Ende der Schonzeit für Ägyptens Präsident Sisi

Erstveröffentlicht: 
26.04.2016

Erstmals offener Widerstand – Wut über die Übertragung der Souveränität über die Inseln Tiran und Sanafir ist nur Auslöser für Erwachen der Opposition

Flugzeuge der Luftwaffe zeichneten farbige Formationen in den Himmel über Kairo, gleichzeitig waren am Boden Armee und Polizei massiv präsent, um allfällige Demonstrationen im Keim zu ersticken: Das Regime feierte am Montag den Tag der Befreiung der Sinai-Halbinsel im Jahr 1982 nach mehrjähriger israelischer Besetzung. Doch die Opposition nahm diesen Tag zum Anlass, um unter dem Motto "Ägypten steht nicht zum Verkauf!" gegen die Übertragung der Souveränität über die beiden Inseln Tiran an Sanafir im Golf von Akaba an Saudi-Arabien massiv zu protestieren.

 

Schon zehn Tage zuvor waren Tausende auf den Straßen gewesen – damals hielten sich die Sicherheitskräfte aber trotz eines rigorosen Demonstrationsverbots relativ zurück. Diesmal verfolgten sie eine andere Taktik: Mit dutzenden Verhaftungen war schon im Vorfeld versucht worden, potenzielle Demonstranten zu entmutigen.

 

Am Montag wurde dann jeder Protestversuch im Keim erstickt. Bereits kleine Menschenansammlungen wurden mithilfe von Tränengas und Gummigeschoßen aufgelöst. Es gab landesweit über 200 Festnahmen – darunter auch 43 Journalisten, von denen am gestrigen Dienstag mehrere immer noch in Haft waren.

 

Sisi-Anhänger versuchten das Gebäude der Journalistenvereinigung zu stürmen; dort hatten sich vor zehn Tagen Tausende versammelt. Das war die größte Demonstration, seit Präsident Abelfattah al-Sisi vor zwei Jahren sein Amt getreten hatte.

 

Die fast panisch wirkenden Reaktionen der Regierung auf die angekündigten Proteste zeigen, wie groß die Angst ist, dass sich diese ausweiten könnten.

 

Warnungen Sisis


Sisi hatte vor Versuchen gewarnt, die "Sicherheit und Stabilität des Landes" zu gefährden. Die Frage der Souveränität über die Inseln im Roten Meer ist komplex: Beide Seiten können für ihre Theorie namhafte Experten aufbieten. Störend war vor allem, dass die am 9. April verkündete Souveränitätsübertragung die Form eines Geschäftes hatte. Saudi-Arabien revanchiert sich mit großzügiger Finanzhilfe und plant sogar den Bau einer Brücke zwischen den beiden Ländern.

 

Der Streit um die Souveränität über die Inseln, ein höchst sensibles Thema, ist aber nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat: Die Proteste sind auch Ausdruck aufgestauter Wut über das Demonstrationsverbot, zunehmende Repression, grassierende Menschenrechtsverletzungen und den Mangel an Transparenz und Verantwortlichkeit in der Regierungsführung.

 

Bei den Kundgebungen wurden nicht nur Slogans zu Tiran und Sanafir skandiert, sondern auch: "Das Volk will den Sturz des Regimes!" Ähnliches war während der Revolution im Frühjahr 2011 zu hören.

 

Aufgerufen zu den Protesten hatten säkulare Parteien, zivile Kräfte und junge Aktivisten, die schon während der Revolution die treibenden Kräfte gewesen waren; aber auch solche, die vehement für Sisi gekämpft hatten. Der Politologe Amr al-Shobaki spricht schon von einer Zäsur; vom Ende der bedingungslosen Unterstützung Sisis und von einem dramatischen Kollaps der Koalition, die die Muslimbrüder zu Fall gebracht hatte.

 

"Das Land zerstören"


In weiten Kreisen der Bevölkerung ist aber heftige Ablehnung neuer Proteste auf der Straße zu spüren, obwohl sich die Begeisterung für Sisi merklich abgekühlt hat. "Sie wollen das Land zerstören, obwohl der Alltag schon unerträglich ist", meint ein Passant im Gespräch. "Mir ist egal, ob Mohammed Morsi regiert oder Sisi. Ich will nur in Ruhe meiner Arbeit nachgehen und mein Geld verdienen können", ärgert sich ein Autofahrer im Stau im Kairoer Stadtzentrum. (Astrid Frefel aus Kairo, 27.4.2016)