Das Auswärtige Amt und die Folterer

Erstveröffentlicht: 
18.11.2016

Finanzierung rechter Sekte in Chile durch deutsche Rentenzahlungen / Auswärtiges Amt nimmt keine Stellung zum Fall der »Colonia Dignidad«

 

Wie Recherchen für die ARD-Dokumentation »Die Sekte der Folterer« ergaben, zahlte das Auswärtige Amt in Chile über Jahrzehnte Renten an Mitglieder der Sekte »Colonia Dignidad« aus. Die deutsche Botschaft in dem südamerikanischen Land hat damit durch aktives Überschreiten der rechtlichen Bestimmungen über 25 Jahre lang die Finanzierung der für ihre Folterpraktiken bekannten deutschen Sekte ermöglicht.

 

Ehemalige deutsche Diplomaten hatten in der Dokumentation erstmals berichtet, dass die Botschaft in Santiago de Chile entgegen der gängigen Praxis die Auszahlungen der Zahlungen aus deutschen Rentenversicherungen ohne Anwesenheit der Beziehenden verlängerte und auf ein Sammelkonto auszahlte. Monatlich bis zu 50.000 Mark sollen so mit Duldung der deutschen Auslandsvertretung an die »Colonia Dignidad« geflossen sein. 

 

Lange Geschichte der Unterstützung


Der Botschaft wird seit langem eine Kollaboration mit der »Kolonie« vorgeworfen. Die Sekte war 1961 ihrem Anführer Paul Schäfer bei der Flucht aus Deutschland nach Chile gefolgt. Während der Militärdiktatur von Augusto Pinochet diente das heute »Villa Baviera« genannte Gelände der Vereinigung auch als Foltergefängnis. Bereits beim Putsch gegen den gewählten Präsidenten Salvador Allende 1973 spielte die Kolonie eine zentrale Rolle. Chilenische Gerichtsurteile belegen inzwischen, dass deutsche Siedler gemeinsam mit dem chilenischen Geheimdienst »DINA« hier dutzende GegnerInnen des faschistischen Regimes foltern und ermorden ließ. Mitglieder der Sekte mussten Zwangsarbeit leisten und wurden mit Psychofarmaka-Medikamenten ruhiggestellt.

 

Der Bundesnachrichtendienst sprach in diesem Zusammenhang schon früh von »KZ-ähnlichen Methoden«. Das sich unter den Mitgliedern der Sekte zahlreiche ehemalige Mitglieder der Gestapo und SS befanden, unterstreicht diese Einschätzung.

 

Laut dem Politologen Jan Stehle, der im Rahmen seiner Promotion zum Thema forscht, liegt eine zumindest passive Unterstützung der Tätigkeiten der Sekte durch Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Chile nahe. »Es gab deutsche Politiker, die eine Militärdiktatur der extremen Rechten einer sozialistischen Regierung in Chile vorzogen. Im Einklang damit wurden Diplomaten geschickt, die mit dieser Linie konform gingen«, so der Politologe im Interview mit der »Deutschen Welle«. 

 

Eine Entschuldigung ohne Folgen


Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hatte sich erst jüngst bei den Betroffenen entschuldigt und Fehler seitens des Auswärtigen Amtes eingeräumt. Zu den jüngsten Vorwürfen bezog aber weder er, noch sein Ministerium Position. Eindeutiger ist da der ehemalige CDU-Abgeordnete Norbert Blüm: »Das war ein saftiges Einkommen für einen Folterapparat, mitfinanziert von der Deutschen Rentenversicherung - ohne ihr Wissen«, so Blüm in der ARD-Dokumentation.

 

Die Frage nach der Finanzierung durch das Auswärtige Amt bleibt indes nicht die einzige unbeantwortete Frage. Der Politologe Stehle forderte deshalb eine umfassende Finanzierung von Forschung zur »Colonia Dignidad« und ihren Verwicklungen. Auch eine Öffnung der BND-Archive sei von Nöten, um die Rolle des BND-Agenten, Waffenhändlers und aktiven Neonazis Gerhard Mertins in den Verflechtungen um die Sekte aufzuklären. Mertins, ehemaliges Mitglied der Waffen-SS, stand im engen Kontakt mit Paul Schäfer und wickelte Waffengeschäfte über die Colonia Dignidad ab. Bei der Auflösung der »Villa Baviera« wurde zudem ein großes Waffenlager ausgehoben. Um diese Forschungen zu ermöglichen, bräuchte es aber politischen Druck, so Stehle.

 

Der Politologe Stehle forderte deshalb eine umfassende Finanzierung von Forschung zur »Colonia Dignidad« und ihren Verwicklungen. Auch eine Öffnung der BND-Archive sei von Nöten, um die Rolle des BND-Agenten, Waffenhändlers und aktiven Neonazis Gerhard Mertins in den Verflechtungen um die Sekte aufzuklären. Mertins, ehemaliges Mitglied der Waffen-SS, stand im engen Kontakt mit Paul Schäfer und wickelte Waffengeschäfte über die Colonia Dignidad ab. Bei der Auflösung der »Villa Baviera« wurde zudem ein großes Waffenlager ausgehoben. Um diese Forschungen zu ermöglichen, bräuchte es aber politischen Druck, so Stehle.

 

Klare Forderungen an die Bundesregierung für den weiteren Umgang mit der eigenen Verantwortungen formulierte auch Jan Korte von der LINKEN: »Es ist Zeit, Verantwortung zu übernehmen und die Beteiligung des deutschen Staats am Betrieb der Folter- und Unterdrückungskolonie komplett und ohne Vorbehalte aufzuklären. Die Aufarbeitung sollte übrigens nicht nur Arbeit von Historikern, sondern auch von Gerichten sein«, so der Bundestagsabgeordnete gegenüber der Huffington Post.