Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2015 - Innenminister spielt weiter Rechts-Links, Opposition erklärt Verfassungsschutz zum Spätzünder

Erstveröffentlicht: 
27.04.2016

Am Dienstag, 26. April, stellten Innenminister Markus Ulbig (CDU) und der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV), Gordian Meyer-Plath, den sächsischen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2015 vor. Dabei nahm vor allem der Innenminister den Mund ziemlich voll. „Der Verfassungsschutz schützt unsere Demokratie“, meinte Markus Ulbig.

 

Und verfiel ohne einen Moment des Zögerns in sein altes Links-rechts-Geklapper. Dabei kam regelrechter Unsinn heraus.

 

„Im vergangenen Jahr war insbesondere die Asyldebatte eine starke Antriebskraft für links- und rechtsextremistische Bestrebungen im Freistaat. Auch deshalb bleiben beide Phänomenbereiche Beobachtungsschwerpunkte. Mit Sorge verfolgen wir, dass Extremisten zunehmend Gewalt einsetzen – gegen Asylbewerber, ihre Unterkünfte, ihre Betreuer und gegen Institutionen unseres Rechtsstaates wie beispielsweise unsere Polizisten“, sagte er. Obwohl der Bericht eindeutig von der rechtsextremen Gewalt gegen diese Einrichtungen spricht.

 

Eigentlich ist ein Minister, der selbst die in so einem Bericht nachlesbaren Tatsachen derart verdreht, längst nicht mehr tragbar. Selten war so deutlich in einem Verfassungsschutzbericht nachlesbar, wie falsch die von Sachsens CDU-Spitze gepflegte Extremismus-Theorie ist. Für Ulbig aber bietet sie die Grundlage für schiere Kraftmeierei: „Diese Angriffe verurteilen wir aufs Schärfste. Der Staat wird entschieden durchgreifen, Täter ermitteln und bestrafen.“

 

Je stärker der Rechtsstaat auftrete, umso wirkungsvoller könnten Extremisten abgeschreckt und enttarnt werden, so Ulbig.

 

Das ist im Frühjahr 2016 natürlich Quatsch mit Soße, nachdem Ulbig jahrelang tatsächlich die Schwächung und Ausdünnung der sächsischen Polizei unterstützt und vorangetrieben hat.

 

Entsprechend saftig war dann die Kritik am Minister noch am selben Tag.

 

Ulbig hat den radikalen Rechtsextremismus im Land viel zu lange ignoriert


Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion: „Dem Rechtsruck in der sächsischen Gesellschaft steht der Innenminister schulterzuckend und hilflos gegenüber. Weder hat er Konzepte, diesem zu begegnen, noch gelingt es ihm, das Phänomen der sogenannten asylfeindlichen Bewegung mit tauglichen Begriffen zu beschreiben. Die Warnung an die sogenannten besorgten Bürger, nicht den Naziideologien auf den Leim zu gehen, wird ungehört verhallen.“

 

„Die reinen Zahlen sprechen eine klare Sprache. Mehr als zehn Prozent aller Rechtsextremen in Deutschland leben in Sachsen. Und hier hat sich die subkulturell geprägte Szene mit losen Strukturen fast verdoppelt. Wie gefährlich aber genau diese Verbindungen ohne ideologischen Überbau sind, hatten der Innenminister und der Verfassungsschutz nicht auf dem Schirm und auch nicht im Visier. Jedenfalls zeigte sich der Verfassungsschutz von den gewalttätigen Angriffen in Heidenau, an denen sich auch der in Haft sitzende Timo S. beteiligte, und auch den Angriffen von Hooligans in Leipzig-Connewitz überrascht.“

 

„Ich fordere den Innenminister auf, stärker gegen politisch motivierte Gewalt vorzugeben und wirksame Maßnahmen gegen die weiter Radikalisierung der Gesellschaft zu ergreifen.“

 

Hinter „asylkritischem Protest“ stecken immer Rechtsextreme


Henning Homann, Sprecher für demokratische Kultur der SPD-Fraktion: „Ich warne davor, zwei Monate nach Clausnitz und Bautzen wieder in alte Denkmuster zu verfallen und letztendlich die Gefahr von rechts zu verharmlosen. Die flächendeckend steigende Anzahl rechtsextremer Straftaten und Aktivitäten ist ein mehr als deutliches Alarmsignal. Wer Terrorermittlungen belächelt, bagatellisiert die Gefahr solcher Gruppierungen. Dass Ursachen für Nazi-Umtriebe in Sachsen liegen, ist eine bittere Wahrheit.

 

Wir brauchen einen starken Sozialstaat, eine starke Zivilgesellschaft und eine Haltung auf allen Ebenen, die die im Verfassungsschutz beschriebenen Tatsachen gar nicht erst entstehen lassen. Dies muss nun endlich ohne Ausreden und Relativierung angepackt werden.“

 

Albrecht Pallas, Sprecher für Innenpolitik der SPD-Fraktion: „Der Bericht macht deutlich, dass es keinen sogenannten asylkritischen Protest ohne Beteiligung bekannter Rechtsextremer gibt. Dazu müssen wir von einer großen Anzahl von Menschen mit rechtsextremer Gesinnung in diesen Gruppen ausgehen, die bisher nicht im Blick der Sicherheitsbehörden sind. Insofern sehe ich es als Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz an, diese Gruppen insgesamt und nicht nur die bekannten Rechtsextremisten in den Blick zu nehmen.“

 

Auffällig sei zudem die Entwicklung der militanten linken Szene in Leipzig: „Hier hat sich eine äußerst gewaltbereite Gruppe von ca. 190 Personen herausgebildet, die tatsächlich autonom von anderen Gruppierungen mit einem hohen Grad an Organisation und Abschottung viele schwere Gewaltstraftaten gegen die Polizei oder Andersdenkende verübt. Diese Gruppierung muss die Aufmerksamkeit aller Sicherheitsbehörden haben. Schließlich spielt sie bundesweit mit der Szene in Berlin und Hamburg in einer Liga“, so Pallas.

 

Gleichzeitig müsse sich das Landesamt für Verfassungsschutz zukünftig stärker um einen differenzierten Blick auf politisch linke aber bürgerliche Gruppierungen bemühen. „So ist es für mich unverständlich, dass die ‚Herz statt Hetze‘-Demonstration in Dresden am 19. Oktober 2015 als linksextreme Demonstration gilt, weil sie auf einem Teil der Aufzugstrecke von gewaltbereiten Autonomen als Deckung genutzt wurde. Nach dieser Logik müsste PEGIDA schon lange als rechtsextremistische Organisation unter Beobachtung stehen. Da wird offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen“, erklärt Pallas abschließend.

 

Verfassungsschutz läuft gefährlichen Entwicklungen nur hinterher


Rico Gebhardt, Vorsitzender der Linksfraktion: „Das Landesamt für Verfassungsschutz läuft gefährlichen Entwicklungen in der Regel hinterher, sofern es sie überhaupt erkennt. Die mutmaßliche rechte Terrorzelle in Freital hatte man ‚nicht auf dem Schirm‘. Die Behörde braucht offenbar Nachhilfe in Sachen Medienkompetenz, Schwerpunkt: soziale Netzwerke! Den Titel ‚Frühwarnsystem‘ verdient sie nicht. Sie liefert neben Plattitüden und Selbstlob vor allem bekannte Informationen, ohne wesentlich zu deren Verknüpfung beizutragen. Die Regierung sollte stattdessen den Experten vom Operativen Abwehrzentrum und in den Staatsschutzabteilungen der Polizei den Rücken stärken.

 

Erschreckender als die bekannte Unfähigkeit des Landesamtes ist der Anstieg politisch motivierter Gewaltkriminalität. Gewalt lässt sich niemals rechtfertigen, auch nicht durch – oft irrationale – Ängste. Sie muss nicht nur strafrechtlich, sondern auch sozial und kulturell bekämpft werden. Wir müssen Lebensperspektiven schaffen, damit sich Menschen nicht radikalisieren.“

 

Kerstin Köditz, Sprecherin für Antifaschistische Politik der Linksfraktion: „Die Zeichen sind klar: Wir beobachten eine fortschreitende Enthemmung der politischen Auseinandersetzungen und einen deutlichen Anstieg rechter Gewalt. In Sachsen hat sich ein weithin rassistisch motivierter Dauer-‚Protest‘ gegen Asylsuchende etabliert. Hinzu kommt: Erstmals nach dem Auffliegen des NSU und ausgerechnet wieder in Sachsen sind mit der ‚Oldschool Society‘ und der ‚Gruppe Freital‘ zwei mutmaßlich rechtsterroristische Vereinigungen entstanden. Das alles wissen wir nicht dank, sondern trotz des Landesamtes für Verfassungsschutz!

 

Zur Erklärung dieser Entwicklung trägt das Amt nichts bei, mit seiner Analysefähigkeit ist es nicht weit her. Da wird zum Beispiel immer wieder versichert, die Ableger der Gida-Bewegung seien nicht extremistisch. Gleichzeitig wird ein Legida-Mitgründer, Silvio Rösler, als ‚maßgeblicher rechtsextremistischer Akteur‘ bezeichnet. Da werden Umgruppierungen in der extremen Rechten angedeutet, ohne zu sagen, wohin die Kräfte wandern – etwa zur ‚Identitären Bewegung‘. Diese taucht im Bericht gar nicht auf, anders als in anderen Bundesländern. Peinlich!

 

Die Reformversprechen Meyer-Plaths sind offenbar final gescheitert. Wenn das LfV jetzt vor der aufgeheizten Situation warnt, vergießt es Krokodilstränen. Denn die Behörde hat das mancherorts konzertierte Vorgehen gegen Asylsuchende – inklusive Pegida – nach Kräften als ‚Asylkritik‘ verhätschelt und dadurch gesellschaftsfähig gemacht. Dieses Amt ist ein Teil des Problems.“

 

„Verfassung schützen – am besten ohne den Verfassungsschutz“


Katharina Schenk, Landesvorsitzende der Jusos Sachsen: „Dieser Bericht wiederholt die Fehler der Vergangenheit. Die Gefahr von Rechts wird nach wie vor nicht ernst genommen. Das zeigt unter anderen das Beispiel PEGIDA. Während der Gegenprotest immer wieder kriminalisiert und im Bericht diffamiert wird, ist die offensichtlich rassistische, menschenverachtende und demokratiefeindliche Bewegung der Montagsspaziergänger für den Verfassungsschutz lediglich ‚aslykritisch‘.

 

Asylunterkünfte brennen, Flüchtlinge werden offen angegriffen und JournalistInnen von PEGIDA-AnhängerInnen während der Demonstration verprügelt. Was muss denn noch passieren, damit der sächsische Verfassungsschutz endlich tut, was er tun soll?

 

Wer mehr Energie auf die Beobachtung und Beurteilung von ‚Feine Sahne Fischfilet‘ verwendet, als auf die tatsächlichen Gefahren im Freistaat, beweist neben seiner Unfähigkeit vor allem auch seine Überflüssigkeit. Verfassungsschutzpräsident Meyer-Plath belegt es selbst, wenn er zugibt, die Freitaler Terroristen ‚nicht auf dem Schirm‘ gehabt zu haben.

 

Der Handlungsdruck in Sachsen ist offensichtlich. Es gibt eine konkrete und alarmierende Gefahr von Rechts. Um dieser Erkenntnis tatenlos beizuwohnen braucht es allerdings nicht dieses Landesamt für Verfassungsschutz.“