Donnerstagsdiskurs zum Fall Rauscher - Meinungsfreiheit? Bitte keine Inhalte.

Erstveröffentlicht: 
29.04.2016

Eigentlich wollte die Universität Leipzig über Meinungsfreiheit und deren Grenzen diskutieren. Neben diversen Experten für dieses Thema hatte sie dazu auch den Jura-Professor Thomas Rauscher aufs Podium gebeten. Doch ausgerechnet über dessen neurechte Twitter-Einträge sollte nicht geredet werden. Am Ende wurde es eine Diskussion mit etwa 800 Besuchern, aber ohne echten Inhalt.

 

Wenn Österreichs Bürger die rechtspopulistische FPÖ wählen, wollen sie „einfach nur ihre Heimat behalten“, die Whistleblower hinter den Panama Papers sind „Denunzianten“ und „Millionen aus fremder Kultur zerstören Deutschland“. Äußerungen wie diese tätigte der Leipziger Uni-Professor Thomas Rauscher in den vergangenen Wochen zuhauf. Bereits Anfang Februar waren Studenten und Journalisten auf seinen dafür genutzten Twitter-Account aufmerksam geworden. Der Uni-Stura bezeichnete die Inhalte als hetzerisch und völkisch. Kurz darauf berichtete auch die „Zeit“. Die AfD stellte sich an seine Seite und bezeichnete die Kritik an den Äußerungen als „Meinungshetze“.

 

Die Universität nahm diese Auseinandersetzungen nun zum Anlass für eine Podiumsdiskussion, die sie im Rahmen ihrer Reihe „Donnerstagsdiskurs“ durchführte. Ursprünglich widmeten sich die Diskussionsrunden vor allem Legida, später aber auch anderen Themen. Am jüngsten Donnerstagsdiskurs unter dem Titel „Meinungsfreiheit – Wo beginnt sie, wo endet sie?“ nahmen neben Rauscher unter anderem Uni-Rektorin Beate Schücking und Stura-Antirassismusreferent Tarek Abdel Al Mohamed Hassan teil.

 

Die Diskussion kreiste zunächst um die Fragen, was Meinungsfreiheit eigentlich bedeutet, in welchem Maße ein Hochschullehrer politisch twittern sollte und ob die Rektorin einer Universität zur Teilnahme an Anti-Legida-Demonstrationen aufrufen durfte. Schücking verteidigte diese im vergangenen Jahr getroffene Entscheidung, die die Unterstützung der übrigen Rektoratsmitglieder sowie des Senats gehabt hätte. Die Universität stehe für Weltoffenheit und habe den Auftrag, diese auch zu fördern. Dies könne auch geschehen, indem man jenen die Stirn biete, die andere Menschen ausgrenzen wollen. Rauscher sah das anders: „Zu einer Demonstration aufzurufen, überschreitet die Grenze.“

 

Schücking parierte sauber durch und wies einerseits darauf hin, dass es sich hier nicht um eine Anweisung innerhalb der Universität gehandelt habe, zu einer Demonstration gegen Legida zu gehen und betonte unter Beifall der rund 800 überwiegend studentischen Gäste, dass auch eine Universität eine gewisse politische Rolle habe. So wäre es zum Beispiel ganz normal, wenn sich die Hochschulleitung auch für mehr Mittel in der Bildung gegen die Staatsregierung in Sachsen stelle.

 

Auch an anderer Stelle sah Rauscher eine Grenze überschritten: im Umgang mit seinen Meinungsäußerungen. Kritik an seinen Positionen sei zwar legitim und Diskussionen würde er sich stellen. Doch dass er die Stelle des Auslandsbeauftragten an der Juristischen Fakultät verloren hat, sei ganz klar politisch motiviert. Teile des Publikums konfrontierten ihn mit verschiedenen sexistischen Äußerungen, die er während seiner Vorlesungen geäußert haben soll. In einem Fall sah er sie aus dem Kontext gerissen, in einem anderen Fall bestritt er, die Menstruation von Frauen thematisiert und darum gebeten zu haben, dass sich diese in eine hintere Reihe setzen sollten.

 

Versuche, genauer darauf einzugehen, ob seine Tweets noch von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, wurden von der teils inhaltlich überfordert wirkenden Moderation immer wieder mit dem Hinweis unterbunden, dass es nicht um die konkreten Inhalte gehen solle. Ob man hier versuchte, eine eventuell drohende juristische Auseinandersetzung im Nachgang zu umgehen, blieb offen. Die Diskussion selbst blieb jedoch gerade deshalb weitgehend an der Oberfläche, zumal die Ausgangsfrage recht schnell dahingehend beantwortet war, dass erlaubt sei, was vom Grundgesetz gedeckt beziehungsweise von Gerichten als zulässig bewertet werde.

 

Ob es neben der rechtlichen auch eine moralische Dimension der Bewertung von Meinungsfreiheit geben sollte, war hingegen selten Gegenstand der Diskussion. Ein Zuhörer warf etwa ein, dass es eine Frage der Verantwortung sei, wenn man in Zeiten, in denen „so viele Flüchtlingsheime brennen wie noch nie“, Stimmung gegen Geflüchtete mache. Rauscher konterte: „Ich handle aus tiefster Verantwortung – für mein Land.“ Das gefiel nicht allen im Publikum. Mit Worten wie „Unterdrückungskomplex“ und „Diskriminierungswahn“ stieß Rauscher einmal mehr an die Grenzen der Meinungsfreiheit für so manchen im Saal.

 

Am Ehesten funktionierte die Diskussionsrunde sowieso als Metaveranstaltung zum Thema Meinungsfreiheit: Ist es gegen oder gerade Teil ebenjener, wenn bestimmte Äußerungen mit Buh-Rufen quittiert oder mit Sätzen wie „Das ist scheiße“ kommentiert werden? Oder ist es nur eine Frage der richtigen oder falschen Diskussionskultur?

 

In absehbarer Zeit möchte Rektorin Schücking eine weitere Podiumsdiskussion zum Thema Meinungsfreiheit durchführen, dann speziell unter dem Aspekt der Diskriminierung. Womöglich wird dann darüber geredet, was genau eigentlich diskriminierend ist und ob ein diskriminierender Tweet überhaupt eine zulässige Meinungsäußerung darstellen kann. Genau diesen Fragen wollten die Organisatoren in der ersten Runde leider nicht nachgehen. Es wäre die notwendige Grundlage für eine erkenntnisreiche Diskussion gewesen. Sie hätte auch den Raum für Fakten geöffnet, welche an diesem Abend Mangelware blieben und deren Fehlen es vor allem Dr. Rauscher leicht machten, Meinung und Realität weiter munter zu mischen.