Bautzen: Es musste eskalieren

Erstveröffentlicht: 
16.09.2016
"Scheiß-Ausländer", "Scheiß-Nazis": Die Gewalt zwischen Rechten und Flüchtlingen in Bautzen ist der Höhepunkt wochenlangen Streits in der Stadt. Wer ist verantwortlich?

Von Doreen Reinhard, Bautzen

 

Schläge, fliegende Flaschen, Beleidigungen: In Bautzen haben sich Rechte mit Asylbewerbern geprügelt und sie danach durch die Stadt gejagt. Die Gewalt ist der Höhepunkt längerer Spannungen in der sächsischen Stadt. Doch wer hat angefangen?

 

Auf diese Frage kriegt man in Bautzen am Tag nach den Übergriffen zwei Antworten. Welche hängt davon ab, wo man fragt: Auf dem Kornmarkt, von den meisten einfach nur Platte genannt, wo sich die jungen Flüchtlinge treffen. Oder an der Halbkugel, so heißt eine Skulptur, nur ein paar Meter entfernt, direkt vorm Eingang eines Einkaufszentrums; hier hängen Jugendliche aus Bautzen herum. An der Halbkugel heißt es: "Die Scheiß-Ausländer provozieren immer." An der Platte sagen sie: "Stimmt nicht, die Scheiß-Nazis haben angefangen."

 

Seit Monaten sitzen sie sich gegenüber, tage- und nächtelang, auf beiden Seiten fließt reichlich Alkohol. Sie schimpfen übereinander, sie zeigen aufeinander, immer mal mit Stinkefingern, auch da ist keine Seite besser als die andere. Zumindest das sieht man in beiden Lagern ähnlich: Die Lage hat sich in den letzten Monaten zugespitzt. Irgendwann musste es eskalieren.

 

Am Mittwochabend, kurz vor 21 Uhr, gingen bei der Polizei gleich mehrere Notrufe ein. Anwohner meldeten: Krawall auf dem Kornmarkt. Verbale und tätliche Auseinandersetzungen zwischen 80 Personen aus dem rechten Spektrum und etwa 20 minderjährige Flüchtlinge, so steht es später im Polizeibericht. Die erste Flasche flog von Seiten der Asylbewerber. 

 

45 bis 90 Minuten Chaos


Der Bautzener Polizeichef Uwe Kilz, eigentlich schon im Feierabend, genauer gesagt zu Hause unter der Dusche, musste mal wieder zu Überstunden ausrücken, mit ihm rund 100 Beamte, unter anderem von der Bundespolizei und dem Operativen Abwehrzentrum, die als eilige Verstärkung nach Bautzen geschickt wurden.

 

Die Polizisten brauchten Stunden, um die beiden Lager zu trennen, dafür benutzten sie "aus Notwehr" Pfefferspray und Schlagstöcke. Aus der Gruppe der Asylbewerber flogen Flaschen, Holzlatten und andere Gegenstände, auch auf die Beamten.

 

Als die Asylbewerber den Markt verließen, folgten ihnen die Rechten und brüllten "Wir sind das Volk" und "Unser Markt bleibt deutsch". Später erklärt Polizeichef Kilz: "Ich würde nicht von Anarchie sprechen, aber es waren zumindest 45 bis 90 chaotische Minuten." Erst weit nach Mitternacht war die Situation halbwegs beruhigt. 

 

Quatschen, Trinken, Posen

 

Am Tag danach ist in Bautzens Innenstadt eigentlich alles wie vorher: Im Sonnenschein sitzen sich die Lager wieder gegenüber, jedes für sich diskutiert den nächtlichen Ausbruch. Jonas und Melanie, 17 und 18 Jahre alt, gehören zur Halbkugel-Fraktion, beide sind gerade arbeitslos, ihre Zeit verbringen sie oft am Einkaufszentrum. Sie waren in der Nacht dabei, auf Seiten der rechten Clique, die die Flüchtlinge durch die Stadt jagte.

 

"Die Ausländer haben vorher ständig provoziert. Einer hat zu mir gesagt: 'Ich ficke deine Mutter' und ist dann auf mich losgegangen", sagt Jonas. "Seit Wochen geht das so", sagt Melanie. "Wir wollten ihnen einfach mal ein bisschen Angst machen und zeigen, dass uns diese Stadt gehört."

 

Meist trifft sich ihre Truppe schon nachmittags, zum Quatschen, Trinken, zum halbstarken Herumposen, zu dem seit einer Weile auch das gemeinsame Feindbild gehört: die Ausländer gegenüber. "Die benehmen sich hier einfach tierisch daneben", sagt Kevin. Und Sandro ärgert sich: "Leider bin ich gestern zu spät zur Jagd dazugekommen." 

 

"Fuck Nazis"

 

An der Platte hat man ebenfalls klare Gegner. "Fuck Nazis", sagt Mehdi, ein 18-jähriger Marokkaner. "Die beschimpfen uns, dagegen wehren wir uns." Er zeigt auf den Verband an seinem Arm, in der Nacht zuvor wurde er verletzt und ins Krankenhaus gebracht. Wie er in die Auseinandersetzung verwickelt war, wie es zu der Stichwunde gekommen ist – so genau kann er das nicht mehr sagen. "Die Polizei hat mich mit Pfefferspray attackiert, plötzlich konnte ich nichts mehr sehen." Danach habe einer der Rechten ihn mit einem Messer verletzt, sagt Mehdi.

 

Buchstäblich zwischen beiden Lagern, genau in der Mitte zwischen Platte und Halbkugel, sitzt Janis und isst einen Burger. Die 18-Jährige hat die Nase voll vom Streit. Auch sie sei früher bei den Bautzener Rechten dabei gewesen, sagt Janis, später wurde sie Punkerin. Heute spricht sie mit beiden Seiten, will aber zu keiner mehr gehören. "Dass die Rechten sich zu so einer großen Gruppe zusammenrotten und Ärger machen, finde ich doof. Aber dass sie sich manchmal provoziert fühlen, wenn sich die Asylis mal wieder profilieren wollen, kann ich auch verstehen. Die werden gleich so gewalttätig, mit abgebrochenen Flaschen und so." 

 

Dauerthema für die Polizei

 

Bereits 72 Mal musste die Polizei seit diesem Frühjahr zu Einsätzen auf dem Kornmarkt anrücken. Der Platz wird längst als Brennpunkt geführt, intern jedenfalls. Offiziell tut man sich noch schwer mit solchen Kategorien. Schon wieder ist Bautzen in den Schlagzeilen, schon wieder handeln diese auch von rechten Übergriffen. Man kann sich hier kaum ein schlimmeres Déjà-vu vorstellen. 

 

Erst im Februar hatten teils betrunkene Schaulustige bei einem vorsätzlich gelegten Feuer in einer künftigen Flüchtlingsunterkunft mit unverhohlener Freude zugesehen, einige hatten die Löscharbeiten behindert.

 

Im März war Bundespräsident Joachim Gauck bei einem Rundgang durch die Stadt als "Volksverräter" beschimpft worden.

 

Die Stadt ist mittlerweile krisenerfahren, das heißt auch: Man hat dazu gelernt und reagiert auf die neuesten Eskalationen mit einer zügig anberaumten Pressekonferenz. Sämtliche Ansprechpartner von Stadt, Polizei und Landkreis sind dazu beordert. "Wir wollen auf die Ereignisse schnell reagieren, damit sie sich nicht durch die sozialen Netzwerke verbreiten, auf die wir keinen Einfluss mehr haben", sagt ein Stadtsprecher. Die Verbreitung läuft allerdings auch auf genug anderen Kanälen. Bautzen plus rechte Randale, diese Schlagworte sorgen für einen medialen Massenauflauf, auch das kennt man hier inzwischen. Die Stadt ist vollgestopft mit Reportern und Übertragungswagen. 

 

Der Bürgermeister wird niedergebrüllt

 

Bei der Pressekonferenz fällt ein Kürzel besonders häufig, es geht viel um "die umAs" – um unbegleitete minderjährige Ausländer. Insgesamt 2.500 Flüchtlinge leben derzeit im Landkreis Bautzen, darunter etwa 180 minderjährige Flüchtlinge. 30 von ihnen sind in der Stadt Bautzen untergebracht. "Wir haben kein generelles Problem mit den umAs, aber es gibt Auffälligkeiten", sagt Uwe Witschas, erster Beigeordneter des Landkreises. Einige seien schon vor dem Mittwochabend immer wieder durch Provokationen aufgefallen, vier der "Rädelsführer" wurden nach den jüngsten Vorfällen in andere Unterkünfte verlegt.

 

Ansonsten herrscht Hilflosigkeit, wie man auf die Ereignisse reagieren soll. Von mehr Kontrollen in der Stadt ist die Rede und von intensiverer Sozialarbeit, eine Instanz schaut verlegen zur anderen. "Erst sollten alle umAs verlegt werden, aber dieser Plan ist wieder gestoppt worden. Wir müssen uns hier vor Ort damit beschäftigen und können das Problem nicht einfach abgeben", sagt Uwe Witschas. "Wir sind ja jetzt quasi die Erziehungsberechtigten – als Unterbringungs- und Betreuungsbehörde."

 

Man denke auch über Strafen für die minderjährigen Flüchtlinge nach, ein Alkoholverbot in der Unterkunft wurde ausgesprochen. Sollte man auch über ein generelles Alkoholverbot im Zentrum sprechen? Die Zustimmung von Polizeichef Uwe Kilz hätte dieser Vorschlag jedenfalls, denn auch am Donnerstagabend eskaliert es im Zentrum, wieder rücken Busladungen mit Polizisten an. 

 

Ein Mob gegen den Bürgermeister


Auf dem Kornmarkt sammeln sich nach Einbruch der Dunkelheit etwa 300 Menschen. Bierdunst hängt in der Luft. Mitten auf dem Platz steht der Bautzener Bürgermeister Alexander Ahrens, der eigentlich auf Dienstreise in Düsseldorf war, ausgerechnet bei einer Konferenz zum Thema "Lebendige Stadt". Als er vom Chaos in der Heimat erfuhr, kehrte er zurück, um sich persönlich auf dem Kornmarkt zu positionieren.

 

Der Bürgermeister wiederholt in Dutzende Kameras und Mikrofone die gleichen Worte, er sei entsetzt und besorgt über die Zustände, man werde sich um Streetworker und mehr Streifen bemühen. Und: Bautzen dürfe nicht zum Spielplatz von gewaltbereiten Rechten werden.

 

Genau die kreisen ihn aber nun ein. Die Jugendlichen von der Halbkugel sind dabei, das lokale Trinkermilieu, dazu Nazis, örtliche und angereiste. Es kommt zu erbärmlichen Szenen. Ahrens wird niedergebrüllt – vor laufenden Kameras, die TV-Präsenz stachelt einige in ihrer Wut regelrecht an. 

 

Zusätzlich kreisen Dutzende Smartphones, manche streamen die Ausbrüche live ins Netz. "Scheiß Bürgermeister, was machst du eigentlich für uns?", schreit ein Mann in einem Shirt, bedruckt mit Reichsflagge und in Springerstiefel. Ein anderer tobt: "Du blöde Schwuchtel. Du hast doch so einen guten Draht zur Merkel. Dann kümmere dich mal." Ahrens bleibt ruhig. Er bietet sogar denen Antworten an, die eigentlich kaum noch etwas verstehen, weil sie viel zu betrunken sind. Ernsthafte Gespräche suchen hier nur wenige, die meisten wollen nur Aggressionen loswerden, es geht ums pure Beleidigen. Flüchtlinge sind nicht zu sehen. Zumindest dieser Abend ist ein rein deutsches Problem.