Rechte Gewalt: BKA fürchtet Tote durch Angriffe von rechts

Erstveröffentlicht: 
13.11.2016

Kein Ende der Gewalt: Täglich greifen Rechtsextremisten Flüchtlingsheime, Politiker und Helfer an. Das Bundeskriminalamt warnt vor neuen Terrorgruppen.

 

Im vergangenen Jahr, als immer häufiger Steine und Brandsätze auf Flüchtlingsheime flogen, bekam das Bundeskriminalamt (BKA) einen zusätzlichen Auftrag. Es sollte künftig auswerten, was Menschen widerfährt, wenn sie sich für Flüchtlinge einsetzen, sei es als Politiker oder als ehrenamtliche Helfer. Das Ergebnis ist erschreckend: Das Bundeskriminalamt zählte seit Jahresbeginn bereits 317 (allein asylpolitisch motivierte) Straftaten gegen Politiker. Das war etwa ein Angriff pro Tag.

 

Nachzulesen ist das im aktuellen Lagebild des Bundeskriminalamts zu Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte, das ZEIT ONLINE einsehen konnte. Die detaillierte Auswertung des BKA ergibt ein eindeutiges Bild: Nur neun der Straftaten gegen Politiker gingen auf das Konto von linken Tätern, 93 Taten konnten keiner Person oder Seite zugeordnet werden. Die Mehrheit, insgesamt 212 Angriffe auf Amts- und Mandatsträger, wurde von Rechten verübt.

Hinzu kamen 144 Straftaten gegen ehrenamtliche Helfer oder Organisationen, die sich für Flüchtlinge einsetzen. Lediglich eine dieser Taten, eine Brandstiftung, wurde laut BKA von linken Tätern begangen, dafür 127 Delikte von rechten. 

 

Keine Entwarnung


Nur noch selten schafft es ein rassistischer Angriff in die Abendnachrichten. Doch als gutes Jahr wird auch 2016 nicht in die Statistik rechter Gewalt eingehen. Das BKA zumindest sieht keinen Grund zur Entwarnung.

 

Seit Anfang 2014 analysiert das Bundeskriminalamt alle Angriffe auf Asylunterkünfte. In der Zentralstelle in Meckenheim werden dazu die Zahlen der Polizeistellen aller Bundesländer gesammelt, anschließend wird daraus alle drei Monate ein sogenanntes Lagebild erstellt.

 

Das neueste, elfte Lagebild der Behörde spiegelt unterschiedliche, komplexe Entwicklungen wider. Insgesamt gehen die Fallzahlen seit dem Frühjahr zwar wieder ähnlich deutlich zurück, wie sie im Verlauf des vergangenen Jahres angestiegen waren. In der Summe dürfte die Zahl rechter Straftaten auf Flüchtlingsunterkünfte aber auch in diesem Jahr nicht wesentlich niedriger ausfallen als im Rekordjahr 2015. Diese Tendenz lässt sich aus der Statistik der ersten drei Quartale 2016 ablesen. 

 

Weniger Brandanschläge, mehr Körperverletzungen


Anders als die inzwischen geringe öffentliche Aufmerksamkeit vermuten lassen würde, verzeichnete das BKA 2016 bisher in der Summe sogar etwas mehr versuchte Tötungen und Körperverletzungsdelikte als im Vorjahr: Während 2015 noch insgesamt vier versuchte Tötungen und 60 Körperverletzungen gezählt worden waren, hat die Polizei bis Oktober 2016 schon sechs versuchte Tötungen und 61 Körperverletzungen registriert.

 

Die Brandanschläge hingegen gingen in den vergangenen Monaten stark zurück. Ihre Zahl fiel von 19 im Januar auf zwei im September. Nach Ansicht der Fachleute im Bundeskriminalamt ist es der Mehrheit der Täter inzwischen allerdings egal, ob eine attackierte Flüchtlingsunterkunft bewohnt ist oder nicht.

Es müsse "in Einzelfällen auch mit Tötungsdelikten gerechnet werden", warnt das BKA in seiner aktuellen Analyse. Das BKA, so kann man das Lagebild lesen, sieht es nachgerade als Wunder an, dass bei den vielen Angriffen der vergangenen Monate noch niemand ermordet wurde. 

 

Sorge vor weiteren Terrorzellen


Die Gefahrenbewertung der Fachleute hat sich daher vor allem in einem Punkt fundamental verändert. Bis vor einem halben Jahr schrieb das BKA, dass die rechte Szene mit dem Thema Asyl einen Weg gefunden habe, um bislang verfeindete Gruppen zu vereinen. Die Kriminalisten sahen zwar ein "Mobilisierungspotenzial", gingen aber vor allem von lokalen Angriffen auf Asylbewerber, nicht von größeren Strukturen aus.

 

Eine bundesweit gesteuerte Strategie können die Analysten noch immer nicht erkennen. Doch warnen sie nun davor, dass unter anderem wegen der "hohen Straftatendichte in einzelnen Regionen" inzwischen "nicht nur schwerste Gewaltstraftaten durch Einzeltäter oder Kleinstgruppen, sondern auch die Bildung terroristischer/krimineller Gruppen innerhalb des rechten Spektrums in Betracht gezogen werden müssen". Terrorzellen also.

 

Die Ereignisse der vergangenen Wochen belegen, dass das Bundeskriminalamt die Bildung terroristischer Strukturen zurecht fürchtet. Gerade erst hat die Bundesanwaltschaft die sogenannte Gruppe Freital als terroristische Vereinigung angeklagt. Sie soll die Kleinstadt bei Dresden monatelang terrorisiert und unter anderem zwei Flüchtlingsunterkünfte angegriffen haben.