rassistischen Gründen ermordet hat, ist dieser Rückfall Roewers in das alte "Döner-Morde"-Erklärungsmuster eine Verhöhnung der Opfer und ihrer Angehörigen.

 

Dass die Morde von den Deutschen Mundlos und Böhnhardt verübt wurden, kann Roewer nur mit einer Verschwörungstheorie erklären: Die seien nur "Auftragsmörder" (etwa für die türkische Regierung?) gewesen, und natürlich hätten sie sich am 4. November 2011 auch nicht selbst umgebracht, sondern sie "wurden ermordet".

 

Das alles ist nach jetzigem Ermittlungsstand absoluter Unsinn, "völlig abwegig", wie es der heutige Verfassungsschutzchef in Thüringen der taz gesagt hat. Trotzdem ist es deutlich mehr als harmlose Spinnerei: Roewer verhöhnt nicht nur die Opfer. Er gibt mit seinen hanebüchenen Thesen auch gefährlichen rechtsextremen Verschwörungstheorien Auftrieb.