Zwischenfall im Parteibüro

Erstveröffentlicht: 
29.04.2016

Wie stark ist der Rechtsextremismus in Zwickau und im Landkreis verbreitet? Bei einer Diskussion zum Thema tauchten vorgestern zwei Männer auf - und filmten heimlich mit. Von Tanja Goldbecher

 

Zwickau. Jens Paßlack kommt mit dem Zug in Zwickau an. Er läuft die Bahnhofstraße hinunter in Richtung Innenstadt. Am Busbahnhof fallen ihm drei Personen auf. Paßlack bezeichnet sie als "Bilderbuch-Neonazis": Sie tragen Bomberjacken und Springerstiefel, aus den Lautsprechern dröhnt ein antisemitisches Lied, das in der Bundesrepublik verboten ist.

 

Jens Paßlack beobachtet seit Jahren rechte Gruppen in Südwestsachen. Mit dem mobilen Beratungsteam des Kulturbüros Sachsen will er Rechtsextremismus, Alltagsrassismus und Antisemitismus in der Region bekämpfen. Bei einer Diskussionsrunde, die Mittwochabend im Rahmen der Demokratietage im Grünen Bürgerbüro an der Inneren Schneeberger Straße über die Bühne ging, erläuterte er seine Beobachtungen in der Stadt Zwickau.

 

Bisher habe es demnach keine massiven Gewaltausschreitungen in der Stadt gegeben, sagte Paßlack. Rechtsextreme Parteien seien nicht stark vertreten - in Werdau, Meerane und Crimmitschau sei zum Beispiel die NPD wesentlich präsenter. In Zwickau würden dafür immer wieder neue Gruppen an die Öffentlichkeit treten, die Demos organisieren und rassistische Thesen verbreiten. Laut Paßlack stecken oftmals hinter den verschiedenen Gruppen die gleichen Personen, die wahre Struktur bleibe jedoch verborgen.

 

Als Beispiel nannte der 41-Jährige die "Identitäre Bewegung", die in Zwickau in der Vergangenheit mit Flyer-Aktionen und Plakaten vorm Hauptbahnhof Aufmerksamkeit gewonnen hatte. Ihr Regionalleiter Tony Gerber hatte sich 2009 auf der Liste der NPD für den Zwickauer Stadtrat beworben. Außerdem führte Paßlack das Zwickauer Bürgerforum auf, dass sich nicht genug von Rechtsextremen abgrenze.

 

Ein Bekleidungsgeschäft an der Kreisigstraße sei ebenfalls ein Beleg für die weitgreifende Vernetzung der rechten Szene. Dort hatte der mittlerweile von Journalisten aufgespürte Ralf Marschner vor einigen Jahren den Szeneladen "The Last Resort Shop" betrieben. Der ehemalige V-Mann soll Verbindungen zum NSU-Trio gehabt haben.

 

Nach dem Vortrag von Jens Paßlack diskutierten Zwickauer Bürger, Aktivisten, Lokalpolitiker, Asylkritiker, junge Punks und Ausländer miteinander über Rassismus, Islamfeindlichkeit und Identität. Dann kam es zu einem Zwischenfall: Zwei Männer betraten das Bürgerbüro, es herrschte plötzlich Stille. Es handelte sich um zwei Macher des Youtube-Kanals "Kara Ben Nemsi TV", die bereits auf mehreren öffentlichen Veranstaltungen aufgefallen waren. Ihr Muster: Sie fertigen Schmähvideos an, in denen über Politiker wie Oberbürgermeisterin Pia Findeiß (SPD), Martin Böttger (Grüne) und René Hahn (Linke) hergezogen wird.

 

Auch von der Veranstaltung bei den Grünen tauchte gestern ein Video auf: Mit versteckter Kamera hatten die Männer am Abend zuvor gefilmt, wie etliche Besucher die Runde verließen, nachdem die beiden eingetroffen waren. Grünen-Landtagsabgeordnete Petra Zais, zugleich Moderatorin des Abends, machte von ihrem Hausrecht Gebrauch: Sie bat die Männer zu gehen und führte die Diskussionsrunde als geschlossene Veranstaltung weiter. "Wenn sich die Anwesenden gestört fühlen, können wir nicht einfach so weiter machen", sagte Zais. Die Männer beschlossen daraufhin, den Raum wieder zu verlassen und von außen zu filmen.

 

Laut Ines Leonhardt, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Zwickau, ist es grundsätzlich erlaubt, bei öffentlichen Veranstaltungen zu filmen - auch mit versteckter Kamera. Anders verhält es sich in privaten Räumen. Die Staatsanwaltschaft bestätigte, dass mehrere Anzeigen gegen die "Kara Ben Nemsi TV"-Macher eingegangen sind. Allerdings wurden nach Einzelfallprüfungen auch schon Ermittlungen eingestellt.