„Identitäre Bewegung Harz“ - Eine neue rechte Gruppierung im Harz?

Jan Schmidt (AfD, MdL) als Redner am 03.04.2016 bei „Grablichtaktion“ der „IB Harz“ in Wernigerode (Foto: Mario Bialek)

Seit einigen Monaten taucht im Harz, vor allem in Wernigerode, immer wieder ein auf den ersten Blick unscheinbares Symbol auf: ein Kreis mit dem griechischen Buchstaben Lambda in den Farben schwarz und gelb. Zunächst fand sich das Symbol auf Stickern und dann bei den regelmäßig sonntäglich stattfindenden Veranstaltungen in Wernigerode. Dahinter steckt eine Gruppe, die sich als Teil der „Identitären Bewegung“ (IB) bezeichnet.

 

Die IB gründete sich in Deutschland im Jahr 2012 und beruft sich auf die aus Frankreich stammende Bewegung „Génération identitaire“. Die „Identitären“ vertreten ethnoplurlistische Vorstellungen, das heißt, sie behaupten, alle Ethnien und Kulturen zu achten und zu akzeptieren. Die Vielfalt der Kulturen aber würde nur erhalten bleiben, wenn diese sich nicht vermischten und alle Angehörigen einer Ethnie das Gebiet bewohnten, das historisch das „ihre“ sei. Konkret bedeutet das, dass die Anhänger*innen der „Identitären Bewegung“ multikulturelle Gesellschaften zutiefst verabscheuen und sich vehement gegen jegliche Form der Einwanderung aussprechen. Dies tun sie mit drastischen Worten: Sie behaupten, dass von Poltiker*innen, Unternehmer*innen und Journalist*innen ein Austausch der Bevölkerung geplant und aktiv betrieben würde.

Mit der Mär vom „großen Austausch“ weisen die „Identitären“ viele Schnittpukte mit Verschwörungstheoretiker*innen auf. In Texten und Aufrufen der IB wird immer wieder gemahnt, dass die Zeit knapp sei, bevor „die Deutschen fremd im eigenen Land“ würden. In einem Video, das auch von der „Identitären Bewegung Harz“ (IBH) verwendet wird, heißt es sogar, man gehöre einer Generation an, die „einfach nur weil sie deutsch ist, getötet wird“. Trotz dieser Rhetorik, die Angst vor und Hass auf Migrant*innen und  vor allem Flüchtlingen schürt, behaupten die Anhänger*innen der IB, keine Rassist*innen zu sein. Auf der Seite der „Identitären Bewegung Deutschland“ definiert man sich als „Arm der Neuen Rechten“ und distanziert sich von „Der Alten Rechten“, also „Rassisten, Nationalisten und Neonazis“. Die Aktionen der IB sind in den meisten Fällen eher unspektakulär, aber so inszeniert, dass sie im Nachhinein medial aufgeblasen werden können. 

JN Wernigerode im neuen Gewand

Auch die Gruppe „Identitäre Bewegung Harz“ schreibt im Veranstaltungstext bei Facebook: „Keinerlei Werbung für extremistische Parteien oder Organisationen zugelassen!“. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass die Distanz zur „Alten Rechten“ keineswegs zu erkennen ist. Deutlicher gesagt: Die Harzer Gruppe besteht vor allem aus dem alten Kreis der Neonazis und Neofaschisten der JN Wernigerode (Junge Nationaldemokraten, Jugendorganisation der NPD). Der ehemalige JN-Bundesvorstand Michael Schäfer und damaliger Kopf der JN Wernigerode tritt zwar nicht öffentlich bei Aktionen der IBH in Erscheinung, zeigte sich aber beispielsweise vor Beginn der Kundgebung auf dem Marktplatz am 03. April kurz in provozierender Weise den Journalisten, ging über den Platz und verschwand wieder. Schäfer pflegt noch immer Kontakt zu seinen ehemaligen JN-Kamerad*innen und nahm vermutlich nur nicht an der Versammlung teil, weil an diesem Tag mehrere Journalist*innen vor Ort waren.

Seit mindestens 2007 gehörte Michele Kurth zum Umfeld der JN Wernigerode. Der heute 26-Jährige wohnt in Wernigerode und studiert zur Zeit an der Hochschule Harz im Fachbereich Automatisierung/Informatik. Vor drei Jahren rückte Kurth erstmalig aufgrund seiner sportlichen und politischen Aktivitäten in den Fokus. Neben der Teilnahme an verschiedensten Naziaufmärschen und Kundgebungen fiel er im Frühjahr 2013 durch das Verteilen der NPD-Schulhof-CD vor Halberstädter Schulen auf. Als Vertreter der JN Wernigerode besuchte er den „Europakongress“ der „Jungen Nationaldemokraten“ in Kirchheim am 22. März 2014.
Als die Gruppierung IBH im Oktober 2015 mit ersten Aktivitäten in Erscheinung trat, war es Michele Kurth, der an einem Netzwerktreffen für Flüchtlingshelfer*innen in Wernigerode teilnahm. Anschließend wurde auf der IBH-Facebookseite ein Artikel veröffentlicht, der abwertend über die Veranstaltung berichtete.

Ein weiteres ehemaliges JN-Mitglied, das jetzt zur IBH gehört, ist Michael Machner (26) aus Wasserleben. Der rechte Aktivist hielt sich mit öffentlichen Aktionen zurück, nachdem er im Mai 2011 mit Michele Kurth einen Naziaufmarsch mit dem Motto „Wahrheit macht frei“ in Berlin besucht hatte und anschließend eine Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen musste. Aus dem Aufmarsch heraus waren Gegendemonstrant*innen angegriffen worden, Machner befand sich in der Gruppe der Angreifer und konnte identifiziert werden.
Neben den IBH-Versammlungen in Wernigerode war er zuletzt beim Naziaufmarsch von „Die Rechte“ am 31.10.2015 in Halberstadt zu sehen.

Jenny Schreyer wurde zum ersten Mal am 21.04.2012 in Quedlinburg im Zusammenhang mit der JN Wernigerode gesehen, wo sie bei einer NPD-Kundgebung Flyer verteilte. Außerdem nahm sie beispielsweise am neonazistischen „Trauermarsch“ am 12.01.2013 in Magdeburg teil und versuchte am 14. Juni 2014 in Halberstadt am Rande einer linken Demonstration Fotos von politischen Gegner*innen zu machen. Bei der IBH ist sie an der Medienarbeit beteiligt und macht auf den Versammlungen der „Identitären“ Fotos, die später auf der Facebookseite veröffentlicht werden. Die 25-Jährige wohnt zusammen mit Michael Machner in Wasserleben.

Oliver Stallmann (33) aus Wernigerode tritt bei der IBH als Versammlungsleiter und Ordner auf. Der langjährige Neonaziaktivist gehörte schon zum „JN Wernigerode“-Vorläufer „Wernigeröder Aktionsfront“ (WAF). Die WAF um Michael Schäfer musste sich nach kurzer Zeit aufgrund des steigenden Ermittlungsdruckes wegen verschiedener Übergriffe und anderer Vorfälle auflösen. Stallmann ist seit Jahren bei regionalen und überregionalen Naziaufmärschen zu beobachten, zuletzt beteiligte er sich am 31.10.2015 mit Michael Machner am Aufzug „Perspektiven statt Massenzuwanderung“ der neonazistischen Kleinstpartei „Die Rechte“ in Halberstadt.

Emanuel Reuter aus dem Wernigeröder Stadtteil Benzingerode wurde als „führendes WAF-Mitglied“ bezeichnet und ist einer der Protagonisten, der maßgeblich dazu beitrug, dass sich diese Gruppierung auflösen musste. Verschiedene brutale Übergriffe auf politische Gegner gehen auf sein Konto. Der heute 31-Jährige Reuter wurde im September 2007 wegen mehrerer Fälle gefährlicher Körperverletzungen zu vier Jahren Haft verurteilt. Bei Grablichteraktionen der „Identitären Bewegung Harz“ trat er als Ordner auf.


Der Querfront-Aktivist

Der Versuch der Gruppierung IBH, sich trotz der eigenen reaktionären Inhalte für Propagandazwecke rebellisch zu geben und oberflächlich scheinbar von Neonazis zu distanzieren, ist nicht neu. Die JN Wernigerode versuchten beispielsweise in der Vergangenheit linke Symbole und Aktionsformen zu kopieren. So riefen Schäfer und Kameraden auch auf ihrer Kundgebung schon mal „Nazis raus“, als Antifaschist*innen zum Gegenprotest erschienen, um Zuschauende zu verwirren. Bei einem Naziaufmarsch der JN in Quedlinburg im Jahr 2008 wurde Musik von linken Bands gespielt, ein nachträglich veröffentlichtes Video des Aufzuges mit Musik der Punkband „Kapitulation B.o.N.n.“ unterlegt. JN-Mitglieder trugen T-Shirts linker Versände und sogar eine Flagge der Antifaschistischen Aktion wurde von JN-Leuten bei einem Aufmarsch gezeigt.

Querfrontaktivist Marc Kluge (32) treibt diese Bestrebungen auf die Spitze. Das ehemalige JN-Mitglied versucht linke Theorie mit völkischer Propaganda zu verbinden. Der mittlerweile in Berlin lebende Kluge trat 2007 bei den Kommunalwahlen für die NPD an und beteiligte sich an verschiedensten Aktionen der „Jungen Nationaldemokraten“. Er betätigte sich bei der neonazistischen Security- und Ordnergruppe „Selbstschutz Sachsen-Anhalt“ („SS-SA“) und nahm an verschiedensten Naziaufmärschen teil. Bei Rechtsrockkonzerten in Nienhagen war er als Ordner involviert.

Trotzdem versucht er immer wieder an eher linken Veranstaltungen wie beispielsweise der „Freiheit statt Angst“-Demo in Berlin teilzunehmen. Während er damit bei zweifelhaften Versammlungen wie einer Demo von Pro-Assad-Gruppen mit Stalinisten für Syrien und Russland in Berlin am 31.10.2015 Erfolg hat und unerkannt teilnehmen kann, musste er alternativ gefärbte Veranstaltungen wie das „Endless Summer“-Festival 2011 verlassen, nachdem er erkannt wurde. Außerdem sucht der kampfsportbegeisterte Veganer nicht nur die Nähe zur links geprägten Subkultur, sondern geht auch zu Protestaktionen gegen Tierausbeutung.

Marc Kluge fungierte bei den IBH-Aktionen mehrfach als Redner und versuchte beispielsweise auch, einen Journalisten an seiner Arbeit zu hindern. Er ging auch zur bürgerlichen Gegenkundgebung, provozierte dort und filmte seinen peinlichen Auftritt. Anschließend veröffentlichte er ein Video der Provokationen auf seinem Youtube-Kanal, auf dem er auch andere qualitativ minderwertige Videos seiner verzweifelten und kaum öffentlichkeitswirksamen Aktionen anbietet.


Mit Grablichtern gegen Flüchtlinge

Die Grablichteraktionen der „Identitären Bewegung Harz“ fand am 29. November 2015 zum ersten Mal statt. Seitdem gab es fast wöchentlich bisher insgesamt 17 solcher Treffen unter dem Motto „Ein Licht ein Gedanke“. Während beim ersten Mal - ganz im Stil der „Identitären“ nur Grablichter aufgestellt wurden, um die Aktion hinterher bei Facebook zu inszenieren, wurde das Auftreten bei folgenden Versammlungen mit Mikrofon und Lautsprecher, Transparenten und Fahnen ausgeweitet. Die sonntäglichen Treffen um 19 Uhr wuchsen mit anfangs einer Teilnehmendenzahl von zwei Dutzend über die Zeit auf bis zu hundert Personen an. In der halbstündigen Zusammenkunft, die sich angeblich nur „gegen die Flüchtlingspolitik“ richtete, wurden von den Redner*innen vor allem rassistische Schauermärchen verbreitet und die völkische Ideologie der „Identitären“ propagiert. In der 30 000-Einwohner-Stadt wurden bisher ganze 31 Flüchtlinge untergebracht. Diese Tatsache änderte nichts an der naiven wie unmöglichen IBH-Forderung „für Wernigerode eine Garantie der Sicherheit in der Umgebung der zukünftigen Wohnräume für Asylbewerber“.

Unter anderen trat auch Christoph Amendt (39) als Redner auf. Der gebürtige Blankenburger hatte sich zuvor bereits an der dortigen Grablichteraktion beteiligt. Amendt ist Mitglied der Bielefelder Burschenschaft „Normannia-Nibel­ung­en“ einem Sammel­becken rechter und neonazistischer Stu­den­ten. Er schrieb in der Vergangenheit für die „Junge Freiheit“ gehörte auch zu den Besuchern anti­semitischer Seminare im „Collegium Humanum“, einem Zentrum der Holo­caustleugner in Vlotho. Er feierte bei seinem Auftritt am 03. April 2016 den Wahlerfolg der AfD bei den Landtagswahlen als „Schlag gegen die Parteibonzen und gegen die Mediengutmenschen“ und äußerte, dass die Bewegung hinter diesem Erfolg wichtiger sei, als die Partei selbst.


Annäherung an die AfD

Am selben Tag redete auch der frisch gewählte AfD-Landtagsabgeordnete Jan Wenzel Schmidt (24) in Wernigerode. Ganz auf Linie der „Identitären“ sprach Schmidt von der derzeitigen Situation als „Abgrund Deutschlands und Europas“ und bestätigte dann nochmal vor Fernsehkameras die wirre These, dass es den „Großen Austausch“ gäbe und die hier lebende Bevölkerung durch Zuwanderung ausgetauscht werden solle und die Deutschen nicht zu einer „eigenen Reproduktion“ angeregt werden sollten.

Die AfD in Magdeburg war auch schon in der Vergangenheit durch Zusammenarbeit mit Neonazis aufgefallen. Schmidts Äußerung, er wisse nichts davon, dass sich die „Identitäre Bewegung Harz“ aus ehemaligen JN-Mitgliedern zusammensetze, kann, spätestens seitdem bekannt wurde, dass er Stefan Träger als persönlichen Mitarbeiter im Landtag einstellte, als Lüge bezeichnet werden. Träger ist auch mit den Wernigeröder Faschisten um Michele Kurth bestens vernetzt. So passt es nur ins Bild, dass Michele Kurth die Nähe zur AfD sucht und AfD-Treffen besuchen kann, während parallel dazu Yvonne Sturm, AfD-Kreisvorsitzende und Mitarbeiterin der Landtagsfraktion, an der Versammlung der „Identitären Bewegung Harz“ teilnimmt.
Die IBH war auch schon während AfD-Wahlkampfveranstaltungen in Magdeburg präsent und beteiligte sich an den Aufmärschen der faschistischen Partei mit einem eigenen Transparent.

Nicht die letzte Aktion

Die personelle Kontinuität ist offensichtlich, auch wenn sich alte Gruppierungen auflösen und neue gegründet werden. Aus der „Wernigeröder Aktionsfront“ wurden die „Jungen Nationaldemokraten Wernigerode“. Mit dem fortschreitenden Zerfall der Mutterpartei NPD in Sachsen-Anhalt lösten sich auch die  JN auf. Nun sind fast die selben Personen bei der „IB Harz“ aktiv und biedern sich, offensichtlich nicht ganz erfolglos, bei der AfD an. Die menschenverachtende Ideologie bleibt, auch wenn sich das Label ändert.

Die IBH-Grablichteraktionen in Wernigerode haben ihren Zenit überschritten. Am vergangenen Sonntag, dem 24.04.2016, nahmen nur noch 25 Personen an der Aktion teil. Da die Tage länger werden, ist es um 19 Uhr immer noch hell und die Teilnehmenden können sich nicht mehr im Schutz der Dunkelheit verstecken, was zusammen mit größerem Medieninteresse zu einem Rückgang der Personenzahlen beiträgt. Die Aktion „Ein Licht ein Gedanke“ soll am kommenden Sonntag, dem 1. Mai 2016, deshalb zum vorerst letzten Mal stattfinden. Ganz sicher wird es nicht die letzte Aktion der Faschisten, die keine Nazis sein wollen, gewesen sein werden.

 

Harzinfo – Informationen über und gegen rechte Aktivitäten im Harzkreis