Sexualstrafrecht: Wäre die Vagina doch ein Auto

Erstveröffentlicht: 
28.04.2016

Der neue Gesetzentwurf zum Sexualstrafrecht ist so dürftig, dass er peinlich ist. Auch 2016 ist das Auto eines Menschen in Deutschland besser geschützt als seine sexuelle Selbstbestimmung.

Schön, wie die zutiefst merkwürdige Rückständigkeit in Heiko Maas' Gesetzesentwurf rauskam, als am Donnerstag der Bundestag über eine Reform des Sexualstrafrechts debattierte. Denn das, was die Regierung da nun endlich als Entwurf auf den Weg gebracht hat, ist so dürftig, dass es peinlich ist, dass da das Jahr 2016 drüber steht.

 

Hier und da erklären Juristinnen und Autorinnen, warum die Änderung nicht genug ist, und warum auch nach den Verbesserungen, die die Regierung plant, das Portemonnaie eines Menschen in Deutschland immer noch besser geschützt ist als seine sexuelle Selbstbestimmung. Es schließen sich Bündnisse zusammen, die dagegen protestieren, dass laut Maas' Vorhaben das "Nein" eines Menschen nicht ausreicht, wenn es um Sex gegen seinen Willen geht; dass wir also unser Recht, nicht vergewaltigt zu werden, nicht bloß verbal, sondern körperlich verteidigen müssen. Wie ein Tier. Schön also, dass fraktionsübergreifend alle sieben Rednerinnen und zwei Redner, die am Donnerstag im Bundestag zu dem Thema gesprochen haben, fanden, dass das Prinzip "Nein heißt Nein" im Strafrecht festgeschrieben werden muss. Außer eben der Justizminister.

Die Gegenargumente und Befürchtungen sind immer wieder dieselben: Entweder es heißt, ein "Nein" sei nicht eindeutig genug, weil Frauen in echt "Ja" meinen, oder ein bloß gesprochenes "Nein" sei nicht belegbar, oder es wird erklärt, es sei absurd, "Nein heißt Nein" juristisch festzuschreiben, weil dann jede Frau nach jedem Sex ihren Sexualpartner anzeigen könne, einfach wenn sie sich im Nachhinein überlegt, dass sie den Sex doch irgendwie nicht wollte.

Eine Sprecherin des Justizministeriums erklärte kürzlich, die Sache mit dem "Nein" des Opfers sei schwer zu handhaben, weil ein "Nein" kaum nachzuweisen sei und Falschanzeigen drohten. "Sozialübliche Verhaltensweisen zu Beginn einer Beziehung könnten kriminalisiert werden."

Was ist das bitte für ein Gedankengang?

Zunächst: ein ganz gewohnter. Es hat eine lange Tradition, immer dann, wenn Frauen dabei sind, sich ein neues Stück Gerechtigkeit zu erkämpfen, laute Befürchtungen darüber zu äußern, dass sie ihre neuen Rechte womöglich missbrauchen werden - zum Schaden der Männer, natürlich. Als würden sie nur darauf warten. Als könnten Frauen nicht mit Freiheit umgehen. Und als sei es besser, sie sicherheitshalber an der kurzen Leine zu halten, bevor diese labilen Wesen sich noch sonstwas ausdenken.

Die Frau, das irrationale Wesen

Hegel erklärte in den Grundlinien der Philosophie des Rechts, Frauen und Politik passten schlecht zusammen: "Stehen Frauen an der Spitze der Regierung, so ist der Staat in Gefahr, denn sie handeln nicht nach den Anforderungen der Allgemeinheit, sondern nach zufälliger Neigung und Meinung." Als Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts für das Frauenwahlrecht kämpfen, befürchtete man, sie würden sich nicht mehr um den Haushalt kümmern, ihre Kinder verelenden lassen und ihre Männer knechten. Als Frauen in den Siebzigerjahren für das Recht auf Abtreibung kämpften, warf man ihnen unter anderem vor, sie wollen nur "durch die Betten hüpfen". Und als es vor Kurzem in Deutschland darum ging, ob die Pille danach als Notfallverhütung rezeptfrei erhältlich sein sollte, wie in vielen anderen Ländern auch, da wurde der gesundheitspolitische Sprecher der CDU, Jens Spahn, nicht müde zu erklären, dass solche Pillen "nun mal keine Smarties" seien, ganz so als würden Frauen anfangen, sich davon zu ernähren, sobald sie frei in der Apotheke verfügbar wären.

Die Frau, das irrationale Wesen, das Freiheit nicht verträgt und sogar vor sich selbst beschützt werden muss - so weit, so traditionell und frauenfeindlich.

Aber es ist eben nicht nur das. Die Idee, es könnte nach einer Erweiterung des Sexualstrafrechts massenhaft zu Falschbeschuldigungen kommen, zeigt, wie sehr wir daran gewöhnt sind, zuerst an Männer zu denken.

Und das, obwohl die Lage so klar ist. Jede siebte Frau in Deutschland erlebt schwere sexualisierte Gewalt. Die allermeisten Frauen, die vergewaltigt werden, zeigen die Tat nicht an (je nach Studie 85 bis 95 Prozent), und in den meisten Fällen, in denen eine Tat angezeigt wird, kommt es nicht zu einer Verurteilung. Es gibt also offenbar erstens das Problem, dass sexualisierte Gewalt sehr verbreitet ist und zweitens das Problem, dass Frauen, die solche Gewalt erleben, sehr häufig erleben müssen, dass sie rechtlich nicht hinreichend geschützt sind. Als Falschbeschuldigungen werden in Deutschland laut einer Studie der London Metropolitan University aus dem Jahr 2009 gerade einmal drei Prozent der Anzeigen eingeschätzt.

 

Und trotzdem ist der erste - und letzte - Gedanke vieler, die von einer Verschärfung des Sexualstrafrechts hören: Ja, aber ist das nicht blöd für die Männer?

Im Ernst? Ich weiß, es ist schwer. Uns allen hat das Patriarchat tief ins Hirn geschissen, dass Männer mehr wert sind als Frauen, und es ist unglaublich schwer, sich das alles wieder aus dem Kopf zu kratzen. Aber es gibt Situationen, bei denen es nicht darum geht, wie man die Welt für Männer noch gemütlicher machen kann. Und dabei geht es gar nicht um abgedrehte Utopien von Radikalfeministinnen, sondern schlicht darum, offensichtliche Lücken zu schließen und den Verpflichtungen der Istanbul-Konvention nachzukommen, so wie andere Länder das auch hinkriegen.

Nicht zuletzt würde das der Intuition entsprechen, dass man mit Leuten, die sagen, dass sie keinen Sex wollen, eben keinen Sex haben sollte. Eigentlich ein sehr schlichter Gedanke. Und im Übrigen einer, der woanders schon gilt, wie Halina Wawzyniak (Linke) am Donnerstag im Bundestag erklärte: Wer gegen den Willen des Berechtigten ein Kraftfahrzeug fahre, mache sich strafbar. So einfach kann es sein. Ach, wär die Vagina doch ein Auto, sie wär jetzt schon in Deutschland angenehm sicher.