Brandanschlag in Meißen - Wie tickt die Stadt ein Jahr nach dem Anschlag?

Erstveröffentlicht: 
06.07.2016

Vor einem Jahr brannte in Meißen eine noch unbewohnte Asylunterkunft. Der traurige Höhepunkt in einer Reihe von fremdenfeindlichen Aktionen: Wochenlang zog die rechte "Initiative Heimatschutz" durch die Straßen, es gab Morddrohungen gegen Meißner Bürger, die Flüchtlingskrise spaltete Familien, Freundeskreise und Unternehmen. Inzwischen sind die Brandstifter verurteilt, lange war nichts zu hören aus der 27.000-Einwohner-Stadt. Sind die Wunden geheilt?

von Lydia Jakobi, MDR AKTUELL

 

Ingolf Brumm steht auf seiner Terrasse über dem Elbtal und schaut hinunter auf die weinbewachsenen Hänge. Ein Ausflugsdampfer schippert vorbei. Meißen ist bei Touristen nach wie vor beliebt. Dass rechte Kreise hier über Monate gegen Zuwanderer gehetzt haben, ändert daran nichts.

 

Bauunternehmer Brumm hingegen kann das nicht vergessen. Er ist der Eigentümer der Asylunterkunft, die damals in Flammen aufging. Nach dem Anschlag wurden Fotos von ihm und seiner Frau im Netz veröffentlicht, Unbekannte schlichen um sein Haus, es habe anonyme Drohbriefe gegeben, sagt er: "Mit den Bedrohungen selber kann man langsam leben. Aber es hat seine Zeit gebraucht. Es ist nicht aus der Welt zu bringen. Man geht auch mit den Leuten anders um, man schätzt manche anders. Es ist eine komplizierte Situation, in die man da hineingeraten ist." 

 

Es gibt nur "gut oder böse"


Ingolf Brumm, Mitte Fünfzig, ruhig und bedacht im Auftreten, spricht auffallend sachlich über das, was er durchmachen musste. Nach außen wirke es zwar so, als sei Meißen zur Ruhe gekommen. Doch Schönmalen möchte er nicht: "Die Meinungen gehen nach wie vor auseinander. Es ist ruhiger geworden, es wird nicht mehr so aggressiv auf die Straße getragen. Aber es gibt weiterhin nur gut oder böse, schwarz oder weiß. Das ist nicht ohne weiteres zu kitten." 

 

Oberbürgermeister hebt Positives hervor


Meißens Oberbürgermeister Olaf Raschke gibt sich optimistischer. In den vergangenen Monaten wich er Journalisten häufig aus. Nun betont er, welche Anstrengungen die Stadt unternommen hat, um wieder Frieden herzustellen. Es habe Bürgersprechstunden gegeben und runde Tische. Der Bundesinnenminister sei dagewesen und der sächsische Ausländerbeauftragte, sagt Raschke: "Nach anderthalb Jahren hat sich vieles geebnet. Es haben sich viele Fragestellungen geklärt, die am Anfang durchaus berechtigt waren. Aus der Überforderung ist ein Stück Normalität geworden."

 

Das liegt nicht zuletzt daran, dass sämtliche Erstaufnahmeeinrichtungen inzwischen geschlossen sind. 600 Asylsuchende leben jetzt noch hier, in Wohnungen in der ganzen Stadt verteilt.

 

Die fremdenfeindliche "Initiative Heimatschutz" hat ihren Protest – zumindest auf der Straße - eingestellt. Das sei aber weniger ein Verdienst der Politik, sagt Tilo Hellmann vom Bündnis Buntes Meißen: "Die Dramatik des Problems ist tatsächlich nicht in den obersten Etagen angekommen. Es wurde zwar gesprochen, aber auch ganz oft verniedlicht nach dem Motto: Ja, das waren Einzeltäter. In anderen Städten wie in Bautzen hat sich der Bürgermeister tatsächlich die Speerspitze der Gegenbewegung gestellt und gesagt hat: 'Ja, wir haben ein Problem und dem stellen wir uns auch als Stadtverwaltung.' Das hatten wir hier in Meißen nicht." 

 

Viele Ehrenamtliche übernehmen Verantwortung


Der Herausforderung Integration stellen sich andere: Dutzende Ehrenamtliche kümmern sich um die Geflüchteten. Tilo Hellmann hat "manchmal eben auch so Erlebnisse, wo sie dann von 'unseren Flüchtlingen' sprechen, die sich dann eben auch ein bisschen verantwortlich fühlen. Das ist dann schön zu sehen."

 

Auch Ingolf Brumm engagiert sich trotz aller Anfeindungen weiter für ein vielfältiges Meißen. Gerade hat er eine Irakerin in seinem Unternehmen eingestellt. Die Kommunikation sei noch schwierig, aber man komme gut miteinander aus.